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[chox] interessante facts, blöde affirmation der aufklärung



Rettet den Antirassismus

Warum linke Politik und Aufklärung zusammengehören.

von udo wolter



Die bisher erschienenen Beiträge in der Debattenreihe zum Kampfbegriff
»Islamophobie« beschäftigten sich vor allem mit den zivilgesellschaftlichen und
staatsoffiziellen Diskursen. Zu kurz kam dabei bislang die Frage, wie sich der
linke Antirassismus zum Islamismus verhält. Spätestens seit dem 11. September
2001 ist die Kontroverse zum Verhältnis von linker Politik und Islam
bekanntlich völlig festgefahren. Eberhard Seidel erwähnt zutreffend, aber sehr
kursorisch die Attraktivität islamistischer Bewegungen als »antiimperialistische
Projektionsfläche« für Teile der Linken. Genau diese Problematik ist aber samt
den damit verbundenen Erweiterungen antizionistisch-antisemitischer
Allianzen genauer zu betrachten. 

Doch gehen wir zunächst vom Verhältnis zwischen linkem Antirassismus und
»Islamophobie« aus. Bernhard Schmid stellt vor allem die durchaus nicht zu
leugnende Tatsache heraus, dass ein bestimmter Rassismus sich gerne
pseudo-religionskritischer Argumente gegen »den Islam« bedient, meist um ImmigrantInnen aus
islamischen Ländern als angeblich kulturell unverträgliche Andere zu
markieren und auszugrenzen. Solche kulturalistischen Strategien sind durchaus nicht
nur auf der Rechten und im bürgerlichen Politik-Mainstream zu finden, sondern
auch bei einem als linksliberal geltenden Historiker wie Hans-Ulrich Wehler,
der inzwischen fast gewohnheitsmäßig vor einem EU-Beitritt der Türkei warnt.


In der Linken allerdings bekommt man es weit häufiger mit einer scheinbar
gegenläufigen Strategie zu tun, die aber keineswegs weniger kulturalistisch
ist. Dabei werden pseudo-antirassistische Argumente benutzt, um jede Kritik am
Islamismus als rassistisch und eben »islamophob« zu denunzieren, vor allem
wenn es um Antisemitismus, Frauenfeindlichkeit und um Elemente des Islam geht,
die mit faschistischen Ideologien – im Sinn einer
romantisch-antiaufklärerischen Gegenmoderne mit totalem Herrschaftsanspruch – vergleichbar
sind. Die von Fourest und Venner in diesem Zusammenhang vor allem in der
französischen Debatte konstatierte Ersetzung oder Vertauschung des
Rassismusbegriffes mit der »Islamophobie« ist in Deutschland bislang vor allem unter dem von
Seidel zu Recht als Konstrukt entlarvten Begriff des »Feinbildes Islam«
verhandelt worden. 

Mit dieser Verschiebung geht oft auch die Verquickung mit dem Antisemitismus
einher. Genauer gesagt, die moralische Aufladung der Abwehr eines angeblich
grassierenden »Feindbildes Islam« durch dessen Attributierung mit Strukturen
des Antisemitismus. Wenn von einer antisemitischen Disposition kapitalistisch
vergesellschafteter Subjekte aufgrund fetischistischer Wahrnehmungen der
abstrakten Gesellschaftsverhältnisse auszugehen ist, dann ist es nicht weiter
verwunderlich, wenn z.B. verschwörungstheoretische Denkformen mit einer
strukturellen Affinität zum Antisemitismus auch in rassistischen Ideologemen
auftauchen. Aber diese verschwörungstheoretische Aufladung ressentimentgeladener
Affekte heftet sich keineswegs in so exklusiver Weise an den »Islamdiskurs«, wie
Schmid zu suggerieren sucht. Sie findet sich beispielsweise genauso in
Diskursen über illegale Immigration und organisierte Kriminalität, die ebenfalls
als unsichtbare und daher besonders bedrohliche Zersetzung der nationalen
Standortgemeinschaft halluziniert werden. Gerade das viel zitierte Bild des
– natürlich mit allerlei orientalistischen Zuschreibungen ausgemalten
– »Schläfers« hat vielleicht damit mehr zu tun als mit einem spezifischen
»Feindbild Islam«. 

