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[ox-de-work] Re: [ox-de-raw] Re: [ox-de] Request for Comments: Die Peer-Ökonomie



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* Hans-Gert Gräbe <hgg hg-graebe.de> [2007-10-17 13:19]:
Hallo Stefan und Christian,

Stefan Meretz schrieb:
Ich finde es immer wieder toll, wie bei dir die Dinge selbst agieren:
"Wert ist ein gesellschaftliches Verhältnis, das(s) im Tausch
Arbeitsquanta in den getauschten Produkten vergleicht." Marx nannte
das - glaube ich - Fetisch oder so.
Richtig, you got it: Fetisch. Marx fand das auch "toll", seine 
Liebungsworte dafür war "gespenstisch" und "verzaubert". Das verrückte ist 
nur, dass du (und ein paar andere, die mir das auch schon schrieben), 
offensichtlich meine _Darstellung_ für den Fetisch halten und nicht die 
_Sache_ selbst. So wurde und wird Marx immer wieder gelesen: Als ob der 
Fetisch etwas ist, auf den man reinfallen könne, wenn man nicht klug genug 
ist, ein Schein, den man als Kluger durchschauen und _damit_ los werden 
könne.

"So wurde und wird Marx immer wieder gelesen" - nun, es tröstet mich, dass 
ich da nicht allein auf weiter Flur bin. Ob das mit dem "reinfallen" dem 
entspricht, was dieses ominöse Passivum ("wird gelesen") dort bei Marx 
rausliest, sei dahingestellt bei meiner ersten Feststellung - nämlich, dass 
es offensichtliche Differenzen zwischen der Meretzschen und der Gräbeschen 
Interpretation (auch) dieses Marxschen Gedankens sind.

Ob die Meretzsche die "wahre" ist und es für einen Dialog (so überhaupt 
gewünscht)

mit der - hoffentlich auch bei dir noch geltenden - Marxschen Annahme
kopple, dass es sich dabei um irgendeine Form von
Arbeitsaufwandrechnung  handelt, die sich in diesen Zahlen
manifestiert, 
Sorry, das ist keine Marxsche, sondern -- wer es gelesen hat, erkennt es 
sofort -- eine Rubensche Annahme, die ich anderswo als bürgerliche 
Ökonomietheorie bezeichnet habe, ...

hilfreich ist, die Rubensche oder Gräbesche auf diese Weise als 
Abweichungen, wovon auch immer, zu kennzeichnen - auch das sei 
dahingestellt.

Zum Glück sind die Marxschen Aussagen über den Fetisch überschaubar, so dass 
sich jede(r) selbst ein Bild machen kann - als zentral ist wohl der 
entsprechende Abschnitt 4 in (MEW 23, Kap. 1) zu betrachten, den ich hier 
mal als bekannt voraussetze, da er ja auch online gut verfügbar ist, etwa 
unter http://www.mlwerke.de/me/me23/me23_049.htm

Zentral deshalb, weil Band 1 bekanntlich die älteste originär Marxsche 
Behandlung des Gegenstands enthält, während die späteren Kapitalbände von 
Engels aus früheren Marxschen Entwürfen compiliert wurden.

Auch das "Rätsel des Geldfetischs" als "das sichtbar gewordne, die Augen 
blendende Rätsel des Warenfetischs" (ebenda, S. 108) - nach mehreren Seiten 
quantitativer Überlegungen, was denn "x Ware A = y Ware B" bedeutet - wird 
auf diese Textstelle zurückgeführt. Ehe es im 3. Kapitel dann endgültig um 
das "Maß der Werte" geht.  Wobei ich mit Ruben mitgehe, dass Marx beim 
"Rätsel des Geldfetischs" selbst der Wirkung des Fetischs aufsitzt, denn das 
"Rätsel" hat eine (für mich) einfache Auflösung: Geld ist *keine* Ware, 
sondern eine Verrechnungseinheit. Und zwar schon allein deshalb, weil Geld 
keinen Gebrauchswert (in einer m.E. einzig sinnvollen Semantik) hat - kein 
menschliches Bedürfnis unmittelbar zu befriedigen vermag.

Womit wir bei der Frage mit dem "reinfallen" sind. Marx macht im 
Fetischkapitel selbst vor, worauf es ankommt - eine Differenz zwischen der 
realweltlichen Wirkung und deren theoretischer Reflexion zu machen, also 
hinter ein oberflächliches Erscheinungsbild zu kommen, welches den 
Alltagsverstand prägt.

