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Thread: choxT00544 Message: 1/1 L0 [In date index] [In thread index]
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[chox] luther



Luther:
Ein Film in Deutschland

Von Max Brym

Äußerst erfolgreich läuft in den Kinos in Deutschland der Film "Luther". Uwe
Ochsenknecht, der darin Papst Leo den X. spielt, erklärte anlässlich der
Filmpremiere in München: "In Deutschland fehlen uns Personen mit dem Mut und der
Charakterstärke eines Martin Luther". Das passt in die gegebene politische
Landschaft, versuchen doch gerade jene die den sozialen Kahlschlag in
Deutschland durchsetzen, sich selbst mit Attributen wie "reformstark" ,"mutig" und
"charakterstark" hervorzutun.

Wenn in diesem Kontext die Geschichte benützt, verklärt und entstellt wird,
so ist das im Sinne der politischen Kaste. Gut gemachte Verklärung garniert
mit Halbwahrheiten zeichnen den Film "Luther" aus.


Luther war kein theologisch inspirierter Held

In dem Film wird der Bauernsohn und spätere Professor Luther zum deutschen
Helden, der sich in der Tat dem widerwärtigen Ablasshandel der römischen
Kirche entgegenstellte. Der Ablasskrämer Tetzel wird im Film demaskiert und die
Werbetechniken des katholischen Klerus in Sachen Seelenheil plastisch
dargestellt. Der Protest dagegen war im damaligen Deutschland völlig gerechtfertigt,
Papst Leo der X. hatte einen Ablass ausgeschrieben, der ihm die ungeheure
Summe von 50.000 Dukaten einbringen sollte. Als Haupteinkommensquelle sah der
Vatikan das feudal zersplitterte Deutschland vor. In den ökonomisch
fortschrittlichen, absolutistischen Monarchien Spanien, Frankreich und im österreichische
Kernimperium war der Katholizismus nur noch in der Funktion, den
Absolutismus ideologisch abzusichern oder wie in Spanien, die Ideologie mit
polizeilichen Repressalien zu ergänzen. In diesen Ländern hatte der König das
entscheidende Wort bei der Besetzung der höheren geistlichen Stellen. Gelderhebungen für
den Papst ohne Zustimmung des Königs waren verboten. Diese Länder hatten
sich von der römischen Ausbeutung zu befreien gewusst und sich nunmehr vom
Papsttum loszureißen lag ihnen umso ferner, als sie daran denken konnten, den
Papst selbst zu ihrem Werkzeug zu machen und durch ihn über die ganze
Christenheit zu herrschen.

Als Herren des Papstes wollten sie die christlichen Völker ausbeuten. Der
damalige deutsche Kaiser eroberte zuerst Rom, um dann um so unerbittlicher den
Katholizismus zu verteidigen. Relativ breiten Handlungsspielraum hatte die
katholische Kirche im fürstlich dominierten Deutschland. Die frühbürgerlichen
Zustände hatten über die verallgemeinerte Ware-Geld-Beziehung, die Bauern in
maßloses Elend gestürzt. Die Ausbeutung auf der Basis von Naturalabgaben hatte
natürliche Grenzen, mit der entscheidenden Rolle des Geldes war der
Ausbeutung keine Grenze mehr gesetzt. Das Land hungerte, sowohl der weltliche wie der
klerikale Adel griff nach den Gemeindewiesen und den Wäldern der Bauern.
Grund und Boden wurden dem Wertgesetz unterworfen, was bedeutete, Grund war am
wertvollsten, wenn möglichst wenig Personen einen möglichst großen Ertrag
erbrachten.

Massenhaft wurden Bauern von ihren Höfen vertrieben und einer schrecklichen
Blutgesetzgebung unterworfen. Längst hatte sich die mittelalterliche
"Gemütlichkeit" (der Begriff blauer Montag stammt aus dieser Zeit) in Luft aufgelöst.
Unter dem Gesetz der Profitmaximierung war der Spruch "unterm Krummstab ist
gut leben" obsolet geworden. Die katholischen Feudalherren waren mit dem
Handelskapital verwoben, die Ware-Geld-Beziehung senkte die katholische
Armenfürsorge dramatisch, jene wurde jedoch nie ganz eingestellt. Bestimmte Dinge sind
sehr langlebig, die christlichen Feiertage wurden später ein Ärgernis für
die liberalen "Manchester-Kapitalisten". Aber zurück in die Vergangenheit und
zum Film.

