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[ox-de-raw] Re: [ox-de] Frithjof Bergmanns Freiheitsbegriff



Christian Siefkes wrote:
Hallo Stefan, hallo alle,

Stefan Merten schrieb:
Während alle diese Konzepte auf die eine oder andere Weise übers Ziel
hinausschießen und echte Freiheit zu einer unmöglichen oder zumindest
sehr traurigen (wie im Falle totaler Autonomie) Sache machen würden,
identifiziert Bergmann eine gemeinsame Grundidee der verschiedenen
Konzepte: "Eine Handlung ist frei, wenn der Handelnde sich mit den
Wesenselementen identifiziert, aus denen sie entspringt; sie ist
erzwungen, wenn der Handelnde sich von dem Wesenselement disoziiert,
das die Handlung erzeugt oder veranlasst." (S. 66)

Das ist für mich ziemlich genau die Definition für Entfremdung. Das
ist aber nochmal was anderes als Freiheit.

Hm, ich finde den Begriff der Entfremdung nicht unproblematisch, da er
leicht (wie beim jungen Marx) in einer idealistischen Weise gebraucht wird
(nicht-entfremdet ist dann, was einem angenommenen Idealbild der
"menschlichen Natur" entspricht). Dementsprechend wird der Begriff auch
häufig normativ verwendet -- man nimmt an, für _andere_ entscheiden zu
können, ob deren Tätigkeiten entfremdet sind oder nicht (z.b. wenn
behauptest, dass Lohnarbeit generell entfremdete Arbeit ist). Das ist
nicht gut.

Nicht um's Entscheiden geht es, sondern um's Verstehen. Man glaubt zu
verstehen ob und wie Menschen entfremdet sind (oder nicht). Was ist daran
nicht gut ? Zum Problem wird das erst wenn der Erkenntnisprozess der
Ideologie untergeordnet wird, d.h. wenn man Entfremdung sehen will und
sie deshalb auch "uberall sieht.




Deshalb nützt es Bergmann zufolge auch wenig, wenn eine Gesellschaft
Institutionen organisiert, die Wahlfreiheit und Mitbestimmung
zulassen (wie dies etwa in der parlamentarischen Demokratie
[http://de.wikipedia.org/wiki/parlamentarische_Demokratie] der Fall
ist), solange diese Gesellschaft so eingerichtet ist, dass diese
Identifikation, diese Selbstentfaltung
[http://www.freie-gesellschaft.de/wiki/Selbstentfaltung], erschwert
oder verhindert wird. Dies macht begreifbar, warum viele Menschen,
trotz der nominellen Wahlfreiheit, heute nicht das Gefühl haben,
besonders frei zu sein: im Kapitalismus stehen sie fast immer unter
dem Zwang externer Umstände (wie dem Zwang, Geld zu verdienen), die
ihren realen Handlungsmöglichkeiten enge Grenzen ziehen und die es
ihnen fast unmöglich machen, herauszufinden und zu tun, was ihnen
wichtig ist.

Hier läuft aber jemensch in eine Falle: Abwesenheit von Zwängen ist ja
wie oben dargelegt eben kein vernünftiger Freiheitsbegriff. Qualitativ
kann's das also nicht sein. Eine quantitative Bestimmung - soundsoviel
Zwänge machen unfrei - scheint mir müßig.

Ja, aber andersrum wird ein Schuh draus: Zwänge, Sachzwänge ebenso wie
gesetzliche, können die Freiheit der Menschen beschränken.

Hier habe ich auch wieder meine Schwierigkeiten mit der Formulierung
(oder dem Ansatz): "...k"onnen die Freiheit der Menschen beschr"anken."
erinnert mich an eine Lange Diskussion die wir vor einiger Zeit hier
hatten, wo es genau darum ging, ob es so eine prim"are Freiheit "uberhaupt
gibt, die dem Individuum (damals: dem Kleinkind) St"uck f"ur St"uck von
der Gesellschaft entzogen wird.

Menschen existieren aber nur innerhalb der Gesellschaft. Somit macht
es wenig Sinn sie als 'freie' Individuen zu denken, die erst a posteriori
vergesellschaftet werden.


Gruss,
		Stefan

-- 

      ...ich hab' noch einen Koffer in Berlin...



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