"So stellt sich der Lichteindruck eines Dings auf den Sehnerv nicht als
subjektiver Reiz des Sehnervs selbst, sondern als gegenständliche Form
eines Dings außerhalb des Auges dar. Aber beim Sehen wird wirklich Licht
von einem Ding, dem äußeren Gegenstand, auf ein andres Ding, das Auge,
geworfen."

Ähnlich gilt es, nach meiner Lesart von Marx, bei der Ware *beide* 
Perspektiven - die oberflächliche, dingliche, "sinnlich übersinnliche" 
Wertbehaftung und das dahinter liegende, sich gesellschaftlich vermittelnde 
Arbeitsaufwandsmaß - theoretisch im Auge zu behalten.

"Es steht daher dem Werte nicht auf der Stirn geschrieben, was er ist. Der 
Wert verwandelt vielmehr jedes Arbeitsprodukt in eine gesellschaftliche 
Hieroglyphe." Sehr verquaste Ausdrucksweise, aber das ist für mich der Kern 
- Fetisch heißt, das Medium (hier: das Arbeitsprodukt) für die Botschaft zu 
halten.

Wie es für mich weitergeht, das kannst du in meinem Arbeitswertpaper 
nachlesen - Wert als dezentrale Aufwandsrechnung, deren vorläufiger 
Charakter im Verkaufsakt seine gesellschaftliche Sanktionierung erfährt, so 
dass sich die "Hieroglyphe" als Anhängsel der berühmten Göhringschen Tasse 
Kaffee nach einem 'unzip' als lange Rechnung von zehntausenden Teilen und 
produktiven Akten erweist, die mit dem Kaffee und der Tasse alle irgendwie 
zu tun haben und alle irgendwann eine Bestätigung erfahren haben. Und die du 
als Konsument normalerweise nicht entpackst, als Produzent aber schon 
teilweise, denn du musst ja selbst eine satisfaktionsfähige Rechnung 
erstellen. Kurz, ein in sich unteilbares gesellschaftliches Verhältnis, weil 
jede individuelle Weiterführung einer Aufwandsrechnung der Bestätigung 
bedarf und sich deshalb an allen anderen bestätigten und unbestätigten 
Aufwandsrechnungen orientiert:

Ich hoffe, ich konnte deutlich machen, was schon in These (2) der 
Zusammenfassung meines Arbeitswertpapers steht: "Auf dem Markt treffen 
sich damit nicht 'Produkte voneinander unabhängig
betriebner Privatarbeiten' (MEW 23, S. 87), sondern
gesellschaftliche Produzenten."

Und damit sind wir dann schon bei der zweiten Frage zum Fetischkapitel, das 
ja in einer arg verquasten Sprache geschrieben ist und damit (mir) deutlich 
macht, dass Marx da selbst noch nicht so ganz mit sich im Reinen war. Bleibt 
zu fragen, ob nach über 150 Jahren ein paar Voraussetzungen, die Marx dort 
implizit reingesteckt hat, sichtbarer geworden und vielleicht auch zu 
hinterfragen sind.

Und das sind für mich wenigstens die folgenden:
(1) Die Ausführungen orientieren sich daran, dass das Aufwandsmaß seiner 
Natur nach ein Zeitmaß sei - ich spare mir, hier zum x-tem Mal (MEW 42, S. 
592) zu zitieren;
(2) Die Ausführungen sind primär aus der Lohnarbeiterperspektive geschrieben 
- "Proletarier aller Länder, vereinigt Euch" sowie die Verdammung jeglichen 
unternehmerischen Handelns sind die analytischen Konsequenzen, die sich im 
Traditionsmarxismus zu dicken blinden Flecken gemausert haben.

