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[ox] "Haltet den Dieb!" - Copyleft again



(erschienen in Streifzüge Nr. 32)

Stefan Meretz

"Haltet den Dieb!" - Copyleft again

Copyleft provoziert, na endlich. Wie ist dieses Phänomen zu fassen, zu
begreifen, das es ja eigentlich nicht geben kann, nicht geben darf?
Zwei JuristInnen bemühen sich das Copyleft in ihr Gedankengebäude
einzubauen - der eine (Noll 2004) mit "antikritischer" Intention[1] 
die andere (Haarmann 2004) mit "kritischer"[2], in ihrem 
argumentativen Kern beide jedoch ähnlich. Beide sind ganz und gar 
unglücklich darüber, dass ich das Phänomen Copyleft als "genialen 
Hack" (Meretz 2004) gekennzeichnet habe - der eine, weil er die 
"permanente Enteignung der Werkschaffenden" (N 21) befestigt, ja 
perpetuiert sieht, die andere, weil doch "die Struktur der 
gesellschaftlichen Vermittlung im Wertverhältnis lediglich" (H 198) 
nachgebildet werde. Zwei Kritiken von entgegengesetzten Polen? 
Keineswegs, wie sich zeigen wird.

1. Hypostasierung eines Phänomens zur "Theorie"

Es ist zu viel der Ehre, wenn mein Versuch, den Prozess der
Herausbildung und globalen Etablierung des Copyleft zu begreifen, zum
"Copyleft-Konzept" (N 20) bzw. "Copyleft-Theorie" (H 187) überhöht
wird und ich daselbst zum "prononciertesten Vertreter der
Copyleft-Lehre" (H 184) ernannt werde. Auf diese Weise "geadelt",
werden flugs realer Prozess und Theorie des vorgeblichen
"Lehrmeisters" verwechselt, so als ob der "Lehrmeister" die Praxis
hervorgerufen hätte, also gewissermaßen für sie verantwortlich wäre.
Das funktioniert noch immer wie gehabt: Personalisierung eines
Problems oder eines Phänomens; Ummünzen der Analyse des
widersprüchlichen Prozesses in ein absichtsvolles Sollen; Kritik des
Sollens - und (abge-)fertig(t). Das Begreifen eines widersprüchlichen
Realprozesses wird ersetzt durch ein theoretisch kaschiertes
Sich-vom-Leib-Halten des Problems selbst. Die Herausforderung
"Copyleft" wird nicht angenommen.

Beide AutorInnen schaffen es nicht, die gesellschaftstheoretische und
personale Ebene zu trennen. Angemessen wäre, die massenhaften realen
Entwertungsprozesse und das *gleichzeitige* Aufkommen des Copyleft als
theoretisch-analytische Herausforderung im Informationskapitalismus zu
begreifen - anstatt das Copyleft theoretisch zu hypostasieren und in
seiner Wirkung zu mythisieren. So entsteht eine völlig unfruchtbare
Gegenüberstellung von angeblicher "Copyleft-Theorie" hier und
betroffener Klientel dort. Die Einschätzung wird dabei beiderseits aus
Klientel-Sicht getroffen: Copyleft sei nur "die emanzipatorisch
bemäntelte Perpetuierung eines gesellschaftlichen Missstandes" (N 21),
als "Appell" an die "Hingabe von Immaterialgütern" bloß "grob
fahrlässig" (H 199) usw. Von der durchaus nachvollziehbaren Angst um
die individuelle Reproduktion der Klientel wird jedoch ebenso
"wortreich" (N 21) auf ein vermutetes dahinter liegendes
"Copyleft-Konzept" geschlossen, das zu verwerfen sei. Ebenso wie
jedoch der Zerfall des Kapitalismus und die damit einhergehende
zunehmende Prekarisierung der Immaterialgüter-ProduzentInnen nicht
einfach zu "verwerfen" ist, kann das "Copyleft" als eine
Erscheinungsform im Informationskapitalismus nicht "verworfen" werden.
Theoretisch interessant hingegen ist die Frage, ob es sich beim
"Copyleft" um eine Zerfallsform des sich zersetzenden Kapitalismus
handelt oder um eine spezifische Reaktion auf neue immanente
Entwicklungen, die einen Freiraum jenseits der Wertform eröffnen.
Kritikabel wäre mithin meine Analyse inklusive der von mir
beobachteten Entwicklungstendenzen und neuen Möglichkeiten, nicht aber
das "Copyleft" schlechthin, da dieses ein bloßes "Schutzrecht" ist und
keine "Emanzipation" anstrebt (s.u.).

