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Re: Antw: Re: [ox] Potsdamer Denkschrift 2005





crox iac-research.ch 11/23/05 3:45  >>>
Wolfgang Gaiswinkler schrieb:
Zu meinen die Chefs sind alle Predators und wenn die nicht da wären wäre
alles besser ist zwar verständlich aber naiv.

Du missverstehst meine Dichotomie -- Chefs sind nicht zwangsläufig Predators.
Chefs und Organisatoren können, ja _sollen_ Produzenten statt Predators sein.
Ihr "Produkt" ist dann die Dienstleistung des Organisierens -- aber immer
produktionsorientiert, nicht als Selbstzweck zur Ausbeutungs-Maximierung.
Das Resultat sind zweckmässige Entscheidungen und sinnvolle Ressourcen-
Verteilung.

Beispiel Krankenkassen:

(a) Predator-System:
Es gibt 30 Krankenkassen mit unterschiedlichsten Preisen für dieselbe
Dienstleistung (Grundversicherung).  Die einzelnen Kassen werfen viel
Geld hinaus für Werbung, da sie ja gegeneinander "konkurrieren".
Jede Kasse beschäftigt einen grossen "Wasserkopf"-Verwaltungsapparat
mit überbezahlten CEOs und Managern (viele Juristen und MBAs ohne Bezug
zum Produkt=Medizin/Versicherungsmathematik), einige Kassen machen
Rekordgewinne, die die Shareholders einstreichen.  Die Kunden müssen
jedes Jahr lange "herumplanen", ob und wohin sie wechseln können zu einer
etwas weniger teuren Krankenkasse -- allein die vielen Hin- und Her-
Hopsereien verursachen Leerlauf-Verwaltungskosten in Millionenhöhe.
Die Gewinner sind Predators (Werber, Juristen/MBAs, Shareholders)
auf Kosten der Allgemeinheit, also letztlich der Produzenten.

(b) Produzenten-System:
Es gibt 1 staatliche Krankenkasse mit sinnvollen Einheitspreisen.  Der
ganze Leerlauf-Aufwand für Werbung, 30-fach parallele "Wasserkopf"-
Verwaltungsapparate, Shareholders und Hin- und Her-Hopsereien entfällt.
Die Leitung der Krankenkasse besteht aus Ärzten und Mathematikern,
was auch zu sinnvolleren Leistungs-, Prämien- und Anreizmodellen führt.
Die Prämien sind viel tiefer als im System (a) und die Kunden
sparen sich den jährlichen Evaluations-/Wechsel-Aufwand.

Du schreibst: "die Leitung besteht aus Ärzten und Mathematikern" Kompetenz als ÄrztIn oder MathematikerIn ist etwas anderes als Kompetenz in Führung, Organisation, Arbeitsteilung. Eine Krankenkassa oder - anderes Beispiel: ein Krankenhaus - kann und da bin ich sicher in hervorragender und vor allem produktiv und nicht ausbeuterischer Weise von einem Mann oder einer Frau geführt werden die eben keine ÄrztIn oder MathematikerIn ist. Organisation, Führung, Arbeitsteilung oder wie immer man das nennen will ist ein eigenes Handwerk eine eigene Dienstleistung (wie Du schreibst) die natürlich auch wie andere Fertigkeiten prinzipell von JedeR gelernt werden kann. Und nachdem es da um so wichtige Funktionen geht, die leicht mißbraucht werden können sollten möglichst viele Menschen da Kompetenzen haben.

Wie Du argumentierst klingt das aber so als würdest Du meinen: Wir tauschen die Leute, entmachten die zur Zeit an der Macht befindlichen Predators, gegen leute die mit der Produktionslogik vertraut und Ihr emotional verpflichtet sind - wie z. b. ÄrztInnen und MathematikerInnen bei der Krankenkassa. Nun bin ich davon überzeugt dass eine Krankenkassa hervorragend von jemandem geleitet werden kann der so gut wie keine Fachkompetenz im medizinischen und mathematischen Bereich hat. Zugleich wissen wir alle aus Erfahrung dass hervorragende Fachleute die in General Management Positionen kommen dort öfter mal eine sehr traurige Figur abgeben und in ihrer Hiflosigkeit und Überforderung Verhaltensweisen an den Tag legen, die Du in Deiner Diktion als schlimmstes Predatorverhalten brandmarken würdest.


Also wo werden jetzt da die Organisatoren abgeschafft?  Nur die Ausbeutung.
Resultat: Die Organisation wird viel besser und günstiger.


