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[ox-de] keimform.de: Produzieren ohne Geld und Zwang



URL: http://www.keimform.de/2011/produzieren-ohne-geld-und-zwang/

[VersiÃn en espaÃol
<http://www.keimform.de/2011/producir-sin-dinero-y-coercion/>]

Dieser Text ist mein Beitrag fÃr die Konferenz "Andere mÃgliche Welten?"
<http://www.keimform.de/2011/conference-on-other-possible-worlds/> (ÂOtros
mundos posibles?), die im Mai in MedellÃn (Kolumbien) stattfand. Alle
BeitrÃge der Konferenz werden in einem Sammelband der
Rosa-Luxemburg-Stiftung
<http://de.wikipedia.org/wiki/Rosa-Luxemburg-Stiftung> erscheinen, der Ende
des Jahres in deutscher sowie in spanischer Sprache verÃffentlicht werden
soll.

Die Bewegung zum Commonismus
----------------------------

Stellen wir uns eine Welt vor, in der Produktion und Reproduktion
bedÃrfnisorientiert zum Wohle aller stattfinden, organisiert von Menschen,
die sich niemandem unterordnen mÃssen und sich freiwillig in die
erforderlichen TÃtigkeiten teilen. Ich nenne eine solche Gesellschaft
*Commonismus,* weil ich glaube, dass darin die *Commons,* die GemeingÃter,
eine wichtige Rolle spielen werden.

Man mag einwenden, dass eine solche Gesellschaft unmÃglich sei, weil es sie
noch nicht gab oder weil sie der Natur des Menschen widerspreche. Doch
daraus, dass es etwas noch nicht gab, kann man nicht schlieÃen, dass es
unmÃglich ist; und Argumente zur "Natur des Menschen" Ãbersehen, dass die
Menschen nicht nur die Gesellschaft machen, sondern umgekehrt auch durch
die Gesellschaft beeinflusst und geprÃgt werden. Ãndern sich die
Strukturen, Ãndert sich auch das Verhalten der Menschen.

Der Commonismus bliebe allerdings eine abstrakte Idee, wenn er nicht das
Zeug hÃtte, aus der heutigen Gesellschaft, dem Kapitalismus, heraus zu
entstehen. Karl Marx (1859, 9) sagte dazu, dass "die materiellen
Existenzbedingungen" neuer ProduktionsverhÃltnisse "im Schoà der alten
Gesellschaft selbst ausgebrÃtet" werden mÃssen.

Eine commonistische Gesellschaft hat meiner Ansicht nach zwei wesentliche
Voraussetzungen, deren Entwicklung durch die kapitalistische Logik zum Teil
begÃnstigt wird, wÃhrend ihre vollstÃndige Umsetzung im Widerspruch zum
Kapitalismus steht: (1) Menschliche Arbeit verschwindet aus dem
Produktionsprozess, sie wird durch Automatisierung und Selbstentfaltung
ersetzt. (2) Der Zugang zu Ressourcen und Produktionsmitteln steht allen
gleichermaÃen offen.

Wie diese Voraussetzungen die Produktionsprozesse verÃndern, wird bislang
im Bereich der digitalen Produktion von Software und anderen
InformationsgÃtern am deutlichsten sichtbar. Die *Freie-Software-* und
*Freie-Kultur-Bewegung* hat diesen Kernbereich der modernen Produktion so
grundsÃtzlich umgewandelt, dass bestimmte MÃrkte deutlich geschrumpft oder
gar komplett verschwunden sind. Dies betrifft etwa Internetsoftware,
Software fÃr Programmierer/innen und EnzyklopÃdien. In diesen Bereichen
haben sich frei verwendbare Programme wie Apache, Firefox, WordPress, frei
nutzbare Programmiersprachen wie Python, Entwicklungsumgebungen wie Eclipse
sowie die freie Internet-EnzyklopÃdie Wikipedia durchgesetzt.
Konkurrenzangebote, die gemÃÃ der Ãblichen kapitalistischen Logik nur
kÃuflich erwerbbar sind, haben nahezu keine Chance mehr. Indem sie MÃrkte
zum Verschwinden bringt, weist diese Bewegung Ãber den Kapitalismus hinaus.
Zugleich basiert sie aber auf Voraussetzungen, die im Kapitalismus
entstehen und der kapitalistischen Logik zufolge entstehen *mÃssen.*