2. "Copyleft ist doch nix anderes als Copyright"

Was soll es auch sonst sein? Copyleft basiert auf dem Copyright,
untergräbt aber gleichzeitig seine Exklusionsabsicht. Das habe ich
deutlich geschrieben. Da gibt es also nichts zu "entlarven", etwa in
der Form: "'Copyleft' setzt aufs bürgerliche Recht nicht weniger als
'Copyright'" (N 20) oder: "Rechtsform (wird) gegen Rechtsform gewendet
(...), um sie schlussendlich aufrecht zu erhalten" (H 189). Ich stelle
fest, dass unter den Bedingungen der "verkehrten" Rechtsform Copyleft
ein Freiraum aufgetan wurde, der neue Möglichkeiten der Schaffung von
Reichtum jenseits der Wertform bietet. Nicht mehr, aber auch nicht
weniger. Auf dem "nicht weniger" insistiere ich allerdings, denn es
ermöglicht einen Einblick in Praxen gesellschaftlicher Produktion
jenseits der Warenform, die es unter Nutzung von 
Hightech-Produktionsmitteln sonst nicht gibt.[3] Was das weiter 
bedeutet, wohin das führen kann und welche Kämpfe damit ins Blickfeld 
rücken, sind weitere Fragen, die im engeren Sinne nichts mehr mit dem 
Thema "Copyleft" zu tun haben. Alle Interpretationen, die das 
Copyleft *selbst* bereits mit einer freien, "nicht-warenförmigen 
Gesellschaft" (H 189) gleichsetzen, sind irrige und unsinnige 
Zuschreibungen. Copyleft wurde aus der Not geboren, ist in seiner 
Wirkung jedoch frappierend. Eine "Abschiednahme" (N 20) vom Copyright 
wird es nur zusammen mit dem Copyleft geben. Noch weiter auf den 
Boden der Tatsachen geholt, ist Copyleft eine historische 
Zufälligkeit, die gleichwohl "ganz gut im Trend" (N 20) liegt. Was 
aber kennzeichnet den "Trend", was bedeutet das für die Zukunft der 
Warenproduktion? Fragen, die ungestellt bleiben.

Verstört fragt sich Noll, ob denn die "Copyleft-Apostel" bei
Verletzung des Copyleft klagen würden, wo sie doch eigentlich gegen
das Copyright seien? Ja, ganz sicher werden sie das tun, und sie tun
es bereits (erfolgreich). Darin besteht ja der "geniale Hack": Die
Mittel der Rechtsinstitute werden benutzt, um sie gegen die
Exklusionsintention des Copyright zu wenden. Damit wird die
(Rechts-)Form gestärkt, aber der Inhalt, der (Exklusions-)Sinn
unterminiert. Eine interessante Frage ist, was passieren wird, wenn
diese Praxis massenweise um sich greift, wenn aus Gründen der
immanenten Funktionslogik der Verwertung immer mehr Inhalte
freigestellt werden *müssen*, um damit überhaupt noch Verwertung 
sichern zu können. So werden die von Eric Raymond vorgeschlagenen
"Geschäftsmodelle" (Raymond 2001) durchaus genutzt. Auch AutorInnen
haben festgestellt, dass sie *mehr* Bücher verkaufen können, wenn der
Inhalt zugleich frei gegeben wird. Usw. - Wie weit geht das? Wird der
Staat irgendwann intervenieren? Interessante, aber dennoch bloß
"immanente" Fragen.

