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[ox] taz: Der Sesam öffnet sich :-)





Der Sesam öffnet sich :-)

Seit einiger Zeit geistert ein neuer Anglizismus durch die Hallen der Wissenschaft: 
"Open Access". Das Zauberwort steht für die weltweite kostenlose Verbreitung 
wissenschaftlicher Texte im Internet
von ANGELA MISSLBECK 

Menschenleer sind die asbestsanierten Gänge der Silberlaube an der Freien 
Universität Berlin in den Semesterferien. Doch irgendwo im rechtwinkligen 
Wirrwarr zwischen Gang K und L steht eine Tür offen. Sie führt zum Büro 
von Katja Mruck am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie. 
Die zarte Frau mit langem und dichtem Haar tritt ihren Gesprächspartnern 
selten persönlich gegenüber. Mit Forschungspartnern verkehrt sie meist auf 
elektronischem Weg - das aber umso reger.
Katja Mruck ist geschäftsführende Herausgeberin der Online-Zeitschrift 
Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research / 
Foro: Investigación Social Cualitativa, kurz FQS. Der Name verweist schon 
auf die internationale Ausrichtung. "Überall auf der Welt arbeiten Leute an 
der gleichen Sache", sagt Mruck, "das ist ein Traum, wie Wissenschaft 
funktionieren kann."
Im dreisprachigen Online-Journal erscheinen regelmäßig wissenschaftliche 
Texte aus dem Bereich der qualitativen Forschung, einer Methode, bei der 
die Forscher ihre Erkenntnisse unter anderem aus langen, tief gehenden 
Interviews gewinnen, statt standardisierte Fragebögen zu verwenden. Jeder 
kann sie lesen, wenn er des Englischen, Deutschen oder Spanischen mächtig 
ist und einen Internetzugang besitzt. Psychologen, Soziologen und 
Kulturforscher arbeiten oft qualitativ, doch meist befinden sie sich damit am 
Rand ihrer Disziplinen. Das war einer der Anstöße für Katja Mruck, eine 
gemeinsame Plattform einzurichten, um die Forschung voranzutreiben. 
Wichtiger war ihr aber der internationale Ansatz, denn in anderen Ländern 
hat die qualitative Forschung teilweise einen höheren Stellenwert. "Wenn ihr 
wollt, dass die Leute euch weltweit wahrnehmen, dann müsst ihr bei uns 
schreiben", sagt Mruck mitunter zu ihren Autoren. Durch das Feedback aus 
aller Welt weiß sie, dass FQS überall gelesen wird. "Weil es uns gibt, kann 
diese deutschsprachige Literatur nach draußen, und das Wissen von 
draußen kommt nach Deutschland", sagt Mruck.
Nichts geht mehr ohne Qualitätssicherung. Damit das möglich wurde, kommt 
in FQS das Peer-Review-Verfahren zum Einsatz, bei dem zwei unabhängige 
externe Gutachter den Text vor der Veröffentlichung beurteilen, ohne den 
Autor zu kennen. Umgekehrt kennt auch der Autor die Gutachter nicht. 
Damit wird sichergestellt, dass die Beurteilung ohne Ansehen der Person 
geschieht.
Nur begrenzt betreibt die deutsche Sozialforschung diese aufwändige 
Qualitätssicherung bei Veröffentlichungen von qualitativen 
Forschungsergebnissen. Mruck sagt: "Ich glaube, unsere Standards sind 
höher als die von manchen sozialwissenschaftlichen Printzeitschriften im 
deutschen Raum." 
Zusätzlich arbeiten deutsche, englisch- und spanischsprachige 
Wissenschaftler mit den Autoren an den eingereichten Texten, bevor sie im 
Internet erscheinen. Dann stehen sie weltweit nicht nur anderen 
Wissenschaftlern, sondern auch dem breiten Publikum zur Verfügung. Jeder 
kann seinen Kommentar dazu abgeben.
Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die FQS fördert, hält 
die Qualitätssicherung für extrem wichtig. Der Leiter der Gruppe 
Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme der DFG, 
Jürgen Bunzel, ist der Meinung, "dass das Peer-Review-Verfahren 
letztendlich die Erfolgsbedingung der Open-Access-Bewegung" ist. 
Im naturwissenschaftlichen Bereich sind Peer Reviews längst Gang und 
Gäbe. Extrem teure Wissenschaftsmagazine begründen unter anderem damit 
oft ihre hohen Preise.
Mit Open Access im Internet geht es plötzlich auch kostenlos. Das 
empfinden viele Wissenschaftsverlage als Affront. Einer der geistigen Väter 
der Bewegung, Nobelpreisträger Harold Varmus, sagte in einem Zeit-