Ein Paradox des Kapitalismus ist, dass die menschliche Arbeit einerseits
seine Grundlage ist, andererseits aber ein Kostenfaktor, den jedes
Unternehmen mÃglichst stark reduziert. Arbeit ist Quelle des Mehrwerts und
damit des Profits, doch zugleich kann jedes Unternehmen seinen Profit
zumindest temporÃr dadurch erhÃhen, dass es Arbeit einspart und so
gegenÃber seinen Konkurrenten einen Kostenvorteil erzielt. Arbeit in
BilliglohnlÃnder auszulagern, ist eine MÃglichkeit zur Kostensenkung, doch
noch besser ist es aus unternehmerischer Sicht, sie durch Maschineneinsatz
oder durch von den Kund/innen freiwillig und unentgeltlich Ãbernommene
TÃtigkeiten zu ersetzen.

Bis vor einigen Jahrzehnten ging der Einsatz von Maschinen und menschlicher
Arbeit meist Hand in Hand, etwa bei der FlieÃbandarbeit. Doch mit
zunehmender Automatisierung wird die menschliche Arbeit bei
RoutinetÃtigkeiten immer entbehrlicher. Ãbrig bleiben Arbeiten, die sich
kaum automatisieren lassen, weil sie KreativitÃt, Intuition oder
EinfÃhlungsvermÃgen erfordern. Deshalb ist in Bezug auf den modernen
Kapitalismus oft von "Dienstleistungs-" oder "Informationsgesellschaft" die
Rede, weil die meisten nicht automatisierbaren TÃtigkeiten in diese
Bereiche fallen.

Zudem werden Aufgaben an die Kund/innen selbst delegiert, was weitere
ArbeitskrÃfte einspart. Dank Selbstbedienung brauchen SupermÃrkte weniger
VerkÃufer/innen; beim Online-Shopping und Online-Banking werden die
VerkÃufer bzw. Schalterangestellten ganz ÃberflÃssig; Ikea ÃberlÃsst den
Kund/innen das Zusammenbauen ihrer MÃbel und spart so Personal und
Transportkosten.

Doch diese Entwicklungen verÃndern zugleich den Charakter des Tuns. Als
Angestellter arbeite ich, um Geld zu verdienen. Wenn ich jedoch meine
eigenen MÃbel zusammenbaue oder im Internet nach fÃr mich geeigneten
Produkten suche, dann interessiert mich das *Ergebnis* meines Tuns. Und
durch die zunehmende Automatisierung werden langweilige RoutinetÃtigkeiten,
die man nur gegen (Schmerzens-)Geld erledigt, zunehmend durch kreativere
und daher auch inhaltlich interessantere TÃtigkeiten ersetzt.

FÃr letztere ist eine Bezahlung zwar (sofern man noch Geld braucht) ein
netter Pluspunkt, aber -- wie sich in den letzten Jahrzehnten zur
Ãberraschung vieler Ãkonom/innen gezeigt hat -- keineswegs eine notwendige
Bedingung. Seit das Internet es immer mehr Menschen ermÃglicht, andere mit
Ãhnlichen Interessen auch Ãber grÃÃere Entfernungen hinweg zu finden, sind
viele Projekte entstanden, in denen Menschen gemeinsam an Dingen arbeiten,
die ihnen wichtig sind. Dazu gehÃren Freie Software, Freie Inhalte wie die
Wikipedia und Open-Hardware-Projekte, in denen die Beteiligten gemeinsam
materielle Dinge entwerfen und die BauplÃne mit der ganzen Welt teilen.
Beim Freifunk-Projekt, das offene Funknetzwerke aufbaut, und bei
GemeinschaftsgÃrten, wo Menschen gemeinsam stÃdtische FreiflÃchen in offene
GÃrten umgestalten, steht dagegen die Zusammenarbeit vor Ort im
Mittelpunkt. All diese Projekte haben zwei Grundlagen: zum einen die
freiwillige, bedÃrfnisorientierte Zusammenarbeit der Beteiligten; zum
anderen die GemeingÃter -- Software, Wissen, Netzwerke oder Orte --, die
sie nutzen, pflegen oder hervorbringen.