3. "Keine Wertform = Verschenken"

Eine beliebter, weil im gängigen Denken fest verwurzelter Kurzschluss
lautet: frei = kostenlos. Und etwas kostenlos hergeben nennt man
bekanntermaßen "verschenken": Schön blöd, wer so was tut. Das sei doch
"freiwillige Selbstenteignung von Autoren" (Kurz 2004a).

Nun gibt es zwei Absichten, gegen diesen Denk-Kurzschluss anzugehen:
Die einen wollen partout klarstellen, dass das "frei" etwa bei "Freier
Software" keinesfalls "kostenlos", sondern "freie Verfügung" bedeutet.
Es sei durchaus erlaubt und ist etwa in der bekanntesten Lizenz GPL
explizit geregelt, dass das freie Produkt etwas kosten darf. Das
besagt auch die "klassische Klarstellung" von Richard Stallman: "Think
of free speech, not free beer" (Williams 2002). Absicht ist, ein
"Geschäft" mit Freier Software ausdrücklich zu ermöglichen. Hier
hinein gehört etwa auch die marketingstrategische "Umbenennung" von
"Freier Software" in "Open Source Software" von 1998 durch die
"Business-Fraktion" um Eric Raymond. Es soll klar werden: Open Source
und Business ist kein Widerspruch.

Andere hingegen - so vor allem Debatten im Oekonux-Projekt - wollen
klarstellen, dass Emanzipation nichts mit "Verschenken" zu tun hat,
weil "Verschenken" nichts an der Produktionsweise ändern würde.[4]
Solche "Geschenke" sind zudem als "Freeware" oder "kostenlose
Warenproben" durchaus schon lange bekannt. Die Kritik, es ginge beim
Copyleft bloß um die "Abschaffung der Zirkulationssphäre" (H 188) -
Verschenken als Verzicht auf den Verkauf - geht daher völlig fehl. Es
geht darum, dass Software nicht mehr als Ware *produziert* wird und
nicht darum, dass eine "Ware Freie Software" hernach "verschenkt"
wird. Diese Tatsache ist jedoch nicht absichtsvoll bei der
Konzipierung des Copyleft ausgedacht worden, sondern gewissermaßen
"Nebeneffekt" der besonderen Produktionsform Freier Software, die auf
Selbstentfaltung und Selbstorganisation beruht. Daher ist es auch
nicht verwunderlich, wenn bei traditionalistischen KritikerInnen "die
Klappe fällt", weil Pulverdampf und Kampf-Rhetorik fehlen oder weil
eben nicht "die Enteignung (...) der großen Verwertungsmonopole (...)
auf dem Programm steht" (N 20). Im handgreiflichen Sinne scheint es zu
stimmen: "Dem Kapitalismus wird damit nicht das Geringste
weggenommen." (Kurz 2004a). Im ökonomischen Sinne ist aber auch das
falsch.[5]

Es handelt sich eben *nicht* um einen Konflikt *innerhalb* einer
Produktionsweise, sondern zwischen der alten arbeits- und wertförmigen
Produktionsweise und einer Produktionsweise *jenseits* der Wertform,
deren allerfrühste Anfänge wir anhand des widersprüchlichen, aber
praktischen Beispiels der Freien Software langsam denken können. Das
ist die These, um die gestritten werden sollte. Damit ist weder
gesagt, dass es "die Freie Software" oder "das Copyleft" ist, was die
"nicht-warenförmige Gesellschaft" (H 189) erschafft, noch dass das,
was sichtbar ist, bereits eine entfaltete Form darstellt. Das Copyleft
stellt in diesem Zusammenhang einzig eine befördernde, historisch
zufällige Randbedingung dar, die ihre Wirksamkeit nicht zufällig auch
erst mit der Entwicklung weiterer technologischer Bedingungen
entfalten konnte. Damit ist keinesfalls - als weitere beliebte
Zuschreibung - einem historischen Determinismus das Wort geredet (ein
anderes Thema).

