[ox] taz: Der Sesam öffnet sich :-)
- From: "Karl Dietz" <karl.dietz gmx.de>
- Date: Fri, 31 Oct 2003 19:47:06 +0100
Der Sesam öffnet sich :-)
Seit einiger Zeit geistert ein neuer Anglizismus durch die Hallen der Wissenschaft:
"Open Access". Das Zauberwort steht für die weltweite kostenlose Verbreitung
wissenschaftlicher Texte im Internet
von ANGELA MISSLBECK
Menschenleer sind die asbestsanierten Gänge der Silberlaube an der Freien
Universität Berlin in den Semesterferien. Doch irgendwo im rechtwinkligen
Wirrwarr zwischen Gang K und L steht eine Tür offen. Sie führt zum Büro
von Katja Mruck am Fachbereich Erziehungswissenschaft und Psychologie.
Die zarte Frau mit langem und dichtem Haar tritt ihren Gesprächspartnern
selten persönlich gegenüber. Mit Forschungspartnern verkehrt sie meist auf
elektronischem Weg - das aber umso reger.
Katja Mruck ist geschäftsführende Herausgeberin der Online-Zeitschrift
Forum Qualitative Sozialforschung / Forum: Qualitative Social Research /
Foro: Investigación Social Cualitativa, kurz FQS. Der Name verweist schon
auf die internationale Ausrichtung. "Überall auf der Welt arbeiten Leute an
der gleichen Sache", sagt Mruck, "das ist ein Traum, wie Wissenschaft
funktionieren kann."
Im dreisprachigen Online-Journal erscheinen regelmäßig wissenschaftliche
Texte aus dem Bereich der qualitativen Forschung, einer Methode, bei der
die Forscher ihre Erkenntnisse unter anderem aus langen, tief gehenden
Interviews gewinnen, statt standardisierte Fragebögen zu verwenden. Jeder
kann sie lesen, wenn er des Englischen, Deutschen oder Spanischen mächtig
ist und einen Internetzugang besitzt. Psychologen, Soziologen und
Kulturforscher arbeiten oft qualitativ, doch meist befinden sie sich damit am
Rand ihrer Disziplinen. Das war einer der Anstöße für Katja Mruck, eine
gemeinsame Plattform einzurichten, um die Forschung voranzutreiben.
Wichtiger war ihr aber der internationale Ansatz, denn in anderen Ländern
hat die qualitative Forschung teilweise einen höheren Stellenwert. "Wenn ihr
wollt, dass die Leute euch weltweit wahrnehmen, dann müsst ihr bei uns
schreiben", sagt Mruck mitunter zu ihren Autoren. Durch das Feedback aus
aller Welt weiß sie, dass FQS überall gelesen wird. "Weil es uns gibt, kann
diese deutschsprachige Literatur nach draußen, und das Wissen von
draußen kommt nach Deutschland", sagt Mruck.
Nichts geht mehr ohne Qualitätssicherung. Damit das möglich wurde, kommt
in FQS das Peer-Review-Verfahren zum Einsatz, bei dem zwei unabhängige
externe Gutachter den Text vor der Veröffentlichung beurteilen, ohne den
Autor zu kennen. Umgekehrt kennt auch der Autor die Gutachter nicht.
Damit wird sichergestellt, dass die Beurteilung ohne Ansehen der Person
geschieht.
Nur begrenzt betreibt die deutsche Sozialforschung diese aufwändige
Qualitätssicherung bei Veröffentlichungen von qualitativen
Forschungsergebnissen. Mruck sagt: "Ich glaube, unsere Standards sind
höher als die von manchen sozialwissenschaftlichen Printzeitschriften im
deutschen Raum."
Zusätzlich arbeiten deutsche, englisch- und spanischsprachige
Wissenschaftler mit den Autoren an den eingereichten Texten, bevor sie im
Internet erscheinen. Dann stehen sie weltweit nicht nur anderen
Wissenschaftlern, sondern auch dem breiten Publikum zur Verfügung. Jeder
kann seinen Kommentar dazu abgeben.
Auch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG), die FQS fördert, hält
die Qualitätssicherung für extrem wichtig. Der Leiter der Gruppe
Wissenschaftliche Literaturversorgungs- und Informationssysteme der DFG,
Jürgen Bunzel, ist der Meinung, "dass das Peer-Review-Verfahren
letztendlich die Erfolgsbedingung der Open-Access-Bewegung" ist.
Im naturwissenschaftlichen Bereich sind Peer Reviews längst Gang und
Gäbe. Extrem teure Wissenschaftsmagazine begründen unter anderem damit
oft ihre hohen Preise.