Manchen der Beteiligten geht es dabei ums Geldverdienen oder die
Verbesserung ihrer Berufschancen, aber viele engagieren sich aus anderen
GrÃnden: Weil sie selbst an dem entstehenden Werk Interesse haben, weil sie
dabei Aufgaben Ãbernehmen kÃnnen, die ihnen Spaà machen, oder weil sie den
anderen etwas zurÃckgeben mÃchten (ohne dazu verpflichtet zu sein). Arbeit
zum Zweck des Geldverdienens wird so ersetzt durch TÃtigkeiten, die man
gerne um ihrer selbst willen, aufgrund ihres Ergebnisses oder den anderen
Beteiligten zuliebe Ãbernimmt: Selbstentfaltung.

MÃglich ist das nur, weil die Beteiligten Zugang zu den benÃtigten
Produktionsmitteln -- wie Computern und Internetzugang -- haben. Das mag
als Begrenzung dieser freien, commonistischen Produktionsweise erscheinen,
da die Konzentration der meisten Produktionsmittel in den HÃnden weniger
fÃr den Kapitalismus charakteristisch ist. Gemeinschaftlich produzieren
kann man Software und Wissen, wo nur kleine, schon weit verbreitete
Produktionsmittel nÃtig sind, aber wie steht es um Dinge, die riesige
Fabriken erfordern?

GlÃcklicherweise treibt auch hier die Produktivkraftentwicklung den
Kapitalismus in eine Richtung, die seine eigene Ãberwindung erleichtert.
Ãhnlich wie die heutigen Personalcomputer Nachfolger der Millionen
kostenden und RÃume fÃllenden GroÃrechner des letzten Jahrhunderts sind,
werden auch andere Produktionstechniken immer gÃnstiger und fÃr Einzelne
oder kleine Gruppen erschwinglicher. KostengÃnstige, aber flexible
computergesteuerte (CNC) Maschinen ersetzen in der industriellen Produktion
zunehmend schwerfÃllige GroÃanlagen. Gleichzeitig hat sich rund um diese
Maschinen eine Bewegung von Hobbyisten gebildet -- die sogenannte
"Maker"-Szene --, die sie nicht zum Geldverdienen benutzen, sondern um
bedÃrfnisorientiert zu produzieren, zu experimentieren und Spaà zu haben.

In diesem Kontext sind auch erste Open-Hardware-Projekte entstanden, die
selbst solche Produktionsmaschinen entwerfen und ihr Wissen als Gemeingut
teilen. Damit werden die Grundlagen fÃr eine bedÃrfnisorientierte, auf
GemeingÃtern basierende Produktionsweise gelegt.

Die Organisation einer Welt ohne Geld
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Im Kapitalismus hat die Produktion gesellschaftlichen Charakter -- man
produziert immer fÃr andere, nicht fÃr sich selbst. Allerdings stellt sich
der gesellschaftliche Charakter der Produktion erst im Nachhinein -- und
auch keineswegs in allen FÃllen -- heraus, da die GÃter zunÃchst privat (in
Firmen) produziert werden. Zur Vermittlung zwischen privater Produktion und
gesellschaftlicher Nutzung (durch andere) bedarf es des Markts und des
Geldes. Verkaufen kann man nur, was einem formell gehÃrt, deshalb braucht
es das Privateigentum und den Staat, der es durchsetzt und auch sonst
darauf achtet, dass sich alle an die "Spielregeln" halten.

Im Commonismus wÃren alle diese Institutionen ÃberflÃssig, weil die
Produktion von Anfang an gesellschaftlich und bedÃrfnisorientiert erfolgt.
Im Folgenden soll dies vor allem anhand des Geldes durchgespielt werden,
denn das Geld spielt in unserer Gesellschaft eine so groÃe Rolle, dass es
schwierig ist, sich eine Welt ohne Geld vorzustellen. Arbeiten die Menschen
nicht nur, um Geld zu verdienen? Produzieren die Firmen nicht nur, um
Gewinne zu machen? WÃrde ohne Geld nicht alles zum Stillstand kommen?

Zweifellos wÃrden Firmen ohne Erwartung von Profiten nicht produzieren,
doch fÃr das Tun der Menschen spielt das Geld keine so groÃe Rolle, wie man
gewÃhnlich denkt. So werden weniger als 40 Prozent der in Deutschland
geleisteten Arbeiten bezahlt, der grÃÃere Teil wird nicht entlohnt:
TÃtigkeiten im Haushalt, private Pflege- und Betreuungsleistungen sowie
ehrenamtliche TÃtigkeiten (vgl. Meretz 2010). Gerade weil sie unbezahlt
sind, werden diese TÃtigkeiten in unserer Gesellschaft meist nicht sehr
ernst genommen, doch ohne sie wÃrde alles zusammenbrechen. Und sie
demonstrieren eindrucksvoll, dass Menschen fÃr andere nÃtzliche Dinge tun,
auch wenn sie nicht mit Geld "bestochen" werden.

