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[ox-de-raw] Menschenrechtler kritisieren katastrophale Produktionsbedingungen und Ausbeutung in der High-Tech-Branche



Tiefe Schatten auf der digitalen Welt
Menschenrechtler kritisieren katastrophale Produktionsbedingungen und Ausbeutung in der High-Tech-Branche

Von Markus Balser

Bis tief in die Nacht brennt derzeit das Licht in den Messehallen von Hannover. Arbeiter an einer schillernden Markenwelt zimmern Firmenauftritte, ziehen Folien von glänzenden Logos und rücken Flachbildschirme und Handys ins rechte Licht. Computer fürs Wohnzimmer, winzige Musikanlagen für unterwegs: nach enttäuschenden Jahren beschwört die Industrie zur weltgrößten IT-Messe Cebit den Aufbruch in eine schöne, digitale Welt. Doch dem sorgsam gepflegten Hochglanzimage drohen tiefe Kratzer. Denn anlässlich der Cebit werfen Kritiker ein Schlaglicht auf die miserablen Produktionsbedingungen vieler internationaler Hightech-Unternehmen.

"Digital Living" berge das Risiko, Menschenrechtsverletzungen und Umweltprobleme zu fördern, warnt Kristina Rüter von der unabhängigen Ratingagentur Oekom Research aus München. Angesichts eines wachsenden Preisdrucks und immer schnellerer Zyklen in der Produktentwicklung von Computern und Unterhaltungselektronik werde nur ein Teil der Hersteller seiner Verantwortung gegenüber der Gesellschaft gerecht, stellt Oekom nach einer Untersuchung von 59 IT-Konzernen fest. Viele westliche Marken hätten ihre Produktion an Lieferanten in Niedriglohnländern wie China und den Philippinen ausgelagert, in denen die Rechtslage für Arbeiter miserabel sei. Nur wenige, Hewlett-Packard und Dell etwa, hätten Zulieferer wirksam auf Mindestlöhne, maximale Arbeitszeiten und Umweltvorgaben verpflichtet, klagt Rüter. Zwar hätten weit mehr Unternehmen Probleme bei ihren Geschäften ausgemacht und soziale Mindeststandards formuliert. "Meist aber existieren die nur auf dem Papier", so Oekom. Beim Einkauf spielten sie selten eine Rolle, Zulieferer würden nicht auf die Einhaltung der Regeln überprüft.

Hungerlöhne, Vergiftungen, 13-Stunden-Schichten - katastrophale Zustände deckte die niederländische Menschenrechtsorganisation Stichting Onderzoeg Multinationale Ondernemingen (Somo) in einer vom niederländischen Außenministerium geförderten Studie auf. Mobiltelefon-Hersteller wie Nokia und Motorola kaufen laut Somo in großem Stil bei Firmen in Asien ein, deren Angestellte unter menschenunwürdigen Bedingungen arbeiten müssen. Mitarbeiter in der Produktion des Motorola-Zulieferers Hivac Startec in der chinesischen Sonderwirtschaftszone Shenzhen bei Schanghai seien ohne Schutzkleidung hochgiftigen Stoffen ausgesetzt gewesen, klagt Somo. Erst nach drei Monaten und Anzeigen bei den Behörden seien die am schwersten vergifteten Mitarbeiter ins Krankenhaus gebracht worden. Schutzlos sollen auch Mitarbeiter des thailändischen Nokia-Zulieferers Namiki mit giftigen Substanzen hantiert haben. Statt Atemschutz zum Schweißen und Löten verteilte die Geschäftsführung an ihre Belegschaft Somo zufolge jeden Tag eine Ration Milch, die den Körper reinigen sollte. Motorola hat nach ersten Hinweisen der Niederländer seinen Zulieferer überprüfen lassen. "Wir sind auf gravierende Probleme gestoßen", räumt ein Sprecher ein. Der Konzern habe deshalb weltweit verbindliche Vorgaben für Zulieferer erlassen.

Rechtsverstöße bei der Produktion von DVD-Recordern, Fernsehern, Handys oder Laptops seien global agierenden Konzernen selten nachzuweisen, sagt Oekom-Analystin Rüter. Lange Lieferketten von bis zu zwölf Zulieferern erschwerten die Kontrollen. Vor allem bei Verstößen gegen Arbeitszeiten und Mindestlöhnen sei man auf Hinweise der oft eingeschüchterten Belegschaft angewiesen. Besonders in China reiche die Bezahlung der Mitarbeiter oft nicht für das Nötigste. Die Firma Giant Wireless soll Arbeitnehmern in chinesischen Fabriken 2003 einen Stundenlohn von zwölf Cent in Dollar - umgerechnet neun Cent in Euro - stellte Somo fest. Damit lag die Bezahlung noch unter chinesischen Mindestlöhnen. Erst nach Protesten habe die Firma ihre Gehaltszahlungen angehoben, erklärt Somo weiter.

Harte Kritik übt auch das Freiburger Öko-Institut an der zögerlichen Haltung der IT-Hersteller. In den großen Absatzmärkten registriert das Institut zwar ein steigendes Bewusstsein bei Verbrauchern für soziale Themen. Das Angebot, zum Beispiel bei Notebooks, gebe allerdings noch keinerlei Entscheidungshilfe für sozial nachhaltigen Konsum. Die Industrie sei noch einige Jahre vom fairen Computer entfernt, sagt Andreas Manhart vom Öko-Institut. Auch Oekom-Analystin Rüter ist sich sicher: "Bis Verbraucher das digitale Leben mit gutem Gewissen genießen könnten, bleibt einiges zu tun."

Quelle: Süddeutsche Zeitung
Nr.60, Dienstag, den 13. März 2007 , Seite 2



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