Das ist die interessante Frage: Wie organisieren sich Menschen wenn es über
face to face groups hinausgeht.  Metakommunikation über soziale Systeme war
historisch tabu und ist es weiten Bereichen auch heute noch. Mit deiner
Denunzierung der Organisaitonsleute als Predators strickst Du an dieser
Tabuisierung mit.

In der heutigen Kommunikations- und Mediendichte ist das "face to face"-
Prinzip auch in grossen, verteilten Gemeinschaften möglich.  Das war zu
Marx' Zeiten gar nicht so, und Marx fehlte die technische Kompetenz, eine
solche Entwicklung vorauszuahnen.  Schon deshalb sind die Marx'schen Rezepte
überholt und unbrauchbar.

Die Computertechnik des 21. Jahrhunderts ermöglicht erstmals in der
Geschichte eine überlokale Selbstorganisation der Produzenten, und damit
letztlich ihre Machtübernahme!  Da bringt es wenig, ewig über Steinzeit und
19.Jahrhundert zu debattieren.

Ich meine hier unterscheidet sich unserer Argumentation: Organisationen unterscheiden sich prinzipiell von fact to face gorups. Ein soziales System dass über eine bestimmte Anzahl von Personen (und die ist sehr gering -vielleicht bei 14 oder bei 16 oder ein bißchen mehr) hinausgeht und dass halbwegs stabil bestimmte Funktion erfüllen soll kann keine (face to face) Gruppe sein, sondern wird zur Organisation. Organisationen folgen bestimmten Eigenlogiken und Dynamiken die sich grundsätzlich von den Dynamiken und Logiken in Gruppen mit direkter Kommunikation unterscheiden. 

Das Wissen um diese Dynamiken und Logiken um Probleme und Handlungsmöglichkeiten sollte möglichst vielen Menschen verfügbar sein. Die Gefahr die ich bei Deinem Predator Modell sehe ist, dass es genau die Frage von Organisation verschleiert. Wenn ich die Phänomene unter denen wir leiden peronalisiere also meine die Lösung liege im Austausch des Personals, so ist das wohl verkürzt.

Die Frage ist wohl eher die, wie können wir uns gemeinsam so organisieren, dass einerseits handlungsfähige wirkmächtige Organisationen rauskommen und andererseits Menschen, die Du vielleicht Predator nennen würdest nicht allzuviel Schaden anrichten könnten.      

(Diesmal zeichne ich mit meinem Namen - bin mit den Listen Usancen nicht so vertraut)

Wolfgang

Was denken da eigentlich andere Listenleute: glaubt Ihr auch dass durch die technische Entwicklung und freie Software sich die Frage von anonymer Kommunikation und Organisation gar nicht mehr stellt und sich alles in Wohlgefallen und technisch vermittelte face to fact groups auflösen läßt? (Bitte um Verzeigung, dass ich nicht im Archiv die bisherige Diskussion durchforstet habe)

Wolfgang 

Was zählt ist die "Lebensweise".  Also abgesehen
vom dort eh nicht möglichen grösseren Akkumulieren, welche Predator-
"Phänomene" sollen bei Jäger&Sammler-Gesellschaften gar nicht existiert
haben?

Die Logik des Akkumulierens hat nicht existiert. Ob die Logik des Raubens,
Sammelns und Wildbeutens von einer Logik des Akkumulierens bestimmt ist oder
nicht macht den Unterschied.

Umgekehrt wird ein Schuh draus:  Ob das Akkumulieren von einer Logik des
Raubens bestimmt ist oder nicht, macht den Unterschied.  Ein Bauer
"akkumuliert" im Herbst sein Gemüse auch, aber was ist daran schlecht?
Es ist sein Produkt.


Wenn die ProduzentInnen etwas erreichen wollen, müssen sie ihre sphäre der
Technik, der Mathematik und der Naturwissenschaft verlassen und sich mal
anschauen wie das die Leute die Du Predators nennst so gemacht haben in
Geschichte und Gegenwart. Die Frage von Organisation und Arbeitsteilung muß
Thema werden. Wie kann Organisation und Arbeitsteilung gemacht werden ohne
die vielen negativen entsetzlichen Auswirkungen unter denen wir heute leiden.

Richtig!  Indem Predator- durch Produzenten-Werte ersetzt werden.


Organisation und Arbeitsteilung ist ein eigenes "Handwerk". das sind eigene
Professionen die man nicht einfach voluntaristisch einer Produktionslogik
unterordnen kann.

Ich behaupte: Diese Professionen lassen sich sowohl mit Predator- als auch
mit Produzenten-Logik betreiben.  Siehe Krankenkassen-Beispiel oben.


Mit der Denunzierung der Leute die sich mit diesen Dingen beschäftigen als
Predator arbeitest Du mit an der Bewahrung dieser Kompetenzen mitz
Organisation umzugehen als Geheimwissen.