Im linken Antirassismus geht es aber zunehmend um die Behauptung, das
»Feindbild Islam« habe sich vor allem nach dem 11. September zu einem neuen
»Weltfeindbild« ausgewachsen, das wie der moderne Antisemitismus als geschlossenes
Weltbild fungiere. Die Identifizierung eines zerstörerischen Gegenprinzips,
mit dem letztlich alle als Demütigung und Niederlage empfundenen
gesellschaftlichen Erfahrungen mit Juden identifiziert oder auf jüdische Einflüsse
zurückgeführt werden, unterscheidet aber den modernen Antisemitismus von allen
Spielarten des Rassismus und damit auch vom antiislamischen Ressentiment. 

Die unzutreffende Vermischung von Antisemitismus und antiislamischem
Rassismus findet sich in linken antirassistischen Zeitschriften ebenso wie bei
antirassistischen Theoretikern wie Etienne Balibar. Wenn ein deutscher linker
Sozialwissenschaftler wie Werner Schiffauer verkündet, er habe »den Eindruck,
dass es in dieser Gesellschaft einen ganz massiven Antiislamismus gibt, der den
Antisemitismus abgelöst hat«, dann hat diese Relativierung der in Deutschland
für die letzten Jahre x-fach belegten Zunahme des Antisemitismus wohl auch
mit einem spezifisch deutschen Abwehrreflex zu tun. Bezeichnenderweise
erschien das taz-Interview mit dieser Aussage wenige Tage nach dem Beginn der
»Hohmann-Affäre«. 

Solch relativierende Argumentationen tendieren dazu, islamistische
Bewegungen zur Projektionsfläche antiimperialistischer Allianzen zu machen. So ist es
bereits ein bedenkliches Signal, dass Schiffauer nicht nur, wie von Eberhard
Seidel erwähnt, eine relativierende Haltung gegenüber antidemokratischen
Zügen islamistischer Bewegungen einnimmt, sondern auch ausführliche Interviews in
deren Publikationen gibt. Beispielsweise in der Islamischen Zeitung, einem
von deutschen Konvertiten herausgegebenen Blatt, das sich als intellektuell
angehauchter Fürsprecher eines moderaten »Euroislam« gibt, aber wie eine Junge
Freiheit des Islamismus funktioniert. Tatsächlich ist sie mit der
internationalen »Murabitun«-Bewegung verbandelt und pflegt innige Beziehungen zu
neurechtem Gedankengut im Anschluss an Ernst Jünger, Carl Schmitt etc. (Jungle
World, 4/02). Bei anderen Stichwortgebern des linken Antirassismus geht das noch
viel weiter. Der Kasseler Professor Werner Ruf verbindet notorisch die
Behauptung einer angeblichen antiislamischen »Massenhysterie« mit Aussagen wie
dieser: »Der politisierte Islam entpuppt sich so als eine neue kollektive
Widerstandsform der ehemaligen ›Dritten Welt‹ gegen hegemoniale Arroganz
und Willkür.« Von der in der antirassistischen Linken stark rezipierten
postkolonialen Theorie kommend, tritt der Museumskurator Okwui Enwezor in seiner
Einleitung zum Katalog der von ihm ausgerichteten documenta-11 für noch
eindeutigere Allianzen ein. Für ihn ist der Massenmord des 11. September der Beginn
der »Abrechnung mit den Werten des Westens« und der dahinter stehende
radikale Islamismus eine »ernst zu nehmende antihegemonistische Opposition«. Er
fordert daher eine aus Globalisierungsgegnern, Islamisten, dem »Kampf der
Palästinenser« und Aktivisten der Dritten Welt bestehende antihegemoniale Achse. 

