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Antw: Re: [ox] Regierungsapparat





crox iac-research.ch 10/12/05 10:45  >>>
Stefan Matteikat schrieb:
Im Oekonux-Kontext heiþt das Problem "OHA" - Organisation, Herrschaft,
Anarchie, und der Stand dieser Diskussion zeigt ziemlich deutlich, daþ
es f r Deine Fragen keine vorgefertigten L*sungen gibt. Jede Umw"lzung -
das zeigt die j ngere Geschichte immer wieder - hat das Potential, zur
Diktatur, zur Herrschaft einiger weniger, zu verkommen. Dem kann man in
der Tat nur mit einem Mittel entgegentreten: mit Macht. Es gibt ein paar
sehr kluge, alte Leute, auf die ich mich gerne berufe, die alle
erstaunlicherweise um die hundert Jahre alt geworden sind. Einer von
ihnen war Georg Knepler (1906-2003), und der beschreibt den Begriff
Macht so:

"Die deutsche Sprache hat eine Bedeutung des Wortes Macht bewahrt, in
mehreren anderen Sprachen verh"lt es sich vergleichbar," (im Englischen:
Power), "die ebenso verdr"ngt wurde, wie der Tatbestand, den das Wort
denotiert. Im gleichen Sinn, in dem sich sagen l"þt: ich bin, wenn ich
nicht ohnm"chtig bin, meiner Sinne m"chtig, im gleichen Sinn sind
gew*hnliche Menschen m"chtig. In unserer Praxis und in unserem
Sprachgebrauch ist Macht und Herrschaft so sehr eins geworden, daþ das
einfache historische Faktum gleichsam neu entdeckt werden muþ: Zwei,
drei Millionen Jahre hindurch sind Menschen ohne Herrschaft ausgekommen.

Falsch, die Herrschaft war nur in kleineren Einheiten organisiert.
Herrschaft geht auch im Urwalddorf.
...................................................................................
Anmerkung Wolfgang:
Da gibt es meiner Meinung nach eine nützliche soziologische Entscheidung zwischen Begriffen:
"Herrschaft" gibt's nur wo es über face to face Kommunikation hinausgeht. Nach dieser Unterscheidung kann es im kleinen Urwalddorf nur "Dominanz" oder Gewalt oder Terror oder was auch immer geben aber nicht Herrschaft. Außer natürlich das Dorf ist einer größeren eben herrschaftlichen Struktur unterworfen das ist eben dann schon nicht mehr face to face Kommunikation.

In diesem Modell handelt es sich bei irgendwelchen Formen von "oben-unten Verhältnissen" zwischen Menschen um völlig unterschiedliche Phänomene, abhängig davon ob das System so groß ist dass noch face to face Kommunikation zwischen Mitgliedern möglich ist oder ob es um Formen von anonymer Kommunikation geht. 

Im face to face Dorf ist es tendenziell kuscheliger aber für den oder die einzelneN auch gefährlicher: Der Anpassungsdruck ist nämlich viel größer. In einer anonymen Herrschaftsstruktur kann ich mich unter Umständen im System auch mit einer gewissen inneren Distanz und zum Teil auch nach außen deklarierten Distanz bewegen. In der Gruppe (der paradigamtischen Form eines face to face System) wird viel mehr von mir erwartet daß ich als Person ganz dabei bin ...

Natürlich können Organisationen viel mehrSchaden anrichten als Gruppen weil sie viel mehr bewegen können. Die face to face kommunikation ist nämlich bis zur einer gewissen Größe möglich. Hingegen anonyme Strukturen - Organisationen sind potentiell unendlich vergrößerbar. 

Abschaffung von Herrschaft wäre also ganz leicht man müßte nur alle Verbünde von Menschen oder Organisationen zerschlagen und nur mehr soziale Systeme zulassen, in denen face to face Kommunikation möglich ist. Aber halt! Das würde nicht funktionieren, denn wenn die Nachbarn sich über das face to face Niveau hinaus organisieren. (oder organisiert werden) dann sind sie als Organisation der Gruppe auf längere Sicht überlegen was ihre Mittel sich durchzusetzen. 

