[ox] TELEPOLIS: Geistiges Eigentum ist ein neokoloniales...
- From: benni obda.de (Benni)
- Date: Thu, 18 Dec 2003 16:39:54 +0100
Dieser TELEPOLIS Artikel wurde Ihnen
von Benni <benni obda.de> gesandt.
----------------------------------------------------------------------
Geistiges Eigentum ist ein neokoloniales Herrschaftsinstrument
Dario Azzellini und Stefanie Kron 18.12.2003
Der Direktor des venezolanischen "Autonomen Dienstes für geistiges
Eigentum" über Kämpfe mit Microsoft, freie Software, kollektive Marken
und eine Informationskampagne zum Thema traditionelles Wissen
Eduardo Saman war seit dem misslungenen Putsch gegen den
venezolanischen Präsidenten Hugo Chavez im April 2002 Vorsitzender des
Autonomen Dienstes für geistiges Eigentum ( SAPI [1] ). Von Januar bis
August dieses Jahres war der Pharmazeutiker zudem Mitglied der
Verhandlungsgruppe zum Schutz des geistigen Eigentums im Rahmen der
Verhandlungen um das Panamerikanische Freihandelsabkommen (ALCA /
FTAA). Der dem Wirtschafts- und Handelsministerium zugeordnete SAPI und
Saman sind harten Angriffen der rechten venezolanischen Opposition
ausgesetzt. Aufgrund seiner konsequenten linken Positionen geriet er
mit seinem Minister in Konflikt, der im Regierungsspektrum als moderat
gilt. Kurz vor der WTO-Runde im mexikanischen Cancun Ende August 2003
schloss der Minister Saman aus der Verhandlungsdelegation aus. Saman
begab sich auf eigene Rechnung, zusammen mit Regierungsabgeordneten
nach Cancun und beteiligte sich an den Protestaktionen gegen die
Welthandelsorganisation. Am 19. September wurde er unter dem Vorwurf
des Ungehorsams als Präsident des SAPI abgesetzt. Die Entscheidung
wurde nicht überall geteilt. Mitte Oktober schließlich trat der
Minister für Wirtschaft und Handel zurück, der neue Minister setzte
Ende Oktober Eduardo Samán wieder als Direktor des SAPI ein. Dario
Azzellini und Stefanie Kron sprachen in Caracas mit Eduardo Saman.
Der SAPI wird unter anderem von Microsoft attackiert, warum?
Saman: Software ist in Venezuela durch das Urheberrecht geschützt,
in den USA dagegen durch das Gewerberecht, also Patente. Wir versuchen,
in Venezuela den Gebrauch der freien Software zu fördern. Beim SAPI
arbeiten wir mit freier Software. Microsoft strebt dagegen an, dass
unsere Regierung sich in einen Verkäufer der Microsoft-Software
verwandelt und dass wir härter gegen Softwarepiraterie vorgehen, also
gegen Personen und Betriebe, die illegale Software verwenden. Sie
sollen stattdessen die Software von Microsoft kaufen. Wir vertreten
dagegen, dass es für die User die Möglichkeit geben muss, zu wählen, ob
sie freie Software verwenden oder bei Microsoft einkaufen. Denn wir
möchten nicht wie die Regierungen anderer Länder, beispielsweise
Kolumbien, zu einer Microsoftschutzpolizei bzw. zu einer staatlichen
Microsoftverkaufsstelle werden.
Dies hat zu Konflikten mit der hiesigen Vertretung der Business
Software Aliance (BSA) geführt, einer Microsoftstiftung, die u.a. die
Softwarepiraterie bekämpft. Sogar der US-Botschafter hat uns schon im
SAPI aufgesucht und uns vorgeworfen, die Verwendung freier Software in
öffentlichen Einrichtungen sei illegal. Er hatte keine Ahnung von
freier Software und wir haben ihm das dann erklärt.
Kollektive Marken
Wir haben eine Broschüre der SAPI gesehen, die sich an Kleinstbetriebe
richtet und mit der Gründung "kollektiver Marken" und der Entwicklung
einer alternativen Ökonomie wirbt. Was ist darunter zu verstehen?
Saman: Mit der industriellen Revolution begann auch die
Privatisierung des Wissens. Juristisch ist die Eigentumsform über das
Gewerberecht geregelt. Darunter fallen Patente, aber auch Marken und
Slogans. Kollektive Marken, die wir in Venezuela fördern möchten, sind
keine Marken, auf die nur ein Unternehmen ein Copyright hat, wie
beispielsweise Nike auf seine Sportkleidung, sondern sie werden für
einen Zusammenschluss von Kleinbetrieben vergeben, die das gleiche
Produkt herstellen.