4. Freigeben statt Verschenken

Es war ein Fehler von mir, das Wörtchen "verschenken" - wenn auch nur
in indirekter Paraphrasierung einer falschen Zuschreibung - zu
verwenden. Was mir glasklar erscheint, ist für andere alles andere als
klar: "Wer Copyleft sagt, will (...) kein Geld." (N 20). Aha. Warum
nur gibt es doch ganz offensichtlich Zehntausende, die ihre Werke
freiwillig einem Copyleft unterstellen und "kein Geld" wollen? Vom
Standpunkt des bürgerlichen Rechtssubjekts ist das "völlig verrückt".
Warum wird "verschenkt"? Weil es sich offensichtlich bei der Freigabe
eben nicht um ein *Verschenken* handelt, weil *Verschenken*
und *Freigeben* nicht das Gleiche ist, genauso wie Preis und Wert
nicht das Gleiche ist! Freigeben bedeutet nicht notwendig 
"entpreisen", sehr wohl aber "entwerten".

Sich der Frage zu nähern, warum jemand individuell ein Produkt
freigibt, würde voraussetzen, sich ernsthaft mit der Entstehungsweise
Freier Software zu befassen - also mit jenen ausgeblendeten
Produktionsformen jenseits der Ware. Freigeben ist hier ein für alle
NutzerInnen und alle ProduzentInnen individuell förderlicher Akt. Es
nutzt mir, obgleich nicht monetär, dennoch substanziell für die
Herstellung des Produkts. Mehr noch: Freigabe ist Produktionsbedingung
geworden: Ohne Freigabe, ohne Beteiligung vieler anderer an der
Herstellung, ohne massenhafte Nutzung und Feedback keine Qualität. Es
gibt, wenn man es kybernetisch formulieren möchte, eine positive
Rückkopplung. Dabei verschwimmen zusehends die Grenzen zwischen
KonsumentInnen und ProduzentInnen: Jede qualifizierte Rückmeldung ist
bereits Teil des produktiven Prozesses, und der/die erste NutzerIn ist
der/die ProduzentIn selbst. Bei dem im Oekonux-Projekt gängigen Satz,
wonach "die individuelle Entfaltung die Voraussetzung für die
Entfaltung aller ist und umgekehrt" ist also mitnichten ein
"kategorischer Imperativ" (H 188) formuliert, sondern eine
begriffliche Verdichtung der analysierten realen Entwicklungsdynamik
in Freien Software-Projekten, die diesen Begriff gar nicht kennen,
weil sie eines solchen äußerlichen Imperativs auch gar nicht bedürfen.
Es handelt sich um pure Denunziation, wenn diesem vorgeblichen
"kategorischen Imperativ" eine unentbehrliche Notwendigkeit "analog
zur bürgerlichen Vernunftethik zur Verhinderung des bereits immanent
angelegten Destruktionspotentials" zugeschrieben wird.

5. Von Knappheit wird geschwiegen

Ein Kernpunkt meiner Argumentation wird systematisch ausgeblendet:
Copyleft richtet sich gegen das Knappheits-Paradigma der
Waren-Ökonomie.[6] Das ist mir völlig unverständlich, ermöglicht diese
Einschätzung doch erst den politökonomisch-analytischen Zugriff auf
das neue Thema. Stattdessen verbleiben beide JuristInnen auf der
Zirkulationsebene, sozusagen auf der Ebene ihrer Klientel, die
angeblich von "Copyleft-Befürwortern (...) aufgefordert werden, ihr
Produkt auch in der Wertsphäre einfach zu 'verschenken'" (H 193). Nun
ist es zutreffend, dass unknappe Güter nicht als Ware taugen, somit
also auch nicht verkaufbar sind - obwohl das Copyleft niemanden am
Verkauf hindert. Entscheidend aber ist, dass sie niemals Waren gewesen
sind, sondern als Nicht-Waren auf die Welt kamen, weil sie - im Falle
Freier Software - nur aufgrund ihrer Nützlichkeit hergestellt wurden
und nicht, um als "Waren" in eine Zirkulation einzugehen, aus der sie
schließlich als "Mehr-Geld" wieder in die Produktion zurückkehren oder
als "Revenue" verzehrt werden.

