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[ox-de-raw] High-Tech-Lebensmittelproduktion



Hi allerseits,

Spiegel Online hat einen interessanten Artikel über
High-Tech-Lebensmittelproduktion: "Landwirtschaft der Zukunft: Wenn
Wolkenkratzer Bauernhöfe werden"
[http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/0,1518,550832,00.html].
Vielleicht auch eine Chance für die Peer-Produktion?

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[...] Weil der Hunger der Großstädte die ländlichen Räume bereits zunehmend
überfordert, planen Ingenieure, Architekten und Umweltschützer eine
Neuauflage des Konzepts urbaner Landwirtschaft: Statt wie einst Grünflächen
für den Ackerbau zu reservieren, soll es künftig in die Höhe gehen.
Vertikale Farmen sollen hinter den Fassaden gewöhnlicher Hochhäuser
entstehen. Zehntausende Stadtbewohner könnten durch solche
Wolkenkratzer-Bauernhöfe ernährt werden – zu einem Bruchteil des Land-,
Wasser-, und Energieverbrauchs, den herkömmliche Landwirtschaft benötigt.

Ein ökologisch wertvoller Plan, zumal viele der in Supermärkten angebotenen
Waren Tausende Kilometer weit reisen. Auch diese Transporte belasten die
Umwelt. Moderne, ultraeffiziente Treibhäuser könnten die Lösung sein, sagt
Theodore Caplow, Chef des New Yorker Ingenieurbüros Sun Works. Nutzpflanzen
ließen sich in solchen Hoch-Treibhäusern mit nur einem Zehntel des auf
freiem Feld nötigen Wassers erzeugen – und auf nur fünf Prozent der Fläche.
Als ersten Schritt will Caplow die flachen Hausdächer moderner Metropolen
mit Treibhäusern versehen. Aber auch Fassaden von Bürogebäuden könnten
dafür umgebaut werden.

Im vergangenen Sommer baute Caplow bereits einen schwimmenden Garten. Auf
einem Lastkahn im New Yorker Hudson River wuchsen Tomaten, Auberginen,
Paprika, Gurken, Salat und Melonen, erzeugt mit wiederverwendetem Wasser
und erneuerbarer Energie. Er wollte zeigen, dass Nahrungsmittel autark und
nachhaltig erzeugt werden können, sagt Caplow. Jeder Einwohner New Yorks
verzehrt 100 Kilogramm Obst und Gemüse pro Jahr. In Treibhäusern auf
Dächern könnte die doppelte Menge wachsen. Und zusätzlich heizen müsste man
die Anlagen nicht: Überschüssige Wärme von Bürogeräten würden solche
innerstädtischen Treibhäuser auch im kältesten Winter versorgen.

Das Dach würde Regenwasser sammeln und verwerten, was die Kanalisation der
Stadt entlasten würde. An einer New Yorker Schule soll das demnächst
vorgeführt werden. Ein Treibhaus wird als Klassenzimmer dienen und die
Kantine versorgen. Weiteren Raum für Treibhaustechnologie hat Caplow in den
verglasten Fassaden moderner Bürohochhäuser entdeckt. Doppelglasfassaden
senken die Energiekosten eines Gebäudes um bis zu einem Drittel, indem die
Wintersonne als Energiequelle genutzt wird. Im Sommer sind allerdings
Verschattungen nötig, um die Strahlung abzuhalten. Nach Caplow könnten
Pflanzen genau diese Aufgaben übernehmen. Hydrokulturen sollen Schatten
spenden und zwischen den Fassadenwänden gedeihen. Zur Erntezeit würden die
Pflanzen mit einer Art Fahrstuhl in die unteren Stockwerke fahren.

Alles können städtische Bauernhöfe jedoch nicht leisten. Getreide wie
Weizen, Mais und Reis seien nicht ideal für Innenräume, sagt Caplow. Diese
brauchen mehr Platz zum Wachsen. Auch kosten deren Lagerung und Transport
nicht viel. Besonders profitabel hingegen sind schnell wachsende Pflanzen
wie Salat oder Kräuter. Vom Saatkorn bis zur Pflanze brauchen sie nur
wenige Wochen, was den Umsatz eines Treibhauses steigert. Und auch
empfindliche Gewächse sind geeignet, die beim Transport leicht beschädigt
werden, etwa Tomaten oder Beeren. Würden diese in der Nähe der Verbraucher
erzeugt, ließen sich die Kosten für Kühltransporte senken und es gäbe
weniger Ausschuss.

Besondere Anforderungen an die Technik künftiger Wolkenkratzer-Bauernhöfe
stellt allerdings die Tierzucht. Sie produziert schließlich nennenswerte
Mengen von Mist und Abfall. Auf dem Lastkahn im Hudson River wurde schon
versucht, Fische, in diesem Fall Barsche, über deren Becken Salat wuchs, in
das Ökosystem eines autarken Treibhauses einzugliedern. Doch bis dies mit
Fischen gelingt oder auch mit anderen Nutztieren, muss noch einiges an
Forschungsarbeit getan werden, sagt Caplow.

Dabei wäre so eine Farm vor sieben Jahren beinahe schon gebaut worden – der
erste vertikale Bauernhof der Welt. Im Hafen von Rotterdam in den
Niederlanden sollte er entstehen. Wissenschaftler hatten dort ein
fünfgeschossiges Gebäude vorgesehen, oben mit Gemüsezucht, unten mit
Hühner- und Schweineställen. Das Haus war so gestaltet, dass es Wasser
wiederverwerten konnte, ebenso wie den Mist der Tiere und den pflanzlichen
Abfall. Die umgebenden Gebäude des Industrieviertels hätten mit ihrer
überschüssigen Wärme zur Energiebilanz beigetragen. Doch nach heftiger
Kritik in den Medien wurde das Projekt abgeblasen, obwohl selbst das
niederländische Landwirtschaftsministerium die Pläne unterstützte.