In Venezuela gibt es z.B. eine Käsesorte, für die eine kollektive Marke
vergeben wurde. Der Käse wird von einigen Kleinproduzenten per Hand
hergestellt, pro Betrieb ca. 500 kg in der Woche. Sie organisieren sich
als Genossenschaft, stellen den gleichen Käse her und dafür vergeben
wir eine einzige Marke. Denn keines dieser Kleinstbetriebe könnte
alleine auf dem Markt bestehen. Diese Praxis ist unserer Ansicht
geeignet, um eine alternative nationale Ökonomie, eine alternative
Kultur und alternative Werte zu entwickeln.
Die Marke ist ein Zeichen, das ein Gut oder einen Dienst bezeichnet und
von anderen unterscheidet. Die Industrieländer des Nordens haben diese
Zeichen in Symbole verwandelt. Damit verändern sie aber ihre Bedeutung.
Denn die Menschen beginnen, mit dem Symbol eine bestimmte Form des
sozialen Handelns und einen bestimmten sozialen Status zu assoziieren.
In den armen Stadtvierteln von Caracas bringen sich junge Männer wegen
eines Paares Nike-Schuhe um bzw. verteidigen es bis zum Tod. Das tun
sie nicht wegen des materiellen Wertes der Schuhe, denn niemand ist
bereit, sein Leben für 20 Dollar zu opfern. Aber das Nike-Logo stellt
eine spezifische kulturelle Identität und bestimmte Werte dar, die sie
offenbar bereit sind, bis zum Tode zu verteidigen.
Wir möchten hier in Venezuela einen revolutionären Prozess in Gang
setzen. Deshalb müssen wir eigene Symbole schaffen, die die Symbole der
Markenwelt ersetzen und mit denen revolutionäre Werte in Verbindung
gebracht werden können, Werte der Solidarität - einer solidarischen
Ökonomie. Diese neuen Symbole müssen von Produkten, die wir selbst
herstellen, begleitet werden. Das ist die neue Ökonomie, die in unserer
Verfassung als Staatsziel mit dem Begriff der nachhaltigen, endogenen
Entwicklung verankert ist. Damit ist unsere Verfassung anti-neoliberal.
Das vorherrschende neoliberale Entwicklungsmodell sieht die
Privilegierung großer, transnationaler Konzerne vor, in denen sich das
Kapital konzentriert. So wird zwar Reichtum geschaffen, aber auch der
soziale Ausschluss der Mehrheit der Menschen produziert. Mit unserem
Konzept der endogenen, nachhaltigen Entwicklung soll die Verteilung des
Reichtums demokratisiert werden.
Alle Unternehmen, die der kollektiven Marke angehören, verpflichten
sich, auf die gleiche Art und Weise zu produzieren und einen bestimmten
Qualitätsstandard einzuhalten. Sie können dafür gemeinsam und damit
billiger ihre Rohprodukte und -stoffe kaufen. Sie können gemeinsam
Vermarktungsstrategien entwickeln und Kredite beantragen, was sie
einzeln nicht könnten, weil sie wirtschaftlich zu schwach wären. Und
die kollektiven Marken sind auch für neue Unternehmen offen, wenn sie
sich an bestimmte Bedingungen, wie die Einhaltung von
Qualitätsstandards halten.
Welche Position vertritt Venezuela im so genannten Krieg um die
Patente?
Saman: In Venezuela werden Patente nur auf Erfindungen vergeben,
nicht auf Entdeckungen. Als Erfindungen gelten neue Produkte, z.B. neue
chemische Verfahren oder Modifikationen von existierenden Produkten und
Verfahren. Im Gegensatz dazu werden in den USA auch Entdeckungen in der
Natur und traditionelles Wissen patentiert. Damit der venezolanische
Staat ein Patent vergibt, muss das Produkt, Modell oder Verfahren neu
sein, es muss eine Erfindung sein und gewerblich herstellbar und
nutzbar. Ideen werden hier nicht patentiert, sondern nur ihre
Materialisierung.
Was von einer Patentierung ausgeschlossen ist
Es gibt in Venezuela auch Dinge, die von einer Patentierung
ausgeschlossen sind. Die neue bolivianische Verfassung von 1999
verbietet z.B. mit dem Artikel 127 die Vergabe von Patenten für jede
Form von Pflanzen und Tieren, inklusive Mikroorganismen, auch wenn sie
genetisch verändert sind. Das ist ein großer Unterschied zu vielen
anderen Ländern und auch zu den WTO-Statuten, die die Patentierung von
Lebewesen und Pflanzen in ihrer "natürlichen Form" ausschließen, die
Patentierung ihrer genetischen Modifizierung jedoch zulassen.