Mit Open Access im Internet geht es plötzlich auch kostenlos. Das
empfinden viele Wissenschaftsverlage als Affront. Einer der geistigen Väter
der Bewegung, Nobelpreisträger Harold Varmus, sagte in einem Zeit-
Interview: "Es gibt Zeitschriften, die verlangen für ein institutionelles
Abonnement bis zu 15.000 Dollar pro Jahr - das ist irrational, denn es
behindert den Austausch von Information zwischen den Forschern."
Varmus ist einer der Gründer der US-amerikanischen Public Library of
Science (PLoS), die am 9. Oktober mit einem kostenlosen Biologiejournal
an die Internet-Öffentlichkeit getreten ist. Die Nonprofit-Organisation
verlangt das nötige Geld nicht von den Lesern, sondern von den Autoren
oder den wissenschaftlichen Instituten, die durch die Veröffentlichung ihr
Renommee erhöhen. Ohne Peer Review könnte PLoS Biology nicht in
Konkurrenz zu den teuren Zeitschriften treten. Die wissenschaftliche
Gemeinde würde die Online-Veröffentlichung nicht anerkennen.
Für den freien Zugang zu den Erstveröffentlichungen nennt Varmus
einleuchtende Gründe: "Der größte Teil der Wissenschaft wird durch
Steuern finanziert. Deshalb sind wir der festen Überzeugung, dass die
Publikationen allen zugänglich sein sollten."
Zwar sind geisteswissenschaftliche Zeitschriften noch vergleichsweise
preisgünstig. Dennoch führt Klaus Graf von der Universität Freiburg auch für
diesen Bereich an einem Beispiel vor Augen, dass die öffentliche Hand
gleich viermal in ihre eigenen Taschen greifen muss, bis die Ergebnisse einer
eingeschränkten Öffentlichkeit zur Verfügung stehen: Die Gehälter der
Wissenschaftler, Reisekosten und einiges mehr zahlt der Staat. Auch die
redaktionelle Überarbeitung finanziert die öffentliche Hand. Der Verlag will
kostendeckend arbeiten und holt sich Druckkostenzuschüsse von
öffentlichen Geldgebern dazu. Schließlich sind auch die Bibliotheken, die die
Publikation anschaffen, vom Steuerzahler finanziert. Graf fasst zusammen:
"Der Staat kauft seine eigenen Forschungsergebnisse zurück."
Damit wissenschaftliche Veröffentlichungen finanziell künftig besser auf
eigenen Beinen stehen können, fördert die DFG seit einigen Jahren auch
Open-Access-Projekte. "Wir stehen der Open-Access-Bewegung mit
großer Sympathie gegenüber", sagt Bunzel von der DFG, "aber wir
akzeptieren auch den Wunsch nach Veröffentlichung in namhaften
Zeitschriften."
Ein "Paradeprojekt" der Open-Access-Bewegung in Deutschland seien die
German Academic Publishers (GAP), eine Publikationsplattform, die es
Hochschulen ermöglichen soll, im Netz zu publizieren. Viele
Universitätsbibliotheken, allen voran die Universitäten Hamburg und
Karlsruhe, haben sich GAP angeschlossen. Sie arbeiten mit dem FQS von
Katja Mruck zusammen. GAP entwickeln technische Komponenten für den
elektronischen Publikationsprozess. Dazu steht FQS gewissermaßen als
Übungsterrain zur Verfügung.
FQS arbeitet nicht nur selbst international und vernetzt, sondern engagiert
sich auch in der breit angelegten Budapest Open Access Initiative (BOAI).
Sie wird nicht nur von wissenschaftlichen Projekten unterstützt, sondern zum
Beispiel auch von der Berliner Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Die Mitglieder unterzeichneten am 17. Januar 2002 die Budapest Open
Access Declaration. Sie enthält im Schlusssatz die Vision der Bewegung:
"Unsere gemeinsame Anstrengung wird auch zu einer Entwicklung beitragen,
in deren Verlauf Wissenschaft und Bildung sich in der Zukunft überall auf der
Welt freier und offener entfalten können, als dies bisher der Fall war."
Infos: {HYPERLINK "http://www.qualitative-research.net"}www.qualitative-research.net
{HYPERLINK "http://www.biology.plos.orgwww.gap-c.de"}www.biology.plos.org
www.gap-c.de
taz Nr. 7190 vom 24.10.2003, Seite 17, 250 Zeilen (TAZ-Bericht),
ANGELA MISSLBECK
------- Ende der weitergeleiteten Nachricht / End of forwarded message -------
war auch schon in:
WISSEN2 - info re:search et al.
InfoText und An- und Abmeldung:
http://listserv.shuttle.de/mailman/listinfo/wissen2
sorry bei doppelempfang. k.dz.
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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de