Auch im Internet spielen weitgehend geldfreie Formen der Produktion eine
wichtige Rolle. FÃr Freie Software, wie das Betriebssystem Linux oder den
Browser Firefox, und Freie Inhalte, wie die Internet-EnzyklopÃdie Wikipedia
oder das OpenStreetMap-Projekt, muss ich nichts bezahlen. Ich darf sie
nutzen, an andere weitergeben, und sogar -- wenn ich die entsprechenden
Kenntnisse habe -- erweitern und verbessern; und das alles kostet mich
keinen Cent.

BedÃrfnisorientierte Produktion
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Bisweilen wird Freie Software von Firmen produziert, die damit auf
indirektem Weg Geld verdienen, z.B. Ãber den Verkauf von SupportvertrÃgen,
Dokumentation oder passender Hardware. Doch in vielen FÃllen steht hinter
solchen Projekten eine Community von Menschen, die sich freiwillig und
unentgeltlich engagieren, weil ihnen das dort entstehende Produkt wichtig
ist oder weil sie die TÃtigkeit genieÃen. Anderen geht es darum, etwas zu
lernen, ihre Kenntnisse zu demonstrieren oder der Community etwas
zurÃckzugeben. Es gibt viele GrÃnde, warum Menschen sich engagieren -- auch
ohne Geld.

Entsprechend den Vorstellungen der modernen, neoklassischen
Wirtschaftstheorie entstehen Firmen zur Reduzierung von sogenannten
Transaktionskosten (Coase 1937). Das heiÃt, als Unternehmer meine
Angestellten zu beauftragen, ist fÃr mich gÃnstiger, als jede einzelne
Leistung einzukaufen. Die Angestellten haben den Vorteil, im Voraus zu
wissen, welche Einnahmen sie erwarten kÃnnen, statt sich tÃglich auf dem
Markt bewÃhren zu mÃssen, aber sie sind Teil eines hierarchischen Systems
und mÃssen den Anweisungen der GeschÃftsfÃhrung folgen. Beziehungen auf dem
Markt spielen sich dagegen zwischen formell Gleichberechtigten ab, sind
jedoch rein funktionell: Die anderen interessieren mich nur als
Tauschpartner, die mir etwas verkaufen oder abkaufen kÃnnen.

Die Neoklassik kennt keine anderen Formen auÃer dem Markt und der Firma,
doch die Communities von Menschen, die gemeinsam produzieren, zeigen, dass
es auch anders geht. Anders als in Firmen sind alle freiwillig dabei,
niemand erteilt den anderen Befehle. Deshalb wird diese Produktionsweise
als Peer-Produktion bezeichnet: Die Beteiligten arbeiten auf
gleichberechtigter Basis (als "Peers") zusammen.

Und anders als auf dem Markt sind die anderen keine potenziellen
Tauschpartner, sondern Menschen, die mit mir zusammen zu einem Ziel
beitragen, das uns wichtig ist. Bei solchen Projekten geht es also ums
Beitragen statt ums Tauschen. Beitragen ist im Gegensatz zum Tauschen kein
Nullsummenspiel: Wenn ich beim Tauschen bzw. (Ver-)Kaufen ein "gutes
GeschÃft" gemacht habe, bedeutet dies allzu oft, dass jemand Ãbers Ohr
gehauen wurde. Wenn dagegen jemand gute BeitrÃge liefert, gewinnen alle
Beteiligten.