Aber: die Internationale Union zum Schutz neuer Pflanzenzüchtungen
(UPOV) möchte ein System, mit Namen sui generis, etablieren, um das
traditionelle Wissen und die Artenvielfalt der jeweiligen Länder zu
schützen, seien sie "natürlich", genetisch modifiziert oder per
Kreuzungen gezüchtet. Dies ist eine Regelung, die sich nicht Patent
nennt, aber ebenso funktioniert. Wir wollen uns nicht darauf einlassen.
Denn wir wollen traditionelles- oder kollektives Wissen nicht
kommerzialisieren, es zu einer Ware machen und auf den Weltmarkt
bringen.
Geistiges Eigentum erscheint als Thema in den WTO-Verhandlungen und in
vielen internationalen Abkommen wie etwa zur Bildung. In den
Verhandlungen zum Freihandelsabkommen ALCA / FTAA ist eine der neun
thematischen Verhandlungsgruppen zum geistigen Eigentum. Weshalb wird
dem eine so große Bedeutung zugemessen?
Saman: Die menschliche Partizipation in der Wertschöpfungskette ist
begleitet vom Wissen des Menschen. Die Gesetzgebung zu geistigem
Eigentum reguliert, privatisiert und kontrolliert dieses Wissen. Das
geistige Eigentum wird also zu einem wichtigen Faktor bei der Kontrolle
der Schaffung von Reichtum. Die USA und Kanada besitzen 90 Prozent
aller Patente auf dem Kontinent. Wenn sie nun versuchen, Gesetze
zugunsten der Inhaber von Patenten durchzusetzen, dann behalten sie
sich exklusiv die Möglichkeit vor, Reichtum zu schaffen. Was wird den
Entwicklungsländern überlassen? Der Verkauf von Rohstoffen, die aber an
sich kaum einen Wert haben. Damit werden unsere Ökonomien auf den Stand
zur Zeit der Kolonien zurückgeworfen. Das ist eine neokoloniale
Politik.
Das geistige Eigentum privatisiert und kontrolliert das für die
Schaffung von Reichtum nötige Wissen
Dieses Wissen ist ein nicht materielles Gut und in einer modernen
Gesellschaft ersetzt es mehr und mehr die Bedeutung, die früher der
Grundbesitz oder das materielle Eigentum hatte. Früher strukturierten
die materiellen Besitzverhältnisse, vor allem der Landbesitz, die
Machtbeziehungen in der Gesellschaft. Der Grundbesitz bspw., als
wichtigste Form des Privateigentums und zentrale Stütze des
Kapitalismus definierte die ökonomische Struktur eines Landes. Heute
ersetzt das geistige Eigentum mehr und mehr das materielle Eigentum als
die für den Kapitalismus zentralste Form des Privateigentums. Der
Materialwert eines Handys etwa, ist unermesslich viel kleiner als der
Wert des Wissens und der Technologie, der in einem Handy steckt. Das
Wissen ist das, was dem Produkt oder der Dienstleistung Wert verleiht.
Das ist der Grund, dass das Thema geistiges Eigentum in allen
internationalen Abkommen eine so wichtige Rolle spielt.
Sie sagen, geistiges Eigentum wird zum Instrument für die Durchsetzung
einer neokolonialen Ordnung. Welche Patentierungspraxis soll mit dem
FTAA konkret durchgesetzt werden?
Saman: In dem FTAA-Kapitel geht es letztlich darum, die gesetzlichen
Grundlagen zu schaffen, praktisch alles patentieren zu können. Das
würde auch das Ende der freien Software bedeuten. Wie bereits erwähnt,
kann Software in Venezuela nicht patentiert werden, sondern sie wird
über das Urheberrecht vor Raubkopien geschützt. Ein Beispiel: ich kaufe
eine urheberrechtlich geschützte Programmiersprache, programmiere damit
meine Software und verkaufe sie, so lief es bisher bei der
Softwareentwicklung. Wenn nun diese Sprache patentiert würde, müsste
ich für jedes Programm, das ich auf Basis dieser Sprache entwickele,
zahlen. Damit würde der Zugang zu Information und Kultur erheblich
eingeschränkt.
Wie verläuft diese Aneignung? Über das Produkt!
Das FTAA-Kapitel zu geistigem Eigentum bedeutet auch für unsere
Kleinbauern ein neues System von Herrschaft und Ausbeutung. Heute
gehört vielen von ihnen das Land, das sie bearbeiten, sie sind so
gesehen freie Bürger. Aber fast der gesamte Verdienst ihrer Arbeit
verschwindet in der Zahlung von Gebühren, entweder für patentierte
Samen oder für die verwendeten Düngemittel bzw. Pestizide, oder beides.