Ich mutmaße, dass das Faktum der partiellen Zersetzung der
Knappheitsbedingung der Waren-Ökonomie ausgeblendet wird, um sich
nicht mit der Produktion befassen zu müssen. Alle produzierten "Dinge"
müssen Waren sein, die nur "verschenkt" werden können, weil sie Waren
sind. Und umgekehrt: Was "verschenkt" wird, muss wohl Ware sein. - So
die den Argumentationen unterliegende Logik. Das ist nicht kritisch
und schon gar nicht wertkritisch. Das Diktum, Reichtum jenseits der
Wertform sei "unter der globalen Herrschaft des Wertgesetzes nicht zu
haben" (N 21), entspricht der wohl bekannten betriebswirtschaftlichen
Denkweise, nach der Reichtum nur aus Verwertung hervorgeht, wonach
also nicht aus Verwertung Hervorgegangenes nicht Reichtum sein kann -
von der "wertlosen" Freien Software bis zur "vom Wert abgespaltenen
Sphäre" der Reproduktionstätigkeiten (vgl. Scholz 2000).[7] Wenn
Reichtum Wert und umgekehrt nur Wert Reichtum ist, dann macht es
"Sinn", wenn u.a. JuristInnen für ihre Klientel um die Verteilung
streiten. Was aber, wenn es hier zu einem Auseinanderfallen von
Wertform und Wertsubstanz kommt? Was Noll mit dem Begriff des
"gesellschaftlichen Missstandes" nur als "Schwächung einer
Rechtsposition" (21) sehen kann, ist keine vordergründig
politisch-rechtliche Frage, sondern eine objektive Entwicklung des
Schwindens von Wertsubstanz (vgl. dazu Lohoff 2002, Meretz 2003). Als
Klientel-VerteidigerInnen müssen Noll, Haarmann und Co die Form gegen
den Inhalt verteidigen, als AnalytikerInnen könnten sie sich davon
absetzen.

6. Beitrag zum Abbau von Schutzrechten?

Nachvollziehbar die größte Sorge von Noll ist der fortschreitende
"Abbau rudimentärer Schutzrechte der unmittelbaren Produzenten" (N
20), deren Vermarktung bzw. die ihrer Produkte gefährdet sei. Copyleft
leiste hier weiteren Vorschub. - Das Letztere allerdings ist nicht
recht nachvollziehbar, denn jede und jeder entscheidet für sich, ein
Werk unter einer Copyleft-Lizenz zu verbreiten oder nicht. Vor allem
aber übersieht Noll den eigentlichen Zweck des Copyleft. Das Copyleft
ist nämlich primär aus dem Wunsch nach *vergrößertem* Schutz 
entstanden - nicht unmittelbar zur besseren Verwertung, sondern für 
eine bessere Kooperation. Der Begründer des GNU-Projekts, Richard 
Stallman, beobachtete Anfang der Siebziger Jahre, dass kreative 
ProduzentInnen (hier: von Software) zunehmend gezwungen wurden, ihr 
Produkt geheimzuhalten. Eine beschränkte Kooperation war nur möglich, 
wenn ein/e TeilnehmerIn sich ebenfalls zur Geheimhaltung gegenüber 
allen anderen verpflichtete (per NDA: non-disclosure agreement). 
Diese kommunikative Exklusionslogik war für die kooperativ arbeiteten
Software-EntwicklerInnen extrem schädlich - gerade angesichts der
zunehmenden Monopolisierung des Software-Wissens durch große Konzerne.
Die Erfindung des Copyleft auf Basis des Copyright war ein Akt des
Widerstands. Es schützte die EntwicklerInnen vor Exklusion und
bewahrte ihre Kooperationsmöglichkeiten.