Solange die Produzent/innen VerkÃufer sind und die Nutzer/innen KÃufer,
arbeiten alle tendenziell gegeneinander: Die Einnahmen der einen sind die
Kosten der anderen. Und ein hÃherer Marktanteil fÃr einen Produzenten
schmÃlert die Einnahmen derjenigen, die dasselbe produzieren, weshalb die
Produzenten zwangslÃufig in einem KonkurrenzverhÃltnis zueinander stehen.
Derselbe Interessengegensatz wie zwischen VerkÃufern und KÃufern besteht
zwischen Angestellten und Inhabern bzw. GeschÃftsfÃhrung einer Firma:
Erstere wollen zu mÃglichst gÃnstigen Konditionen ihre Arbeitskraft
verkaufen; letztere wollen ein Maximum an Arbeitskraft fÃr mÃglichst wenig
Geld erhalten. Diese GegensÃtze fallen bei der bedÃrfnisorientierten
Peer-Produktion weg, da meine BedÃrfnisse nicht auf Kosten der BedÃrfnisse
anderer gehen mÃssen. Im Gegenteil: Alle Beteiligten unterstÃtzen sich
gegenseitig bei der Befriedigung ihrer BedÃrfnisse, was fÃr alle von
Vorteil ist.

Ungezwungene Produktion fÃr andere
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BedÃrfnisorientierte Produktion darf nicht dahingehend missverstanden
werden, dass jede und jeder nur fÃr sich produziert. Peer-Produktion
beginnt zwar oft dort, "wo's ihre Entwickler/in juckt", wie Eric Raymond
(2001), einer der Pioniere der Freien Software, sagte, aber gleichzeitig
entstehen dabei immer auch fÃr andere nÃtzliche GÃter. Und hÃufig
beteiligen sich Menschen nicht aufgrund konsumtiver, sondern aufgrund
produktiver BedÃrfnisse: Sie machen etwas, weil sie es gerne machen, weil
sie etwas lernen oder weil ihnen die Menschen wichtig sind, fÃr die sie es
machen.

Dass Peer-Produktion immer auch Produktion fÃr andere ist, widerspricht
gÃngigen Ãkonomischen Vorstellungen, wonach die Alternative zum Markt eine
Art Robinson-Modell ist: Alle wÃrden nur noch fÃr sich oder ihre Familie
produzieren; Kooperation grÃÃeren Stils fÃnde nicht mehr statt. Dass man
mit so einem isolierten Modell nicht weit kommt, ist klar. Als weitere
Alternative wird die zentralisierte Planwirtschaft -- der verflossene
"Realsozialismus" -- genannt: Die ganze Gesellschaft funktioniert nach dem
Modell einer Firma. Das Management, die Planerinnen und Planer geben vor,
was alles zu tun ist, verteilen die zu erledigenden Aufgaben und
Ãberwachen, dass sie ordnungsgemÃÃ erledigt werden. Diese Alternative hat
historisch nicht sonderlich gut funktioniert und klingt wenig attraktiv:
Man ist weiterhin abhÃngiger Angestellter, jetzt allerdings des Staats, und
muss tun, was die Vorgesetzten sagen.

Peer-Produktion ist dagegen Produktion fÃr andere, die nicht erzwungen wird
und nicht um des Geldes willen stattfindet. Peers produzieren fÃr andere,
weil sie es kÃnnen und weil es eine MÃglichkeit ist, weitere
Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu finden. Denn je mehr Menschen die
Ergebnisse eines Projekts nutzen, desto mehr potenzielle Beitragende gibt
es, da die Beitragenden meist nach und nach aus dem Kreis der Nutzerinnen
und Nutzer dazustoÃen. Wenn ein Projekt nicht mit anderen teilt und fÃr
andere mitproduziert, nimmt es sich die Chance, "Nachwuchs" zu gewinnen.

Die Aufgabenverteilung bei Peer-Projekten erfolgt in einem offenen Prozess,
fÃr den sich der Begriff "Stigmergie" etabliert hat (vgl. Heylighen 2007).
Die Beteiligten hinterlassen Hinweise (griechisch *stigmata*) auf begonnene
oder gewÃnschte Arbeiten, die andere dazu anregen, sich darum zu kÃmmern.
Diese Zeichen, etwa To-Do-Listen und Bug-Reports in Softwareprojekten oder
"rote Links" auf noch nicht existierende Artikel in der Wikipedia, bilden
einen wichtigen Teil der Kommunikation.

