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[ox-de] Re: [ox-de] keimform.de: Selbstorganisierte Fülle (3): Vom Immateriellen zum Mat



Hallo Franz & alle,

On 06/14/2010 07:33 PM, Franz Nahrada wrote:
Ich hoffe da kommt noch ein vierter Teil denn das Materielle ist noch
nicht wirklich abgehakt. Da sind noch Dinge die unbedingt korrigiert
werden müssen - die so überhaupt nicht stehenbleiben sollten.

Klar, zum Materielle muss noch viel gesagt werden, daher gibt's in Kürze
noch einen vierten Teil! Um die von dir angesprochenen Punkte wird's dabei
aber nur teilweise gehen...

Denn Globale Hektare und ökologische Fußabdrücke abstrahieren sehr stark
von der Produktionsweise, sie geben nicht zu erkennen was bei einer
Optimierung des Stoffkreislaufes getan werden kann sondern verbergen alle
wichtigen Umstände.

In der Tat, was man aus den Ressourcen macht, hängt sehr stark von der
Produktionsweise ab. Das ist ja auch einer meiner Punkte -- "Fülle für alle"
ist unter kapitalistischen Umständen definitiv nicht möglich, bei
allgemeiner Peer-Produktion aber (wie ich vermuten würde) sehr wohl.

" Der
ökologische Fußabdruck ist die Fläche auf der Erde, die nötig ist, um den
Lebensstil einer Gruppe von Menschen dauerhaft zu ermöglichen. Also die
Fläche, die benötigt wird, um die Ressourcen, die ich verwende,
anzupflanzen bzw. abzubauen; sowie die Fläche, die gebraucht wird, um den
Müll, der während Herstellung, Nutzung und späterer Entsorgung der von mir
genutzten Produkte anfällt, aufzunehmen und zu absorbieren."

Wie aber wenn es eben keinen Müll gibt?

Müll gibt's immer, die Frage ist nur, wie lange es dauert, bis er abgebaut
ist. Auch der in deinem Zitat erwähnte "Kompost" ist schließlich erstmal
Müll (auch wenn er nebenbei vielleicht als Dünger eingesetzt werden kann,
sofern man zufällig Dünger braucht), der aber schnell abgebaut wird (und
deshalb zu nem kleinen Öko-Fußabdruck führt).

Michael Braungart legt gegen die falsche Ontologisierung des ökologischen
Fußabdruckes 
ein dickes Veto ein:

eines von hunderten Beispielen

http://www.utopia.de/magazin/cradle-to-cradle-design-besser-sitzen

"Damit ist Mirra nicht nur ein Bürostuhl, sondern auch die konkrete
Ausformung einer ganzen Philosophie, die "Cradle to Cradle" heißt, zu
Deutsch: von der Wiege zur Wiege. Dieses öko-effektive Prinzip, das
Braungart mit dem amerikanischen Architekten William McDonough entwickelt
hat, orientiert sich am natürlichen Stoffkreislauf. Die Natur kennt keinen
Abfall, denn Abfall ist dort immer gleichbedeutend mit Nahrung. Auch der
Mensch könnte sich vom Abfall befreien, meint Braungart. Vorausgesetzt,
die Dinge, die er produziert, sind frei von Giften und werden in zwei
Stoffkreisläufe getrennt, in ein technisches und ein natürliches System.
Dann wären alle Materialen entweder wieder verwertbar oder kompostierbar."

Den Zusammenhang verstehe ich nicht wirklich, auch "Cradle to Cradle" ändert
doch an der verfügbaren Biokapazität (also dem was der ökologische
Fußabdruck misst) nichts, sondern nutzt sie nur (im besten Falle) besser aus.