Solche Appelle verhallen nicht ungehört, sie spiegeln wider, was weltweit in
linken und sozialen Bewegungen immer bedenklichere Ausmaße annimmt. Ein
Beispiel bot dafür das kürzlich in Paris abgehaltene europäische Sozialforum. Für
Wirbel sorgte dort auch der Auftritt des ebenfalls als moderater
»Euro-Islamist« daherkommenden Genfer Theologen und Philosophieprofessors Tariq Ramadan
(Jungle World, 45/03). Der Enkel des Gründers der ägyptischen
Muslimbruderschaft Hassan al-Banna, dessen Bruder Hani als Hardcore-Islamist und Leiter des
Centre Islamique der Muslimbrüder die Steinigung von Frauen wegen
»Sittenverbrechen« rechtfertigt, distanziert sich zwar öffentlich von diesem »Erbe« und
den Aktivitäten seines Bruders und verurteilt auch bei jeder Gelegenheit brav
den islamistischen Terror. In einem Hintergrundbericht der NZZ ist
allerdings von einer diskreten Arbeitsteilung zwischen den Brüdern die Rede, und Hani
Ramadan wird entsprechend zitiert: »Tariq und ich ergänzen uns gegenseitig.
Wir sind zwei Seiten derselben Medaille.« Das trifft wohl in mancher Hinsicht
das Verhältnis zwischen Soft- und Hardcore-Islamisten insgesamt. 

Tariq Ramadan spricht mit seinem zivilgesellschaftlich-kommunitaristischen
Islam-Diskurs nicht nur in Frankreich erfolgreich die
maghrebinisch-migrantische Jugend der Banlieus an, sondern versucht auch, an linke
Globalisierungskritiker anzudocken. In einem Anfang August in der Frankfurter Rundschau
veröffentlichten Text versucht er das mit moralischem Antikapitalismus und einer
kulturrelativistischen Beschwörung der »Pluralität von Kulturen und Religionen«.
Gleichzeitig greift er die globalisierungskritische Bewegung wegen ihrer
angeblichen Befangenheit in »eurozentrischen Klischees« und einem von Abgrenzung
und Angst bestimmten »gefährlichen Diskurs über den Islam« scharf an. Er
fordert die Globalisierungskritiker auf, »in einen fruchtbaren und offenen
Dialog mit der Welt des Islam« in Gestalt »islamischer Globalisierungskritiker und
Aktivisten« einzutreten. 

Damit hat er beim Pariser Sozialforum offene Türen eingerannt. Auch Proteste
jüdischer Organisationen von der jüdischen Studentenunion Frankreichs bis
zum Simon-Wiesenthal-Center wegen eines kurz vor dem Sozialforum
veröffentlichten antisemitischen Textes von Ramadan konnten die Veranstalter nicht von
ihrer Einladung abbringen. Bei dem besagten Artikel handelte es sich keineswegs
um einen, wie oft behauptet wird, zurückhaltend formulierten Text. Vielmehr
steckte ser voller eindeutiger Stereotypen über die Ausnutzung der angeblichen
Medienmacht einiger von Ramadan als »jüdische Intellektuelle« bezeichneten
Prominenten für ihre proisraelischen Erklärungen, darunter Bernhard Henry-Levi,
Alain Finkielkraut – die, nebenbei bemerkt, die Politik der
derzeitigen israelischen Regierung häufig kritisieren und das Genfer Abkommen
unterstützen – und André Glucksman. Dass er dabei auch gleich noch den
Nichtjuden Pierre-André Taguieff eingemeindete, ist kein Fauxpas, sondern sagt einiges
über die im Kopf des Herrn Ramadan herumspukenden Projektionen. Die
amerikanische Irakpolitik führte er auf den Einfluss des »notorischen Zionisten« Paul
Wolfowitz zurück. 

Der Streit schlug auch hierzulande Wellen. In der linken Wochenzeitung
Freitag schäumte prompt Rudolf Walther über die »islamophoben« Ausbrüche der
Kritiker Ramadans und verklärte diesen zum geradezu erleuchteten Künder eines
»aufgeklärten, mit Demokratie und Menschenrechten versöhnten europäischen Islam«.
Was das Pariser Sozialforum anbelangt, so wäre Ramadans dortiger Auftritt
weniger Aufhebens wert, wenn er sich nicht in einen massiv anti-israelischen
Gesamteindruck fügte. Nicht nur, dass zahlreichen Berichten zufolge
Palästinaflaggen und »Boycott Israel«-Plakate das Bild prägten und in der
Abschlusserklärung neben dem Kampf gegen Rechtsextremismus, Rassismus usw. weder der
Antisemitismus erwähnt wird noch etwa – trotz oder gerade wegen zahlreicher
Panels zum Nahostkonflikt – palästinensische Selbstmordattentate
verurteilt wurden. 