Diese Berufe sind heute stark in der Hand von Predators.  Indem ich die
Dichotomie aufzeige, weise ich den Weg zu einem Wechsel hin zu Produzenten.
Wer die Dichotomie bestreitet, verhindert diesen Wechsel.


Dieser Ansatz wird uns nicht helfen, den "Laden" zu verstehen, den Laden
zu übernehmen, den Laden umzubauen oder einen neuen Laden zu bauen.

Doch, genau dieser Ansatz ermöglicht das.  Mit "Räubern" lässt sich kein
"Laden" betreiben -- egal wieviel Kosmetik und Schönrederei eingesetzt wird.
Das ist nicht nachhaltig -- irgendwann ist ausgeplündert, und dann?


Was ist an Predators, an Ausbeutung gut?

Die "Ausbeutung" der JägerInnen und SammlerInnen mit der Ausbeutung in
modernen arbeitsteiligen Gesellschaften gleichzusetzen ist eben zu
simplifiziert. Natürlich gibt es da eine Verbindung. Die Kompetenzen
eines Raubritters knüpfen an jägerischen Kompetenzen an.

Du hast die Frage nicht beantwortet.  Aber nach dem oben gesagten nehme ich
an, Du meinst das Positive an Predators sei das "Organisieren" der Produzenten.
Das ist eben genau falsch -- die Produzenten könnten sich viel sinnvoller
_selbst_ organisieren.  Predators sind nicht nur überflüssig, sondern
verhindern aktiv eine sinnvolle Organisation und Ressourcen-Einteilung.
Weil es den Predators nicht um die Sache geht, sondern um ihre Prestige- und
Gier-Maximierung.


Dir sind die Predators in der historischen Erscheinungsform Jäger und
Sammler nicht sympathisch? Das wundert mich sehr. Hast Du bei den
Westernfilmen wirklich immer auf der Seite der Viehzüchter und ihrer
Büttel der Cowboys gestanden oder hast Du dich nicht doch mit Indianern
identifiziert?

Wer sein Geschichtsbild aus Westernfilmen bezieht, mit dem ist wirklich
schwer zu diskutieren...  Indianer betrieben durchaus Ackerbau -- oder
woher glaubst Du haben wir die Kartoffeln, den Mais und die Tomaten?

Die Kolonialisierung Amerikas ist ein beeindruckendes Anschauungsbeispiel,
wie schlimm sich Predator-Herrschaft (gegenüber Produzenten-Herrschaft)
auswirkt:  Wären damals Produzenten an der Macht gewesen, dann hätte
man die ausgeklügelten, nachhaltigen Anbaumethoden der Indianer übernommen
und konstruktiv kombiniert mit europäischen Entwicklungen.  Stattdessen
wurde brutal verdrängt und ersetzt, was zu den heutigen Umweltzerstörungen,
Bodenerosion, Nährstoffmängeln und letztlich auch Fehlernährung geführt hat.
Auch der Genozid an den Indianern ist der rücksichtslosen Predator-"Logik"
der Imperialisten anzulasten.  So sind die Predators: Krieg und Zerstörung
statt Frieden und konstruktive Kooperation.  Was daran sympathisch sein
soll (ausser für Predators selbst), ist mir ein Rätsel.


Bei der "Bewertung" von Jäger und Sammlergesellschaften reicht das Spektrum
von Karl May Romantik bis zu mehr oder weniger soliden Daten. So gibt es
Studien dass in Gegenden mit halbwegs brauchbaren Klima sich die Leute nur
sehr wenige Stunden des Tages damit beschäftigen mußten zu "arbeiten" der
Rest war Ruhe, Kultur, Spiel, Sozialleben. Ein schöner Gegensatz zur
Schufterei eines Ackerbauern.

Gegen die Schufterei haben wir ja heute Maschinen -- entwickelt von
Produzenten.  "Ruhe, Kultur, Spiel, Sozialleben"?  Siehe oben...


Ob man diesen Befunden trauen kann ist die Frage. Evident scheint mir zu
sein: unser Blick ist da wohl sehr von unserern Projektionen getrübt.

Trifft zumindest auf Dich zu, ja.  ;-)
Ich werde mich hüten, meine Produzenten-Werte auf Predators zu projizieren...

Gruss,
Christoph


P.S.: Quoting-Probleme hin oder her, es wäre sinnvoll, Deine Postings mit
      Deinem Namen zu signieren und nicht mit meinem...



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Web-Site: http://www.oekonux.de/ 
Organisation: http://www.oekonux.de/projekt/
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