[ox-de] keimform.de: Sieben Thesen zum Commonismus
- From: Stefan Meretz <stefan meretz.de>
- Date: Mon, 10 Nov 2008 09:44:02 +0100
http://www.keimform.de/2008/11/08/sieben-thesen-zum-commonismus/
Sieben Thesen zum Commonismus
Von StefanMz
[Vorgetragen bei der Veranstaltung »Kooperation statt Wettbewerb,
Gemeinwohl statt Profit« <http://www.elevate.at/commons_panel1.html> @
Elevate-Festival <http://www.elevate.at/>]
English Version
<http://www.keimform.de/seven-hypotheses-about-commonism>
1. Die Welt wird commonistisch sein oder sie wird nicht sein.
Der Kapitalismus ist in einer tiefen Krise, manche sprechen bereits von
der finalen Krise. Stünde nur der Kapitalismus auf dem Spiel, wäre das
zu verschmerzen. Aber wir sind der Kapitalismus, wir reproduzieren uns,
indem wir uns in ihm reproduzieren, indem wir den Kapitalismus
produzieren. Geht der Kapitalismus unter, gehen wir unter. Der
Commonismus ist also kein bloßer Wunsch, keine schlechte Utopie,
sondern schlicht eine historische, eine menschliche Notwendigkeit.
2. Wer den Commonismus will, muss den Kapitalismus verstehen
Der Kapitalismus produziert Menschen, die ihn produzieren. Diese
Dialektik darf nicht nach einer Seite aufgelöst werden. Weder ist die
„Gier“ der Bänker Schuld an der globalen Finanzkrise, noch sind wir dem
System total unterworfen. Es gilt, den inneren, selbstreproduktiven
Kern – den „Kernel“ des Betriebssystems – zu verstehen, damit wir uns
dazu verhalten können. Er besteht darin, dass nur der überlebt, der es
versteht, aus Totem mehr Totes – Geld – zu machen durch Vernutzung von
Lebendigem.
3. Ohne Kapitalismus ist alles nichts, aber nicht alles ist Kapitalismus
Es ist keinesfalls so, dass der Kapitalismus alle unsere
Lebensbedingungen herstellt. Er ist sogar noch nicht einmal
mehrheitlich daran beteiligt. Nach Schätzungen von Carola Möller werden
zwei Drittel aller notwendigen Tätigkeiten und Dinge, die wir für die
Produktion unseres gesellschaftlichen Lebens benötigen, nicht in der
Form von Waren, also nicht kapitalistisch hergestellt. Der von der
„Wirtschaft“ abgespaltene Bereich ist der überwiegende, und er wird
überwiegend von Frauen gemacht. Es ist die „unsichtbare“ Grundlage, die
andere Seite der kapitalistischen Verwertungslogik.
4. Kein Commonismus ohne Commoning
Eine zentrale Einsicht beim Verstehen des Commonismus ist seine Bindung
an das praktische Tun, an das Kümmern, an das lebendige Herstellen der
Lebensbedingungen. Im Kapitalismus bekommt praktisches Tun hingegen die
entfremdete Form von „Arbeit“, einer Energieverausgabung zur
Transformation von Lebendigem in Totes. Deswegen ist Massimo De Angelis
zuzustimmen, wenn er schreibt: „Die ‚Absage an die Arbeit‘ als
Zurückweisung der Maßstäbe des Kapitals und Commoning als Bejahung
anderer Maßstäbe sind zwei Seiten des gleichen Kampfes“.
5. Der Commonismus kommt nicht aus dem Nichts
Der Commonismus existiert im Kapitalismus. Allerdings ist er noch ganz
eingezwängt in die Jacke der Wertform: Er muss „sich rechnen“ oder sich
mindestens „finanzieren lassen“. Der Commonismus wird nur Keimform
einer neuen Gesellschaft, wenn es ihm gelingt, sich auf seiner eigenen
Grundlage zu produzieren. Jenseits von Geld, Markt und Staat.
6. Freie Software – Commonismus in Keimform
Ein prominentes Beispiel – weswegen ich auch eingeladen wurde – ist die
Freie Software. Freie Software hat die Warenform verlassen und ist
damit in der Lage, neue soziale und produktive Beziehungen zu
konstituieren. Freie Software lebt im Kapitalismus und ist gleichzeitig
Keimform einer neuen Art und Weise der Vergesellschaftung.
7. Die Rede vom Commonismus darf nicht schrecken
Der „Kommunismus“ ist ein verbranntes Wort. Das soll uns nicht abhalten,
vom Commonismus zu sprechen. Denn ob wir es wollen oder nicht: Man wird
uns den „Kommunismus“ vorhalten. Wir können aber selbstbewusst sagen:
Nein, das war kein Commonismus, das war die staats-diktatorische Form
des Kapitalismus. Wenn der Kapitalismus den „Kommunismus“ anklagt,
klagt er nur sich selbst an.
Commonismus ist Gesellschaftlichkeit, die auf Individualität basiert,
ist die Herstellung unseres gesellschaftlichen Lebens jenseits
markt-vermittelter Beziehungen. Es ist einfach das Leben.
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