Bei einigen Teilnehmern des Forums gehen im Zeichen der Überwindung
angeblicher »Islamophobie« die reaktionären Allianzen mit Islamisten offenbar noch
wesentlich weiter. So saß der britische Kriegsgegner und Labour-Abgeordnete
George Galloway zusammen mit einem Vertreter des Occupation Watch Center Iraq
(OWCI) in einem Panel mit dem Thema: »Neoliberaler Globalisierung, Besatzung
und der neue Kolonialismus«. Wenige Wochen später trat er zusammen mit anderen
Vertretern des OWCI auf der Kairoer Konferenz der »Internationalen Kampagne
gegen US- und Zionistische Besatzung« auf, wo arabische Linksnationalisten und
Islamisten von den Muslimbrüdern bis zur Suizidbombertruppe Hamas mit
europäischen Kriegsgegnern und Globalisierungskritikern den Zusammenschluss zur
Unterstützung der »heroischen Intifada« der Palästinenser und des »irakischen
Widerstands« probten (Jungle World, 1-2/04). 

Solche Beispiele sagen einiges über den derzeitigen Zustand des linken
Antirassismus. Die Diskursverschiebung vom Begriff des Rassismus zu dem der
»Islamophobie« korrespondiert nicht nur mit einem ignoranten Kulturrelativismus.
Sie ist nicht nur bei notorisch durchgeknallten linken Antisemiten und
Antiimp-Sekten wie der Wiener Antiimperialistischen Koordination mit mehr als nur
bedenklichen linken Allianzen mit islamistischen Terrorgruppen mit offen
antisemitischer Agenda verbunden. Auch die Vermischung von Rassismus und
Antisemitismus tut dabei ein Übriges. Wenn erst einmal die Charakteristika des modernen
Antisemitismus auf das »Feindbild Islam« verschoben sind, lässt sich der
Begriff des Rassismus umso leichter mit Israel identifizieren. 

Dennoch wäre es grundfalsch, den Antirassismus zur Leitideologie einer
angeblich »antisemitischen Internationale« von Globalisierungskritikern,
Kriegsgegnern und Islamisten zu erklären und ihn abzuschreiben, wie dies einige
Antideutsche seit dem Hijacking des Antirassismus durch Antizionisten und
Antisemiten auf der Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban und dem 11. September tun.
Allein die Tatsache, dass nach wie vor jährlich Hunderte, wenn nicht
Tausende von Menschen aufgrund der rassistischen Abschottungspolitik der »Festung
Europa« – um nur die Ereignisse vor der »eigenen Haustür« anzuführen
– ihr Leben verlieren, zeigt, wie wichtig antirassistische und migrantische
Aktivitäten sind. Außerdem ist die globalisierungskritische Bewegung
keineswegs, wie manche suggerieren, offen antisemitisch, auch wenn die Gefahr eines
Umkippens in solche Argumentationen nicht von der Hand zu weisen ist. 

Unbedingt zu kritisieren ist allerdings jene kulturrelativistische
Begründung des Antirassismus, die jede unversalistisch begründete Kritik sofort als
»eurozentrisch« denunziert. Im Gegenteil ist eine anti-universalistische Praxis
als materieller Gehalt jedes Rassismus herauszustellen, ebenso aber auch bei
religiös und kulturalistisch begründeten Ideologien wie dem Islamismus. Wer
dagegen solche Kritik als eurozentrische »Islamophobie« zurückweist, macht
sich mit dem weltweit in der Linken zu verzeichnenden Backlash
antizionistisch-antisemitischer und kulturalistischer Ideologien gemein. 

Dringend zu verabschieden ist auch die sich im Fahrwasser bestimmter
postmodern inspirierter Rassismustheorien verbreitende pauschale Identifizierung von
Rassismus und Kolonialismus mit der Aufklärung. So richtig die Kritik ist,
dass die objektivierende Herrschaftsperspektive auf die kolonisierten
»Anderen« ein Teil der Dialektik der Aufklärung ist, so hat es sich politisch fatal
ausgewirkt, daraus eine Generalabrechnung mit der Aufklärung im Namen des
Antirassismus zu machen. Es führt kein Weg daran vorbei: Antirassismus ist
unabdingbar an die Selbstreflektion des emanzipatorischen Universalismus der
Aufklärung gebunden

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