"Das klingt eigentlich einfach, wendet sich aber fundamental gegen die
öko-korrekten Orthodoxien des Vermeidens, Verringerns und Verhinderns.
Braungart kann der moralinübersäuerten Verzichtsdebatte im Umweltschutz
nichts abgewinnen: "Das ist doch, als würden Eltern ihr Kind nicht zehn,
sondern nur neun mal schlagen." Statt nur die Belastung zu reduzieren,
fordert Braungart ein radikales Umdenken: "Die Natur ist ja auch
verschwenderisch. Ein Kirschbaum zum Beispiel produziert tausende von
Blüten. Wichtig ist, dass das, was in den Boden kommt, auch sauber ist.
Nur so kann es zum Nährstoff werden." Ihm geht es nicht darum, den
ökologischen Fußabdruck des Menschen zu verkleinern, sondern diesen
Fußabdruck als unterstützende Quelle für das natürliche System zu nutzen –
mit ästhetisch anspruchsvollen Produkten: "Die Leute sollen sich lieber an
guten Dingen erfreuen, statt schuldbewusst durch die Gegend zu laufen." "

Von "Verzicht" ist ja bei mir auch nicht die Rede, sonst könnte ich wohl
kaum von "selbstorganisierter Fülle" sprechen. Aber daran, dass wenn alle
Menschen den Öko-Fußabdruck von uns Westeuropäern hätten, wir 2,2 Erden
bräuchten, kann auch Braungart nichts ändern. Also entweder ist das Zitat
falsch und es geht C2C sehr wohl darum, bei gleichbleibendem Lebensstandard
den Öko-Fußabdruck zu senken; oder Braungart findet es richtig, dass die
Menschen anderswo zu einem niedrigeren Lebensstandard verdonnert sind als
wir. Ersteres fände ich sympathisch, letzteres inakzeptabel.

* Cradle 2 Cradle als ideales Designprinzip für freie Hardware
* Automatisierbarkeit und biologische und biomorphe Prozesse als
technisches Trägermedium und Leitparadigma ("Paradigma der Pflanze und die
solare Revolution)
* und auch eine Stellungnahme zum bewussten Verbinden von Lebensräumen mit
regenerativen Prozessen, etwas was hier unlängst in einem Thread "Wozu
Autarkie" oder so komplett verständnislos behandelt wurde

Um Automatisierbarkeit und Dezentralität (wenn dein letzter Punkt darauf
herauslaufen soll) wird es gehen, um "Cradle to Cradle" dagegen nicht -- das
würde IMHO zu sehr in die "technischen Details" gehen. Zumal mir das
C2C-Konzept in seinen Details recht ideologisch und unrealistisch erscheint,
z.B. mit der Forderung, "ein technisches und ein natürliches System" absolut
zu trennen -- als ob "die Natur" immer kompostierbar wäre (Öl ist
schließlich auch ein Naturprodukt) und als ob nicht alles, was Menschen
machen, und damit alle Technik, auch Teil der Natur ist!

Ob das Konzept in größerem Rahmen überhaupt umgesetzt werden kann und ob es
dann tatsächlich zu einer Reduktion des Öko-Fußabdrucks (bei
gleichbleibendem Lebensstandards) führen würde, ist IMHO auch offen. Vgl.
z.B. http://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96koeffektivit%C3%A4t#Kritik (bzw.
etwas ausführlicher
http://en.wikipedia.org/wiki/Cradle_to_Cradle_Design#Criticism ):

	"Ich kann mich auf Michael[ Braungart]s Sitzbezügen im Flugzeug sehr wohl
fühlen. Ich warte aber noch immer auf den detaillierten Vorschlag, die
anderen 99,99 Prozent des Airbusses A380 nach seinen Prinzipien zu
gestalten." (Friedrich Schmidt-Bleek)

Herzliche Grüße
	Christian

-- 
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In den Sprachkolumnen heißt es, dass man die Regeln beachten soll und das
Deutsche heilig halten. Das ist Bullshit. In den Sprachkolumnen sagen sie,
die Sprache soll so bleiben, wie sie im Moment zufällig ist. Das nenne ich:
ahistorischen Käse, sozialfeindliches Geseiere und sentimentales Geblubber.
        -- Harald Martenstein



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