In den Vorstellungen der Forscher und Planer wachsen die vertikalen Farmen
dennoch in erstaunliche Höhen. Ein Gebäude mit 30 Geschossen könnte 50.000
Menschen mit Gemüse, Früchten, Eiern, Fisch und Hühnerfleisch versorgen,
schätzt Dickson Despommier, Professor für öffentliches Gesundheitswesen der
Columbia University in New York. Mit seinen Studenten entwickelt und
verfeinert er seit einigen Jahren Pläne für wolkenkratzerförmige
Bauernhöfe. In den oberen der 30 Geschosse würden demnach Hydrokulturen
gedeihen, unten sind Hühnerfarmen und Fischbassins vorgesehen. Die Energie
für solch einen Megahof will Despommier aus Windturbinen, Solarzellen und
sogar Gezeitenkraft beziehen. "Am sinnvollsten wäre diese Technik in
Gegenden, wo es viel erneuerbare Energie gibt", sagt er, "auf Island
beispielsweise oder in Neuseeland."

Ein solcher vertikaler Bauernhof könnte in weiten Teilen als
Selbstversorger funktionieren: Tiere würden Pflanzenreste fressen,
Stickstoff und andere Düngemittel würden wiederum aus dem Tiermist gewonnen
oder aus der Kanalisation der umgebenden Stadt. Von Despommiers Gruppe gibt
es bereits Entwürfe: futuristische Hochhäuser, berstend voll mit Pflanzen
und viel Platz für Zuchtvieh. Doch die Realität sei komplizierter, warnen
Kollegen. Despommiers Ideen verlangten technologische Neuerungen, die es
noch nicht gebe, sagt zum Beispiel Jan Broeze, der einst das Projekt in
Rotterdam leitete: Ein mehrstöckiges Treibhaus bräuchte aufwendige
Beleuchtung und Klimaanlagen. Und das Gebäude selbst müsse die Baukosten
mit dem Ausstoß von Lebensmitteln erst einmal amortisieren –
betriebswirtschaftlich kein Kinderspiel.

Gene Giacomelli, Direktor des Controlled Environment Agriculture Center an
der University of Arizona in Tucson, arbeitet bereits an Lösungen für
einige dieser Probleme. Er experimentiert mit Glasfaserkabeln, die
Sonnenlicht mit dem benötigten Farbspektrum in das Innere des Gebäudes
bringen. Auch Systeme, die Kohlendioxid, Sauerstoff und Luftfeuchtigkeit
regeln, werden nötig sein. Giacomelli und seiner Gruppe kommt dabei zugute,
dass sie bereits ein 300.000 Euro teures Treibhaus in einer der extremsten
Gegenden der Welt entwickelt haben: am Südpol. Dort entstand ein
Gewächshaus, das Antarktisforscher mit Lebensmitteln versorgt. Auch mit der
Nasa wurde bereits verhandelt: über eine Biosphäre für den Mond.

Trotzdem seien Hochhaus-Bauernhöfe noch ein gutes Stück von der Realität
entfernt, sagt Giacomelli. Er sehe in der ersten Phase nicht Neubauten,
sondern existierende Gebäude, die in Teilen umfunktioniert werden. Dann
stehen nicht so horrende Baukosten im Weg. Aber auch eine weitere Hürde
müssen die Planer vertikaler Farmen noch überwinden: den öffentlichen
Widerstand gegen die scheinbar industrialisierte Erzeugung von
Nahrungsmitteln – jene Skepsis, die einst das Projekt in Holland scheitern
ließ.

Caplow hält Kritikern entgegen: "Wir wollen nur Pflanzen, die heute
irgendwo in Hydrokulturen wachsen, in die Städte umpflanzen." Und Peter
Smeets, Agrarwissenschaftler der niederländischen Organisation TransForum,
argumentiert: In einem traditionellen Bauernhof sei schließlich auch nichts
weggeworfen worden. Diese Tradition habe erst aufgehört, als Dünger und
Diesel dazukamen.

Der Ort, wo vertikale Farmen ihre ersten Prüfungen in der realen Welt
bestehen müssen, wird wahrscheinlich China sein. Despommier arbeitet
bereits mit Forschern der Chinesischen Akademie für Agrarwissenschaften an
einem Demonstrationsobjekt vor den Stadtgrenzen Pekings. Das Ziel ist ein
fünfgeschossiger Bauernhof mit mehreren Restaurants, in denen die Produkte
des Hauses angeboten werden. Und in Dongtan bei Shanghai setzen Broeze,
Smeets und Kollegen ihre in Rotterdam gescheiterten Planungen mit
chinesischen Experten fort. Die Gestalter von Dongtan wollen die erste
komplett nachhaltige Stadt errichten, mit neutraler Kohlendioxidbilanz und
ohne Luftverschmutzung. Im Stadtgebiet sollen so viele Lebensmittel erzeugt
werden, wie auf Äckern gleicher Fläche wachsen würden. [...]
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Ciao
	Christian

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wie torvalds schon sagte: "show running code!" oder ein gewisser herr marx
in eine aehnliche kerbe schlagend: "die philosophen haben die welt nur
verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu veraendern."
        -- Franz Schäfer, Oekonux



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