(2) führt dann zu Formulierungen wie der folgenden:

"So war es nur die Analyse der Warenpreise, die zur Bestimmung der 
Wertgröße, nur der gemeinschaftliche Geldausdruck der Waren, der zur 
Fixierung ihres Wertcharakters führte. Es ist aber ebendiese fertige Form - 
die Geldform - der Warenwelt, welche den gesellschaftlichen Charakter der 
Privatarbeiten und daher die gesellschaftlichen Verhältnissen der 
Privatarbeiter sachlich verschleiert, statt sie zu offenbaren. Wenn ich 
sage, Rock, Stiefel usw. beziehen sich auf Leinwand als die allgemeine 
Verkörperung abstrakter menschlicher Arbeit, so springt die Verrücktheit 
dieses Ausdrucks ins Auge. Aber wenn die Produzenten von Rock, Stiefel usw. 
diese Waren auf Leinwand - oder auf Gold und Silber, was nichts an der Sache 
ändert - als allgemeines Äquivalent beziehn, erscheint ihnen die Beziehung 
ihrer Privatarbeiten zu der gesellschaftlichen Gesamtarbeit genau in dieser 
verrückten Form."

Mit den "Produzenten von Rock, Stiefel usw." ist aber ganz klar die 
Lohnarbeiterperspektive eingenommen, während der "gemeinschaftliche 
Geldausdruck der Waren" den - wie auch immer zustande kommenden - 
Preisfestsetzungen der Unternehmer entspringt, die (m.E. ganz sicher - siehe 
die Ausführungen zu roten und grünen Stellen im Arbeitswertpaper) einer 
anderen Logik folgen.

Dass es sich allerdings bei dem Wertverhältnis um ein ganzheitliches 
gesellschaftliches Verhältnis handelt, von dem man nicht einzelne 
Komponenten abspalten kann, davon gehe ich aus. Insofern

Ich bin die drei Funktionen des Geldes von Marx durchgegangen, wie dir 
vielleicht aufgefallen ist, und finde die Bezeichnungen auch genauer.

und Christian
Bilanzierend: Wie sieht's also bei Beiträgen (gewichteten Stunden) mit den
drei von Stefan erwähnten Funktionen des Geld hat?
1. Zirkulationsmittel: ja (aber nur im Rahmen einer Kooperationseinheit)
2. Schatz: jein, nur in eng begrenzten Maße
3. Kapital: nein
Es gibt also Gemeinsamkeiten, aber die Unterschiede sind unübersehbar. Wer
trotzdem Beiträge == Geld setzt, wird das Modell des "die Arbeit aufteilen"
(effort sharing) nicht wirklich verstehen (wie auch HGG mit seiner neuen
Mail demonstriert).

Eine solche selektive Auswahl des "best of" kann es m.E. in einem 
praktischen Kontext nicht geben, allein möglicherweise eine andere Dynamik. 
Und das lassen auch die Gleichungen in meinem Arbeitswertpaper erhoffen. Das 
"freie Spiel der Marktkräfte" führt aber immer zur Lösung mit dem 
betragsmäßig größten Eigenvektor, so wie es immer nur die wahrscheinlichste 
der möglichen Zukünfte vorbereitet. Alles andere bedarf außerökonomischer 
Restriktionen, um in einen stabilen Modus derselben ökonomischen Gesetze bei 
einem anderen Eigenwert zu kommen - die sicher auch den infrastrukturellen 
Reproduktionsbedingungen einer "Peer-Ökonomie" entspringen können.

Aber dazu wären eher diese äußeren Existenzbedingungen einer "Peer-Ökonomie" 
aufzuklären als die inneren Bewegungsgesetze. Deshalb auch meine Frage nach 
den Prämissen der Peer-Ökonomie. Und eine hat Christian dankenswerterweise 
sehr deutlich formuliert:

Jeder solche "Kooperationseinheit" ist schließlich nichts anderes als
 ein "Arbeits-Aufteilungs-System": die für die Produktion der von den
 Teilnehmenden gewünschte Arbeit wird unter den Teilnehmern _aufgeteilt_, 
und zwar in einer Weise die für alle akzeptabel sein
sollte. Die Teilnehmenden dieser Kooperationseinheit haben von
_außerhalb_ geleisteter Arbeit aber nichts -- die Arbeit, die
aufgeteilt werden muss, wird dadurch nicht weniger. Deshalb wirst du
in einer _anderen_ "Kooperationseinheit" geleistete Arbeit
normalerweise nicht importieren können.

Deine Brötchen musst du also mitbringen. Wird Benni aber traurig sein.

Insofern wärer es also mal interessant, bestehende Projekte mit Ansätzen 
einer Peer-Ökonomie zu studieren. Am 19.10. habt ihr dazu in Berlin 
Gelegenheit. Wir schauen uns das am 24.10. in Dessau direkt vor Ort an.

Viele Grüße, hgg

Holger



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