Alle Beteiligten folgen den Zeichenspuren, die sie am meisten
interessieren, und sorgen auf diese Weise sowohl fÃr eine automatische
Priorisierung der offenen Aufgaben -- was mehr Menschen am Herzen liegt,
wird im allgemeinen schneller erledigt -- als auch dafÃr, dass die
unterschiedlichen Kenntnisse und FÃhigkeiten der Beitragenden nahezu
optimal eingesetzt werden. Man arbeitet zumeist an dem, was man sich am
ehesten zutraut. Und da man sich aussucht, ob und wo und wie viel man
mitarbeitet, sind die Beteiligten motivierter als Menschen, denen eine
Aufgabe zugeteilt wird oder die als Angestellte oder SelbstÃndige auf dem
"freien Markt" nur wenig Alternativen haben.

Die unangenehmen Aufgaben
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Aber reicht das? Was passiert, wenn man das Modell der Peer-Produktion auf
alle Bereiche der Gesellschaft projiziert? Was wÃre, wenn sich fÃr
bestimmte Aufgaben keine Freiwilligen finden, weil sie von allen als
unangenehm, gefÃhrlich oder aus anderen GrÃnden unattraktiv empfunden
werden? Ein geldbasiertes System zwingt die schwÃchsten Glieder der
Gesellschaft zur Ãbernahme solcher Aufgaben -- diejenigen, die keine
anderen MÃglichkeiten zum Geldverdienen haben. Dass das eine gute LÃsung
ist, wÃrden nur Zyniker behaupten -- aber wie geht es anders?

Manche dieser Aufgaben wÃrden sich wahrscheinlich als verzichtbar erweisen;
wo das nicht der Fall ist, bleiben Automatisierung, Umorganisation und
faire Aufteilung als LÃsungen. Die Automatisierung hat seit Beginn der
"industriellen Revolution" schon enorme Wirkungen entfaltet; immer grÃÃere
Teile der Produktion werden ganz oder teilweise automatisiert.

Allerdings stellt im Kapitalismus der Lohn eine Grenze der Automatisierung
dar. Je schlechter bezahlt ein Job ist, desto schwieriger wird es, ihn ohne
Mehrkosten zu automatisieren. Deshalb lohnt sich dies bei vielen
undankbaren TÃtigkeiten, wie etwa Putzen, gemÃÃ der kapitalistischen
Kalkulation nicht. Anders bei der Peer-Produktion: Wenn es hier Aufgaben
gibt, an deren Erledigung alle oder viele interessiert sind, die aber
niemand selbst tun will, dann ist der Anreiz, sie zumindest teilweise zu
automatisieren, sehr hoch. Und da die Automatisierung von TÃtigkeiten
selbst eine spannende und herausfordernde BeschÃftigung ist, sind die
Chancen, dafÃr Freiwillige zu finden, sehr viel besser.

Wo dies unmÃglich ist, dÃrften sich TÃtigkeiten hÃufig so umgestalten
lassen, dass sie angenehmer werden. Im Kapitalismus finden manche Arbeiten
unter sehr schlechten Bedingungen statt. Man denke an eine Angestellte, die
um vier Uhr morgens BÃros putzen soll. Das wÃrden gleichberechtigte,
freiwillig kooperierende Menschen von sich aus nicht so organisieren.

Automatisierung und Umorganisation lassen sich auch kombinieren.
Beispielsweise werden in einigen spanischen StÃdten heute MÃllautos mit
Greifarmen eingesetzt, mittels derer die MÃlltonnen vom Fahrerhaus aus
ferngesteuert aufgenommen und geleert werden. So kommt niemand mehr mit dem
MÃll direkt in BerÃhrung, und die MÃllabfuhr wird zu einer einem Videospiel
Ãhnlichen Geschicklichkeitsaufgabe, fÃr die sich leicht Freiwillige finden.

Falls weder Automatisierung noch Umorganisation greifen, ist ein Pool von
unangenehmen Aufgaben denkbar, von denen jede und jeder anteilig einige
Ãbernimmt. Wenn sich so alle oder die meisten an der Erledigung dieser
Aufgaben beteiligen, hat niemand lange damit zu tun, und was alle machen
mÃssen, ist erfahrungsgemÃÃ auch weniger schlimm.