Der Film zeigt einen Martin Luther, wie er zum Teil wirklich war. In seiner
Zeit war er ein glänzender Redner, der Herr Professor aus Wittenberg vergaß
über den Professor den Bauern nicht. Seine Vorlesungen an der Universität
waren tatsächlich ein Renner. Mit beißender Ironie und Schärfe geißelte er die
Doppelmoral der katholischen Kirche, eine Zeitlang sympathisierte er mit den
revolutionären Bestrebungen der Bauernschaft. Letzteres zeigt der Film nicht.
Statt dessen werden seine 95 Thesen, die er im Herbst 1517 an die Kirche in
Wittenberg nagelte, zur revolutionären Tat verklärt. In Wirklichkeit waren
diese Thesen nur eine bescheidene Anklage "gegen die missbräuchliche Handhabung
des Ablasshandels." Die päpstliche Autorität stellte Luther mit diesen Thesen
nicht in Frage.

Nach den Thesen zu Wittenberg entwickelten sich die Kämpfe der damaligen
politischen Lager in Deutschland in einer neuen Dimension. Der Kurfürst
Friedrich von Sachsen war für seine Person ein sehr frommer, gläubiger, ja selbst
bigotter Katholik, aber auch damals schon hörte in Geldsachen die Gemütlichkeit
auf und er verbot den Ablasskrämern das Betreten seines Landes. Die Krämer
wollten sich ursprünglich mit besonderem Eifer auf das Kurfürstentum Sachsen
stürzen, das damals durch den Segen seiner Bergwerke das reichste Land in
Deutschland war. Dieser sächsische Kurfürst wird im Film zum liebenswerten alten
Mann mit Sinn für den Reformator Luther. Nirgendwo wird gezeigt, dass es bei
dieser Unterstützung um nichts anderes als den schnöden Mammon ging. Der
"Held" Luther hatte deshalb einen bestimmten Mut, weil die Fürstenbande selbst
ihre Bauern schröpfen wollte und deshalb dem in Eisleben geboren Luther unter
ihre Fittiche nahm.

Luther hatte mit seiner Bibelübersetzung ins Deutsche entscheidenden Anteil
an der Herausbildung der deutschen Sprache. Im Film wird nur gezeigt, wie die
Übersetzung der Bibel den sächsischen Kurfürsten erfreute. Dass die
Übersetzung dadurch auch urchristliche Texte bekannt machte und damit den
Bauernaufstand von 1525 befruchtete, wird dezent verschwiegen.


Luther der Fürstenknecht

Am 2. April 1525 erhoben sich in vielen Teilen Deutschlands die Bauern. Die
wachsende Not, die mit der Umwandlung der Natural- in die Geldwirtschaft über
die bäuerliche Klasse gekommen war, hatte seit dem Jahre 1476 eine Reihe von
bäuerlichen Aufständen, namentlich in Süddeutschland hervorgerufen. Darunter
die Bauernverschwörungen, die unter dem Namen des Bundschuhs und des armen
Konrads historischen Ruf gewonnen hatten. Aber sie alle blieben örtlich
beschränkt und wurden bald niedergeschlagen. Erst als die Reformationsbewegung das
ganze Land in seinen Tiefen aufwühlte, gelang eine Bauernverschwörung über
das ganze Reich hin.

Im Reformationsstreit spielte Luther als Getriebener eine positive Rolle.
Trotz aller Protektion durch bestimmte Fürsten, kokettierte Luther eine Zeit
lang relativ offen mit den bäuerlichen Anliegen. Das änderte sich fast
schlagartig als der Bauernaufstand begann. Luther wand sich in einer klösterlichen
Zelle in "religiöser Pein" (das wird in dem Film gezeigt), um dann geläutert
gegen den Bauernaufstand Front zu machen. Letzteres unterschlägt der Film
komplett, Luther bedauert nur die Opfer und das Blutbad. In Wahrheit riet Luther
zunächst seinen fürstlichen Brotgebern mit den Bauern zu verhandeln, um Zeit
zu gewinnen. Ein Gedanke, den der Adel selbst hatte, denn der Aufstand kam
überraschend. Nachdem die Starre gewichen war, veranstalteten die "Blaublütler"
ein entsetzliches Bauernmassaker. Am 6. Mai 1525 veröffentlichte Luther seine
Schrift "Wider die räuberischen und mordenden Bauern". Darin animierte
Martin Luther die Fürsten dazu, "zu hängen, zu schlagen" und "zu töten". Doch
dieses Pamphlet im blutrünstigen Henkerstone war nur eine leere Prahlerei, denn
die Fürsten, evangelische wie katholische, bedurften seiner Mahnung gar nicht,
um ein grausames Gemetzel unter den Bauern anzurichten.