Das Wirkprinzip des Coypleft ist eines der Inklusionslogik - jede
dazukommende ProduzentIn vergrößert automatisch den Pool der
Möglichkeiten für alle - ist vergleichbar mit anderen
"Netzwerk-Effekten" (Kelly 1999). Am Anfang ist der Pool noch klein,
sodass es einer wirklich hohen Überzeugung und Motivation bedarf um
teilzunehmen. Das GNU-Projekt war anfangs angesichts der selbst
gestellten gigantischen Aufgabe - Schaffung eines freien
Betriebssystems - verschwindend klein. Der "Netzwerk-Effekt" war noch
unbekannt, und so blieb auch das GNU-Projekt bei sehr traditionellen
Entwicklungsmethoden, wie sie dem damaligen Verständnis von Informatik
als Ingenieurwissenschaft entsprachen. Erst Linus Torvalds erahnte die
neuen Möglichkeiten des Internet für die Kooperation im globalen
Netz.[8] So kam er schnell zu dem Entschluss, den neuen
Betriebssystem-Kern "Linux" der bekanntesten Copyleft-Lizenz zu
unterstellen: "Linux unter die GPL zu nehmen, war das Beste, was ich
je getan habe." (Interview mit der Tokyo Linux Users Group). Er schuf
mit dem "Maintainer-Modell" eine neue netzbasierte Produktionsform,
die in der Folge zu einer Welle von Projektgründungen führte sowie
weiteren selbstorganisierten Produktionsformen. Ab 1998 erkannten
kommerzielle Software-Produzenten die neuen Chancen - und auch die
Risiken, den Zug zu verpassen: Sie wurden gedrängt, vormals
proprietäre Software freizugeben oder Freie Software-Projekte zu
unterstützen, um ihre Position auf den Märkten halten zu können. Was
sich Robert Kurz nur für die Konsumtion von Dienstleistungen
vorstellen kann ("Einrichtungen, (...) deren Betrieb im Gebrauch
erlischt"[9]), ist hier für die Produktion Praxis: Eine einmal unter
Copyleft freigegebene Software kehrt nicht wieder in die Verwertung
zurück, sondern kann bestenfalls "Image-Beiwerk" zu anderen Leistungen
sein - darin wiederum durchaus vergleichbar mit dem örtlichen linken
Info-Café, das das "Klima" für die lokale Ökonomie im Stadtteil
verbessern hilft.

7. Copyleft nimmt den Werkschaffenden die Butter vom Brot

Mit dem Copyleft scheint sich die Bedrohung für die Werkschaffenden
verstärkt zu haben. Es geht "ums Brot der Urheberinnen und Urheber" (N
21). Copyleft führe "nicht nur in den bürgerlichen Tod (Insolvenz),
sondern - bei fortschreitender Prekarisierung - womöglich direkt auf
den Friedhof" (H 199). Und das ohne "Enteignung der
Verwertungsmonopole" (N 20) bzw. "ohne das Vorhandensein (...) einer
Gegenvermittlung" (H 199). - Wir verlassen hier also die Ebene der
gesellschaftstheoretischen Analyse und betreten die individuelle Ebene
der juristischen Klientel. Die Frage, wie je ich mich verhalten kann
und sollte, ist eine völlig eigenständige. Zunächst einmal gilt es,
die objektive Entwicklung zu begreifen. Hierbei muss ich die Tatsachen
zur Kenntnis nehmen, ob sie mir gefallen oder nicht. Aus
Klientel-Sicht wird das Copyleft als Zumutung empfunden, anstatt es
analytisch als historische Widerspiegelung einer objektiven
Entwicklung zu begreifen. Erst auf Grundlage einer verständigen
Analyse kann überlegt werden, was im jeweils einzelnen Fall sinnvoll
zu tun ist. 