GemeingÃter und Besitz produzieren
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In jeder Gesellschaft verhalten sich die Menschen zur Natur und zu den
Produkten ihres Tuns in einer Weise, die dieser Gesellschaft entspricht. Im
Kapitalismus werden Ideen, Produkte und natÃrliche Ressourcen vorwiegend
als Privateigentum betrachtet, das nur mit Zustimmung der EigentÃmerin oder
des EigentÃmers -- und in aller Regel gegen Geld oder eine andere
Gegenleistung -- den Besitzer wechseln kann. Im Commonismus werden sie
dagegen zu GemeingÃtern und Besitz, denn wo das Geld ÃberflÃssig wird,
verliert auch das Eigentum, also die Berechtigung, Dinge "zu Geld zu
machen", seine Bedeutung. Etwas zu besitzen, bedeutet dagegen, es zu
benutzen: Die Wohnung, die ich gemietet habe, ist mein Besitz, aber das
Eigentum meines Vermieters.

GemeingÃter (englisch *commons*) sind GÃter, die von einer Gemeinschaft
produziert oder gepflegt werden und die fÃr die Nutzerinnen und Nutzer nach
gemeinsam festgelegten Regeln verfÃgbar sind. Freie Software und Freie
Inhalte sind GemeingÃter, die alle nicht nur nutzen, sondern auch verÃndern
und weiterentwickeln dÃrfen. Wasser, Luft, WÃlder und Land galten oder
gelten in vielen Gesellschaften als GemeingÃter, die von grÃÃeren oder
kleineren Gruppen genutzt und gepflegt werden.

Peer-Produktion basiert auf GemeingÃtern und bringt ihrerseits neue
GemeingÃter hervor. Deswegen spricht der US-amerikanische Jurist Yochai
Benkler (2006), der den Begriff geprÃgt hat, auch von *commons-based peer
production.* Das von Peers produzierte Wissen -- ob Software, Inhalte oder
Freies Design, freie Bauanleitungen und KonstruktionsplÃne, die die
Herstellung, Nutzung und Wartung materieller GÃter dokumentieren -- wird
zum Gemeingut, das andere anwenden und weiterentwickeln kÃnnen. Aber
Peer-Produktion kann nicht nur Informationen, sondern auch Infrastrukturen
und materielle GÃter hervorbringen. So sind in vielen StÃdten Freie
Funknetze entstanden, die allen in der Umgebung kostenfreien drahtlosen
Internetzugang ermÃglichen. HÃufig sind diese Projekte als "Mesh-Netzwerke"
organisiert, die ohne privilegierte Server auskommen -- alle beteiligten
Computer sind gleichberechtigt. Mittels solcher dezentraler,
selbstorganisierter Netzwerke kÃnnen sich die Menschen nicht nur mit
KommunikationsmÃglichkeiten versorgen (vgl. Rowe 2010, 2011), sondern auch
mit Energie und Wasser. Selbstorganisierte commonsbasierte Projekte zur
Wasserversorgung existieren beispielsweise in SÃdamerika (vgl. De Angelis
2010).

Gleichzeitig sind auch erste offene Einrichtungen fÃr die Produktion
materieller GÃter entstanden. Hackerspaces und Fab Labs werden von
Freiwilligen betrieben und verfÃgen oft Ãber computergesteuerte Maschinen
-- z.B. FrÃsmaschinen und sogenannte 3D-Drucker oder Fabber --, die eine
weitgehend automatisierte Produktion kleiner StÃckzahlen ermÃglichen. Die
BauplÃne der verwendeten Maschinen werden nach MÃglichkeit selbst als
Freies Design offengelegt, und man arbeitet daran, dass sich mit ihnen
wiederum mindestens gleichwertige Maschinen herstellen lassen. So schafft
sich die commonsbasierte Peer-Produktion selbst die Basis fÃr ihre weitere
Ausbreitung und gleichzeitig fÃr die Versorgung der Menschen mit dem, was
sie zum Leben brauchen.

Wo die Dinge als GemeingÃter und Besitz produziert werden, wird die Frage
der Verteilung viel entspannter. Ich kann beliebig viele Lebensmittel
verkaufen, aber nur eine sehr begrenzte Anzahl essen. Dasselbe gilt fÃr
alle anderen GÃter: Jedes BedÃrfnis, sie zu nutzen, ist tendenziell
begrenzt. Potenziell grenzenlos ist nur die MÃglichkeit und gegebenenfalls
das Interesse, sie zu Geld zu machen (sofern es genug KÃufer/innen gibt).
Aber diese MÃglichkeit verschwindet in einer Welt, wo die Produktion
bedÃrfnisorientiert erfolgt und niemand kaufen und verkaufen muss.

