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[ox] Zum Verhaeltnis Freier Software zur Wissenschaft



Hi Liste!

Georg Greve hat in der "Brave GNU World"-Ausgabe im Linux-Magazin
11/2003
[http://www.linux-magazin.de/Artikel/ausgabe/2003/11/gnu/gnu.html]
einen interessanten Gedanken zum Verhältnis von Freier Software und
Wissenschaft gebracht, den wir hier wohl noch nicht hatten. Ich
zitiere mal von der Web-Seite. Dieser Abschnitt ist übrigens nicht in
http://www.gnu.org/brave-gnu-world/ drin.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

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Freie Software in der Wissenschaft

Die Prinzipien freier Software ähneln bei genauer Betrachtung sehr
stark denen der Wissenschaft. Beide leben von der Kooperation vieler
Individuen. Isaac Newton hat das folgendermaßen ausgedrückt: "Wenn ich
etwas weiter sah als andere, so deshalb, weil ich auf den Schultern
von Riesen stand." Den Vorteil dieser Arbeit genießen nicht nur die
beteiligten Wissenschaftler oder Entwickler, sondern die gesamte
Gesellschaft - die Wirtschaft eingeschlossen. Auch jene, die nichts
beitragen oder gegen bestimmte Entwicklungen kämpfen.

Vielen sind diese Zusammenhänge mittlerweile klar, die Verbindungen
zwischen freier Software und der Wissenschaft sind allerdings noch
nicht oft und genügend beachtet worden. Zur wissenschaftlichen Methode
gehört es, Theorien aufzustellen und diese durch Experimente zu
untermauern. Durch die erfolgreiche experimentelle Bestätigung einer
These gilt diese als wahr. Durch weitere Bestätigungen wird sie aber
nicht wahrer als wahr.

Anders liegt der Fall, wenn es gelingt, experimentell zu zeigen, dass
die Theorie nicht stimmt, was sie also falsifiziert. In diesem Fall
ist die Theorie in ihrer bisherigen Form unwahr. Sie muss entweder
überarbeitet oder aufgegeben werden. Eine einzige Falsifikation hebt
beliebig viele Verifikationen auf. Sie ist ein essenzieller Teil des
wissenschaftlichen Prozesses, ohne Falsifikation gibt es keine
Wissenschaft.

Die Implementierung ist entscheidend

Zunehmend wird Software zu einem Teil der Wissenschaft. Damit ist
nicht gemeint, dass Wissenschaftler beispielsweise freie
Textprozessoren nutzen, um ihre Ergebnisse schriftlich
zusammenzufassen. Die Verbindung von Software zur Wissenschaft macht
sich dann bemerkbar, wenn Software ganz oder teilweise Grundlage für
Experimente ist. Hier wird sie zum Teil des wissenschaftlichen
Prozesses und des Ergebnisses. Jedem Entwickler ist klar, dass die
Veröffentlichung des in einem Programm verwandten Algorithmus nicht
ausreicht, um die Mittel zur Falsifizierung zu erhalten, die
Implementation ist entscheidend und wird ebenfalls zum Ergebnis.

Proprietäre Software gleicht einer Black Box: Man stelle sich einen
kleinen schwarzen Kasten vor, an dem ein Knopf und eine Lampe
angebracht sind. Jemand behauptet nun, dass durch Druck auf den Knopf
ein Experiment in diesem Kasten durchgeführt wird und die Lampe
dadurch aufleuchtet. Behauptet nun eine zweite Person mit einem
zweiten Kasten, dass in ihrem Kasten das gleiche Experiment
durchgeführt würde, aber die Lampe nicht aufleuchtet, gewinnt niemand
dadurch an Erkenntnis, denn in keinem der beiden Fälle besteht die
Möglichkeit, das Ergebnis zu falsifizieren oder zu verifizieren. Es
beruht lediglich auf Glauben und Vertrauen.

Dies lässt den Schluss zu, dass proprietäre Software inkompatibel mit
der wissenschaftlichen Methode ist, denn sie verweigert sich der
Überprüfung. Dazu gesellen sich weitere Schwierigkeiten. So ist
beispielsweise auch der Entwicklungsverlauf einer wissenschaftlichen
Disziplin Teil des kulturellen Erbes der Menschheit und birgt unter
Umständen wichtige Indizien für künftige Generationen. Ergebnisse
dürfen nicht zeitabhängig sein. Wer heute ein Experiment von Leonardo
da Vinci wiederholen möchte, kann dies ohne Probleme tun.

Plattform-Unabhängigkeit hilft der Wissenschaft

Die Chance, dass ein Experiment, das auf proprietärer Software
basiert, sich nach vielen Jahren wiederholen lässt, tendiert mit der
Anzahl der vergangenen Jahre gegen null. Vor allem dann, wenn die
damals eingesetzte Software auf eine bestimmte Hardwareplattform
angewiesen war. Mit freier Software, die auf beliebige Plattformen
portiert werden kann, ist es möglich, Experimente nachzuvollziehen,
die vor vielen Jahren durchgeführt wurden.

Damit trägt freie Software in starkem Maße zur Archivierung der
wissenschaftlichen und kulturellen Entwicklung der Menschheit bei. Sie
garantiert, dass die wissenschaftlichen Methoden, die uns bis hierher
gebracht haben, bewahrt werden. Die Verbindung zwischen freier
Software und Wissenschaft ist viel intensiver, als es auf den ersten
Blick scheint. Außerdem zeigt sich auch hier die Nähe zu den sozialen
und kulturellen Aspekten, die die Menschheit zusammenhalten.

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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