Niemand zwingt eine Autorin oder einen Autor eines kreativen Werkes
dieses dem Copyleft zu unterstellen. So kann es im Fall der
kollektiven Software-Entwicklung Sinn machen (hier ist das Copyleft ja
auch entstanden), während die einzelnen JournalistInnen um die
Vergütung der medialen Mehrfachnutzung der eigenen Artikel kämpfen
müssen. Wikipedia wiederum ist nur deswegen so erfolgreich[10], weil 
es das Projekt verstanden hat, das Copyleft für den "Netzwerk-Effekt"
konsequent zu nutzen. Aber auch individuell kann es einen
Marketing-Vorteil darstellen, den Inhalt des eigenen Buches zum
Download freizugeben, um für eine höhere Verbreitung zu sorgen, die
sich letztlich auch in einem überproportionalen Verkauf des
Druckwerkes auszahlt. Usw. - Hier ist nicht der Ort einer
Marketing-Beratung.

Beteiligung an freier, (meist) kollektiver Produktion und 
individueller Einsatz von Arbeitskraft auf dem Markt zur eigenen
Reproduktion, oder kürzer: Selbstentfaltung und Selbstverwertung
bilden einen unauflösbaren Widerspruch. Das *ist* so. Das bekommen wir
weder wegdiskutiert noch ist es sinnvoll, den Widerspruch
theorieförmig in eine Richtung aufzulösen, sondern damit ist praktisch
und theoretisch umzugehen.

Das ist jedoch nicht die Ebene, die mich wirklich interessiert - auch
wenn ich mich persönlich aus guten Gründen entschieden habe, alle
meine Werke frei zu geben. Mich interessieren die neuen Entwicklungen
des Informationskapitalismus, die neue Möglichkeiten bieten, eben
genau das ansatzweise (keimförmig) zu entwickeln, was mit dem Begriff
der "Gegenvermittlung" auch Petra Haarmann vorzuschweben scheint: Eine
neue Art und Weise der gesellschaftlichen Re-/Produktion des Lebens
jenseits der Wertform. Solche neuen Formen kommen nicht aus dem
Nichts, und sie werden auch nicht "mit einem Schlag" da sein, sondern
sie müssen notwendig bereits im Alten entstehen - natürlich immer
begrenzt, immer auch "falsch", immer auch prekär, unausgegoren,
widersprüchlich. Solche Widerspüche gilt es jedoch aufzusuchen und
nicht zu meiden, gilt es theoretisch zu begreifen und nicht mittels
"bewährter" Theorieformen wegzudeuten.

**Anmerkungen**

[1] Referenz auf Noll (2004) im Folgenden abgekürzt mit "N" und
nachfolgender Seitenangabe.

[2] Referenz auf Haarmann (2004) im Folgenden abgekürzt mit "H" und
nachfolgender Seitenangabe. Auf das im Artikel diskutierte Thema der
"Vermittelheit vs. Unmittelbarkeit" kann ich an dieser Stelle nicht
eingehen. Auch editorische Fehler und unzutreffende Unterstellungen
seien ausgeklammert.

[3] Ich habe hier die Bewegung Freier Software im Blick, die aus
verschiedenen Gründen nicht umstandslos vergleichbar ist mit etwa der
Lage von einzelnen Autorinnen und Autoren etc. In einer
differenzierten Betrachtung muss auch noch einmal unterschieden werden
zwischen "Einfach Freier Software" (Freiheit des Produkts) und
"Doppelt Freier Software" (Freiheit der Produktion). Interessant ist
vor allem Letzteres.

[4] Auch das "Schenken" ("Potlasch") in vor-warenproduzierenden
Gesellschaften kann nicht als Analogie herangezogen werden, da anders
als im Fall der historischen Analogie bei Freier Software "Hergabe"
und "Entnahme" vollständig entkoppelt sind. Die Behauptung: "Sicher,
er darf nur nehmen, wenn er sich selbst entfaltet und damit die
Produktivkraftentwicklung weiter antreibt" (H 184) ist schlicht
falsch. Vgl. Oekonux-Projekt: www.oekonux.de.