Diese Form der Herrschaft ist weniger personifiziert. Der Feind ist ein
Konzern, dessen Sitz weit entfernt liegt, und nicht mehr der
Großgrundbesitzer. Der Konzern, der das Patent auf das jeweiligen
Dünge-, Schädlingsbekämpfungsmittel oder den Samen hat, eignet sich
also einfach den Reichtum an, den die Kleinbauern schaffen. Wie
verläuft diese Aneignung? Über das Produkt! Ein Produkt, dessen
Herstellung fast nichts kostet.
Das gleiche gilt für Medikamente. Die Kosten der eigentlichen
Produktion machen nur ein Drittel aus, ein weiteres Drittel geht in die
Werbung, ein weiteres in die Verwaltung. Das bedeutet, dass wir, wenn
wir dürften, ein eigenes Medikament viel kostengünstiger herstellen
könnten als das patentierte Markenprodukt. Das bedeutet aber auch, dass
die Gewinnspanne eines patentierten Markenprodukts immens hoch ist. Der
hohe Preis für das Produkt auf dem Markt basiert auf der
Monopolstellung des herstellenden Konzerns. Dieser hohe Preis und die
immense Gewinnspanne werden durch die Gesetze zum Schutz des geistigen
Eigentums ermöglicht. Es ist eine Tragödie, wie hier eine Familie
finanziell ruiniert wird, wenn ein Mitglied erkrankt.
Gegen Biopiraterie
Die Entwicklung vieler dieser patentierten Markenmedikamente basiert
jedoch auf kollektiven, traditionellen Wissensformen und genetischen
Ressourcen aus den Entwicklungsländern. Denn die Industrieländer haben
in der Vergangenheit ihre eigene Biodiversität und ihre genetischen
Ressourcen zerstört. Viele Länder wie die USA haben auch ihre indigene
Bevölkerung weitgehend eliminiert und damit traditionelle Formen von
Wissen. Nun kommen sie und versuchen, sich das traditionelle Wissen der
indigenen Bevölkerung und die genetischen Ressourcen der
Entwicklungsländer anzueignen. Denn um genetische Ressourcen in der
Medizin und Pharmaindustrie nutzen zu können, benötigt man das
lebendige Wissen der lokalen Bevölkerung.
Was unternimmt der SAPI gegen die so genannte Biopiraterie?
Saman: Die USA argumentieren, dass Biopiraterie ein verleumdender
Begriff sei. Denn in vielen Entwicklungsländern, so auch in Venezuela,
seien traditionelles Wissen und genetische Ressourcen gesetzlich nicht
geschützt, da wir beides nicht patentieren können. Es gebe also kein
Gesetz, das diese Form der Aneignung verbiete. Deshalb haben sie den
Begriff der Biopiraterie durch den Begriff der "unwürdigen Aneignung"
ersetzt. Aktuell geht es darum, das, was sie unwürdige Aneignung und
wir Raub nennen, durch ein Tauschverhältnis zu ersetzen. Sie wollen für
die Aneignung von Wissen und Ressourcen zahlen. In der Praxis bedeutet
es, dass sie in den indigenen Gemeinden den Heilern oder dem
Bürgermeister einen Computer anbieten oder den Bau einer Schule und
dafür das lokale medizinische Wissen und die dazu gehörigen Pflanzen
mitnehmen, um es dann in den USA patentieren zu lassen.
Wir versuchen den indigenen Gemeinden zu erklären, was geistiges
Eigentum bedeutet und wie es als Herrschaftsinstrument verwendet wird.
Wir legen ihnen nahe, dass sie sich nicht verkaufen sollen, um ein
internationales Patentsystem zu legitimieren, das die Grundlage für ein
ungerechtes System des Handels zwischen den Ländern ist. Wir haben vom
SAPI aus Geld für eine größere Informationskampagne zum Thema geistiges
Eigentum und traditionelles Wissen aufgetrieben, die sich an die
indigenen Gemeinden Venezuelas richtet. Wir haben eine Broschüre
erstellt, in der über den Artikel 124 der Verfassung informiert wird,
der die Vergabe von Patenten für traditionelles Wissen verbietet.
Links
[1] http://www.sapi.gov.ve/
Telepolis Artikel-URL:
http://www.telepolis.de/deutsch/inhalt/te/16274/1.html
----------------------------------------------------------------------
Copyright © 1996-2003. All Rights Reserved. Alle Rechte vorbehalten
Heise Zeitschriften Verlag, Hannover
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de