Interview: "Es gibt Zeitschriften, die verlangen für ein institutionelles 
Abonnement bis zu 15.000 Dollar pro Jahr - das ist irrational, denn es 
behindert den Austausch von Information zwischen den Forschern."
Varmus ist einer der Gründer der US-amerikanischen Public Library of 
Science (PLoS), die am 9. Oktober mit einem kostenlosen Biologiejournal 
an die Internet-Öffentlichkeit getreten ist. Die Nonprofit-Organisation 
verlangt das nötige Geld nicht von den Lesern, sondern von den Autoren 
oder den wissenschaftlichen Instituten, die durch die Veröffentlichung ihr 
Renommee erhöhen. Ohne Peer Review könnte PLoS Biology nicht in 
Konkurrenz zu den teuren Zeitschriften treten. Die wissenschaftliche 
Gemeinde würde die Online-Veröffentlichung nicht anerkennen.
Für den freien Zugang zu den Erstveröffentlichungen nennt Varmus 
einleuchtende Gründe: "Der größte Teil der Wissenschaft wird durch 
Steuern finanziert. Deshalb sind wir der festen Überzeugung, dass die 
Publikationen allen zugänglich sein sollten."
Zwar sind geisteswissenschaftliche Zeitschriften noch vergleichsweise 
preisgünstig. Dennoch führt Klaus Graf von der Universität Freiburg auch für 
diesen Bereich an einem Beispiel vor Augen, dass die öffentliche Hand 
gleich viermal in ihre eigenen Taschen greifen muss, bis die Ergebnisse einer 
eingeschränkten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen: Die Gehälter der 
Wissenschaftler, Reisekosten und einiges mehr zahlt der Staat. Auch die 
redaktionelle Überarbeitung finanziert die öffentliche Hand. Der Verlag will 
kostendeckend arbeiten und holt sich Druckkostenzuschüsse von 
öffentlichen Geldgebern dazu. Schließlich sind auch die Bibliotheken, die die 
Publikation anschaffen, vom Steuerzahler finanziert. Graf fasst zusammen: 
"Der Staat kauft seine eigenen Forschungsergebnisse zurück."
Damit wissenschaftliche Veröffentlichungen finanziell künftig besser auf 
eigenen Beinen stehen können, fördert die DFG seit einigen Jahren auch 
Open-Access-Projekte. "Wir stehen der Open-Access-Bewegung mit 
großer Sympathie gegenüber", sagt Bunzel von der DFG, "aber wir 
akzeptieren auch den Wunsch nach Veröffentlichung in namhaften 
Zeitschriften."
Ein "Paradeprojekt" der Open-Access-Bewegung in Deutschland seien die 
German Academic Publishers (GAP), eine Publikationsplattform, die es 
Hochschulen ermöglichen soll, im Netz zu publizieren. Viele 
Universitätsbibliotheken, allen voran die Universitäten Hamburg und 
Karlsruhe, haben sich GAP angeschlossen. Sie arbeiten mit dem FQS von 
Katja Mruck zusammen. GAP entwickeln technische Komponenten für den 
elektronischen Publikationsprozess. Dazu steht FQS gewissermaßen als 
Übungsterrain zur Verfügung.
FQS arbeitet nicht nur selbst international und vernetzt, sondern engagiert 
sich auch in der breit angelegten Budapest Open Access Initiative (BOAI). 
Sie wird nicht nur von wissenschaftlichen Projekten unterstützt, sondern zum 
Beispiel auch von der Berliner Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Die Mitglieder unterzeichneten am 17. Januar 2002 die Budapest Open 
Access Declaration. Sie enthält im Schlusssatz die Vision der Bewegung: 
"Unsere gemeinsame Anstrengung wird auch zu einer Entwicklung beitragen, 
in deren Verlauf Wissenschaft und Bildung sich in der Zukunft überall auf der 
Welt freier und offener entfalten können, als dies bisher der Fall war."
Infos: {HYPERLINK "http://www.qualitative-research.net"}www.qualitative-research.net 


{HYPERLINK "http://www.biology.plos.orgwww.gap-c.de"}www.biology.plos.org


www.gap-c.de 

taz Nr. 7190 vom 24.10.2003, Seite 17, 250 Zeilen (TAZ-Bericht), 
ANGELA MISSLBECK


------- Ende der weitergeleiteten Nachricht / End of forwarded message -------

war auch schon in:
WISSEN2 - info re:search et al.
InfoText und An- und Abmeldung:
http://listserv.shuttle.de/mailman/listinfo/wissen2
sorry bei doppelempfang. k.dz.



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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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