[5] Kürzlich wurden die "Kosten" allein des Linux-Kernels auf 612 Mio.
Dollar geschätzt, wäre er "traditionell" hergestellt worden (Wheeler
2004): Diese "Informationsrente" konnten und können
Software-Monopolisten jedenfalls nicht kassieren, da hier eine
(dauerhafte) Entwertung stattgefunden hat. Vgl. dazu auch Fußnote 10.

[6] Zum Thema "Knappheit" vgl. die Kolumne "immaterial world" in
dieser *Streifzüge*-Ausgabe.

[7] Warum hat eigentlich noch niemand sozial Sorgende, mehrheitlich
Frauen, bezichtigt, ihre Leistungen zu "verschenken"? Warum wird die
Forderung nach Entlohnung von "Hausarbeit", "Beziehungsarbeit" etc.
überhaupt noch kritisiert? Allerdings geht hier der "Trend" dann doch
in die andere Richtung der "Vermarktlichung".

[8] Hierbei ist interessant, dass auch Linus Torvalds den nötigen
"Anfangs-Idealismus" mitbrachte. Zwar gingen dem jungen Linus die
moralischen Ansprüche der (kommunistischen/68er) Eltern ziemlich auf
die Nerven, trotzdem war es für ihn außerhalb jeder Vorstellung, mit
Hilfe von "Linux" einen "kommerziellen Weg" zu gehen. Bevor er die GPL
für Linux nahm, verwendete er eine explizit "anti-kommerzielle"
Lizenz. Diese hätte jedoch den "Netzwerk-Effekt" verhindert.

[9] Gemeint ist hier vermutlich nicht, dass der Betrieb der
Einrichtungen aufhört ("erlischt"), sondern dass sie keine Ware zwecks
Verkauf herstellen und sich aus anderen Geldquellen speisen. Vgl. Kurz
2004b.

[10] Wikipedia ist eine kollektiv erstellte multilinguale (über 100
Sprachen) Online-Enzyklopädie mit einem rasanten Wachstum an Artikeln
(derzeit etwa 1,1 Millionen, davon 160.000 deutschsprachige). Vgl.
de.wikipedia.org.

Literatur

Haarmann, Petra (2004), Copyright und Copyleft. Vermittlung im
Falschen oder falsche Unmittelbarkeit, in: EXIT! 1, S. 184-200.

Kelly, Kevin (1999), NetEconomy. Zehn radikale Strategien für die
Wirtschaft der Zukunft, München/Düsseldorf: Econ.

Kurz, Robert (2004a), Aneignung als Kapitulation der Kritik? in: Junge 
Welt, 06.08.2004.

Kurz, Robert (2004b), Billigrezepte für den sozialen Schnellkochtopf,
in: Freitag, 06.08.2004.

Lohoff, Ernst (2002), Die Ware im Zeitalter ihrer arbeitslosen
Reproduzierbarkeit. Zur politischen Ökonomie des
Informationskapitalismus, in: Streifzüge 3/2002.

Meretz, Stefan (2003), Zur Theorie des Informationskapitalismus. Teil
2: Produktive und unproduktive Arbeit, in: Streifzüge 2/2003.

Meretz, Stefan (2004), What's Copyleft? Eine kurze politökonomische
Betrachtung, in: Streifzüge 30, S. 11.

Noll, Alfred (2004), Copyleft ante portas? Antikritisches zum
Urheberrecht und Kritisches zu Stefan Meretz (in Streifzüge 30), in:
Streifzüge 31, S. 20-21. 

Raymond, Eric (2001), The Cathedral & the Bazaar. Musings on Linux and
Open Source by an Accidental Revolutionary, Sebastopol/CA: O'Reilly.

Scholz, Roswitha (2000), Das Geschlecht des Kapitalismus.
Feministische Theorien und die Metamorphose des Patriarchats, Bad
Honnef: Horlemann.

Williams, Sam (2002), Free as in Freedom. Richard Stallman's Crusade
for Free Software, Sebastopol/CA: O'Reilly.


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