Die spannende Frage ist meines erachtens, wie können sich Menschen über das face to face Niveau organisieren ohne dass es zu den uns allen bekannten unangenehmen Auswüchsen kommt. 

Die Gruppendynamiker sagen - meines Erachtens zu Recht - es gäbe erpobte Methoden wie man Gruppen so gestalten kann dass sie der Entfaltung der einezlneN förderlich sei. Wie man Organisationen so gestalten kann, ist wesentlich unklarer. 

Sehr gut beschreibt  Dieter Claessens wie aus Verbänden von Gruppen schließlich Organisationen werden.
...........Ende Anmerkung

 

 


Und: Seit sich Herrschaft durchgesetzt hat, haben gew*hnliche Menschen
ihre Macht immer wieder mit mehr oder minder genauem Bewuþtsein und mit
mehr oder minder groþem Erfolg eingesetzt. Und wo immer sie f r kurze
oder l"ngere Zeit erfolgreich waren im Kampf gegen die Herrschaft der
wenigen, haben sie, als w"re es das Selbstverst"ndliche, das es im
Grunde genommen auch ist, bewiesen: Ihre Macht - ohne Herrschaft - ist
wirksamer zur Sicherung des Lebensnotwendigen f r alle als die der
Herrschenden."

Man könnte dies auch Producer-Macht (im Gegensatz zur Predator-Herrschaft)
nennen.


Man muþ hinzuf gen, daþ sich derartige Momente tief in das kollektive
Ged"chtnis einpr"gen. Kneplers Paradebeispiel ist die franz*sische
Revolution; meins der ungarische Volksaufstand von 1956, in dem f r
einige Tage tats"chlich so etwas wie eine direkte R"temacht existierte.
Dazu geh*rt aber auch, daþ diese Zust"nde bisher nie von Dauer waren;
Christoph Spehr (passend von ihm in diesem Zusammenhang: "Die Aliens
sind unter uns" u.a.) geht sogar davon aus, daþ man Revolutionen auf
jeden Fall ca. alle 40 jahre wiederholen muþ:)

In allen bisherigen "Revolutionen" wurde bloss eine Gruppe von Predators
durch eine andere Gruppe von Predators abgelöst.


Es gibt allerdings f r das Erlernen der direkten Machtaus bung heute
bereits einige Methoden; ganz besonders interessant - und von
Politologen auch immer wieder herangezogen -- sind hier Initiativen in
brasilianischen St"dten. Hier werden junge Leute bewuþt dazu angehalten,
Verantwortung und Gestaltungsmacht wahrzunehmen:

"It is not political repression or even apathy that inhibits citizens
from getting involved in solving their community's problems, she said ñ
it is that they simply don't know how. For Aracati, the /how/ of civic
participation is the important part, even more than the /what. /

This can mean starting a community recycling program or it can be as
simple as separating one's trash at home. In both cases, one needs a
jump-start to get going. So Aracati gets people ñ particularly young
people ñ moving and experiencing what it's like to make changes in their
communities."

"Getting Brazilians to participate does not happen with a new law, it
requires a change of attitude, a change in culture."

Kann in Slums wirkliche Macht ausgeübt werden?  (übers Faustrecht hinaus)
Wenn's "Spitz auf Knopf" kommt, regiert doch die Regierung des Landes in
dem sich der Slum befindet.

Dieses Beispiel erinnert doch eher an palästinensische Bantustans, deren
"Autonomie" sich auf Belanglosigkeiten wie Müllabfuhr und Kanalisation
beschränkt...  Da bleibt wohl oder übel wirklich nur noch das lakonische
Motto "the /how/ of civic participation is the important part, even more
than the /what./"

Gruss,
Christoph




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