Peers produzieren fÃr sich und andere. Ich tue etwas fÃr die anderen und
vertraue darauf, dass die anderen etwas fÃr mich tun. Alle suchen sich die
Bereiche aus, die ihnen wichtig sind oder gut gefallen. Auch wenn einige
gar nichts machen, ist das kein Problem, solange genÃgend andere aktiv
werden. Dabei funktioniert Peer-Produktion immer nur dann, wenn man die
anderen tatsÃchlich als Peers, als ebenbÃrtig begreift. Einzelne kÃnnen
sich nicht auf Kosten der anderen verwirklichen, weil die anderen nicht
dumm sind und sie dabei nicht unterstÃtzen werden -- und ohne UnterstÃtzung
kommt man nicht weit.

Auch eine commonistische Gesellschaft wird entscheiden mÃssen, wie die
vorhandenen Ressourcen eingesetzt werden -- produziert man lieber
Lebensmittel fÃr alle oder Biosprit, damit einige nach ErschÃpfung der
ÃlvorrÃte weiter Auto fahren kÃnnen? Setzt man fÃr die Energieversorgung
auf dezentrale erneuerbare Energiequellen oder auf Atomkraftwerke, deren
AbfÃlle noch fÃr Jahrtausende ein Risiko darstellen? Wie lassen sich die
Interessen der Nutzer/innen eines Guts, die sich eine neue FertigungsstÃtte
wÃnschen, mit denen der Nachbarn, die sich dadurch gestÃrt fÃhlen, in
Einklang bringen? Wer verstanden hat, wie und warum Peer-Produktion
funktioniert, wird sich vorstellen kÃnnen, wie die Antworten auf solche
Fragen ausfallen dÃrften. Aber das Wichtigste ist, dass sie von denen
gestellt und beantwortet werden kÃnnen, die sie angehen -- uns allen.â

Literatur
---------

- De Angelis, Massimo (2010): *Water Umaraqa.* URL:
  http://www.commoner.org.uk/blog/?p=241 (Zugriff am 2.4.2011).
- Benkler, Yochai (2006): *The Wealth of Networks: How Social Production
  Transforms Markets and Freedom.* Yale University Press, New Haven. URL:
  http://cyber.law.harvard.edu/wealth_of_networks/ (Zugriff am 28.4.2011).
- Coase, Ronald (1937): The Nature of the Firm. *Economica* 4(16):
  386--405.
- Heylighen, Francis (2007): Warum ist Open-Access-Entwicklung so
  erfolgreich? In: Bernd Lutterbeck, Matthias BÃrwolff, Robert A. Gehring
  (Hg.), *Open Source Jahrbuch 2007.* Lehmanns Media, Berlin. URL:

http://www.opensourcejahrbuch.de/portal/articles/pdfs/osjb2007-02-04-heylighen.pdf
  (Zugriff am 2.4.2011).
- Marx, Karl (1859): Zur Kritik der Politischen Ãkonomie. In: Karl Marx,
  Friedrich Engels, *Werke* (MEW), Band 13. Dietz, Berlin 1961.
- Meretz, Stefan (2010): *Produktive Schweine und unproduktive Kinder.*
  URL:
  http://www.keimform.de/2010/produktive-schweine-und-unproduktive-kinder/
  (Zugriff am 23.4.2011).
- Raymond, Eric S. (2001): The Cathedral and the Bazaar. In: *The Cathedral
  and the Bazaar: Musings on Linux and Open Source by an Accidental
  Revolutionary.* O'Reilly, Sebastopol, CA, 2. Aufl. Deutsche Ãbersetzung:
  http://gnuwin.epfl.ch/articles/de/Kathedrale/ (Zugriff am 2.4.2011).
- Rowe, David (2010): *Baboons, Mesh Networks, and Community.* URL:
  http://www.rowetel.com/blog/?p=124 (Zugriff am 2.4.2011).
- Rowe, David (2011): *Dili Village Telco Part 11 -- State of the Mesh.*
  URL: http://www.rowetel.com/blog/?p=1447 (Zugriff am 2.4.2011).


Herzliche GrÃÃe
	Christian

-- 
|------- Dr. Christian Siefkes ------- christian siefkes.net -------
| Homepage: http://www.siefkes.net/ | Blog: http://www.keimform.de/
|    Peer Production Everywhere:       http://peerconomy.org/wiki/
|---------------------------------- OpenPGP Key ID: 0x346452D8 --
The end of labor is to gain leisure.



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