Einen wirklichen Dienst im Bauernkrieg leistete Luther seinen Brotgebern
dennoch, er denunzierte mehrmals den bäuerlich-plebejischen Revolutionär Thomas
Münzer (1490- 1525). Luther war ein kriechender Fürstenknecht geworden. Aus
seiner Bibelübersetzung machte er nunmehr einen Fürstenkatechismus. Die
evangelischen Fürsten reformierten in ihrem Sinne, indem sie sich zu obersten
Bischöfen ihrer Landeskirche erklärten, das Luthertum durch ihre Hofpfaffen zu
einer Religion des beschränkten Untertanenverstandes ausbilden ließen und
namentlich die reichen Kirchengüter in ihre Tasche steckten. Der Protestantismus
setzte sich im wesentlichen in den rückständigsten deutschen Landesteilen fest
und wurde zur Haus und Hofreligion des späteren preußischen Adels.


Luther der Antisemit

Der späte Luther war ein erklärter Antisemit. Um es genauer zu sagen, der
erste völkisch "moderne" Antisemit auf deutschem Boden. Luther erweiterte den
christlichen Antijudaismus der katholischen Kirche. Nicht ohne Grund
verteidigte sich Julius Streicher im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess mit Zitaten
von Martin Luther. Der Film "Luther" verschweigt diese Tatsache vollständig.
Damit entspricht der Film dem Zeitgeist, denn man kennt zwar Antisemiten oder
ist gar selbst einer, aber man spricht nicht darüber.

Die Person Luther begann ihre Karriere nicht als Antisemit. In einigen
seiner Reden an der Universität zu Wittenberg wandte sich der junge Luther gegen
die Exzesse des christlichen Antijudaismus. Ungeachtet dessen wollte Luther
stets die Juden bekehren. Nachdem er sich in einen vollständigen Fürstenknecht
verwandelte und sein Lob auf die abstrakte Arbeit zugunsten der Fürsten sang,
entwickelte Luther massiv Elemente des "modernen" Antisemitismus. Luther
adelte die Arbeit als solche und verklärte sie zur höchsten Tugend des
Christenmenschen. Die Verausgabung von Schweiß ohne nach dem Sinn des Ganzen zu fragen
erklärte Luther zur höchsten Tugend des Christenmenschen. Im Gegensatz zum
Kalvinismus hatte Luther einen extrem engen Arbeitsbegriff, der Schweiß an
sich, ohne nach dem Gebrauchswert der Glocke zu fragen, war für Luther das non
plus ultra.

Selbstverständlich verband er dies mit einem extremen Untertanengeist
gegenüber der "gottgegebenen Obrigkeit". Zudem verstand sich Luther als "deutscher
Patriot". Er konstruierte zu seinem Nationalismus und seinem Arbeitsbegriff
ein Gegenvolk. Dieses Gegenvolk waren die Juden, Luther schrieb, "daß das
deutsche Geld und Gut durch den schmarotzenden und wucherischen Juden bedroht
sei". Weiter schrieb Luther über den angeblichen Gegner: " Sie faulenzen, pompen
und braten Birnen, fressen, saufen, leben sanft und wohl von unserem
erarbeiteten Gut". Luther entwarf ein Konzept der Zwangsarbeit für Juden, war aber
zugleich skeptisch bezüglich des Erfolgs. Deshalb plädierte er für ihre
Vertreibung, "dass man ihre Synagoge oder ihre Schule mit Feuer anstecke und was
nicht verbrennen will mit Erde überhäufe".

Der moderne Antisemitismus des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts,
konnte sich stark auf den reaktionären Antijudaismus der katholischen Kirche
stützen. Wesentlich stärker allerdings auf den offenen Antisemitismus eines
Martin Luther. In der Endphase der Weimarer Republik erwiesen sich neben den
roten Arbeiterzentren die mehrheitlich katholischen Gebiete als wesentlich
resistenter gegen die nazistische Ideologie als das protestantische Milieu.

Es geht nicht an, einen vollkommen unkritischen Lutherfilm in den Kinos zu
tolerieren. Luther war kein Heiliger, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut
in einer konkreten historischen Situation. Ein Mensch in seinem Widerspruch,
wer die reaktionären und barbarischen Seiten von Luther nicht kritisiert, von
dem ist in der Gegenwart nichts gutes zu erwarten.



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