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[ox] Bericht vom e-Democracy-Workshop



Liebe Liste,

wie vielleicht erinnerlich hatte ich das Paper zu Mailing-Listen
[http://www.opentheory.org/mailinglisten/] beim Workshop "e-Democracy"
der GI-Jahrestagung (GI = Gesellschaft für Informatik, die akademische
Standesvereinigung der InformatikerInnen) eingereicht und es war
akzeptiert worden. Gestern war nun dieser Workshop und ich möchte ein
paar, sicher subjektive Eindrücke wiedergeben.

Der Workshop war dicht gedrängt: Insgesamt 15 Beiträge a 15 Minuten
wurden auf vier Blöcke verteilt. Vier Beiträgen folgten jeweils 25
Minuten Diskussion und 5 Minuten Schreibreflexion, in denen die 30-40
TeilnehmerInnen aufgefordert waren, aus dem Gehörten Forschungsfragen
zu entwickeln. Diese Orientierung an einem greifbaren Ergebnis der
gemeinsamen Bemühungen fand ich übrigens ganz gut und es ist für
Workshops wohl eigentlich nicht unüblich. Zwischen den Blöcken gab es
je 1/2 Stunde Pause bzw. 1 1/2 Stunden Mittagspause. Ein strammes
Programm also, das aber auch wirklich strikt eingehalten wurde. Ein
Lob an Veranstalter und ReferentInnen.

Schon nach dem ersten Block wies ich darauf hin, dass für eine
vernünftige Debatte eines Differenzierung des Begriffs Demokratie zu
leisten wäre. Folgende Differenzierung hatte ich vorgeschlagen:

* Demokratie als Fortsetzung repräsentativ-demokratischer
  Staatssysteme

* Demokratie als Entscheidungsverfahren (Abstimmungen, Mehrheiten)

* Demokratie als politische Basiskultur

Die allermeisten Beiträge des Workshops bezogen sich auf die erste
Form. Es ging um Dinge wie e-Voting oder e-Polling, Systeme zur
Kommunikation zwischen Parteien oder kommunalen Behörden und
BürgerInnen etc. In praktisch allen Fällen wurde weniger darüber
berichtet, was "von alleine" im Internet entstanden ist, sondern
darüber, wie Menschen auf bestimmte, von Außen an sie heran getragene
Angebote reagiert haben. Mich wunderte es nicht, dass die teilweise
hoch gesteckten Erwartungen bzgl. Beteiligung der BürgerInnen in aller
Regel herb enttäuscht wurden. In einem Wort würde ich sagen: Die
partizipativen Möglichkeiten elektronischer Medien weisen inhärent
über repräsentativ-demokratische Formen hinaus. Kein Wunder, dass
BürgerInnen sich daran nicht so rasend beteiligen. Na, vielleicht gibt
es da auch noch ein paar andere Überlegungen so in Richtung
Massengesellschaft heute dazu.

Ausgehend von der These, dass Menschen sich nur da tatsächlich aktiv
beteiligen, wo sie sich auch Einflussmöglichkeiten ausrechnen, hatte
ich diese Forschungsfragen dazu aufgeschrieben:

* Auf welchen Sektoren sind Menschen an Partizipation gewöhnt, so
  dass sie entsprechende Möglichkeiten auch wahrnehmen?

  - Warum auf diesen Sektoren?

  - Welche Randbedingungen müssen erfüllt sein?

Leider ist der andere Aktivist, den die beiden Ausrichter außer mir
eingeladen hatten und der von `politik-digital' kommen sollte, wegen
der hohen Tagungsgebühren (als Voraussetzung zur Teilnahme! 100+EUR
für einen Tag!) nicht gekommen. So war ich dann der einzige, der sich
vor allem auf die zweite und dritte der oben vorgeschlagenen
Differenzierungen bezogen hat.

Immerhin konnte ich mit meinem Beitrag einiges Interesse auslösen und
es kamen auch einige ganz interessante Nachfragen und Anmerkungen.
Mehrere Diskussionsbeiträge gingen auf praktische Probleme von
Mailing-Listen ein. So wurde nach dem Umgang mit Trolls oder anderen
Störungen gefragt und auch wie es sich mit Macht in Mailing-Listen
verhielte. Sicher Fragen, die es näher zu beleuchten gälte und die ja
auch schon im OpenTheory-Projekt angesprochen wurden. Bzgl. Demokratie
kam die Befürchtung auf, dass Mailing-Listen auch LobbyistInnen von
Konzernen offen stehen. Eine gute Antwort auf diesen Einwand war, dass
im Gegensatz zu den meisten anderen Medien jede Mail in einer
Mailing-Liste genau eine Zeile in der Inbox ausmacht. Im Gegensatz zu
klassischen Medien ist die Sichtbarkeit also für alle gleich hoch.
Als Forschungsfragen hatte ich notiert:

* Analyse der Mittel zur Entscheidungsfindung, die sich im Internet
  "von selbst" und ungesteuert entwickelt haben (Mailing-Listen,
  Web-Foren, Newsgroups, Chat, ...) hinsichtlich der Art und Weise der
  Entscheidungsfindung insbesondere in Freien Projekten

Ein paar wichtige Hinweise, die ich einem anderen Vortrag vonb Johann
Bizer entnehmen konnte, möchte ich hier gerne wiedergeben. In einer
Erfahrung mit einem Web-Forum, dass der Kommunikation mit Abgeordneten
dienen sollte, zeigte sich, dass je klarer das Gesicht des Moderators
wurde, desto mehr Akzeptanz er gewann. Kontrastiert wurde das mit den
anonymisierten Formen, die in der Verwaltung üblich sind, bei der
konkrete SachbearbeiterInnen mit "Der Regierungspräsident"
unterzeichnen. In diesem Forum war es z.B. konkret so, dass zunächst
mehrere unterschiedliche Leute unter der gleichen Funktionsbezeichnung
"Moderator" schrieben. Ich denke, dass sich hier eine Erfahrung
spiegelt, die es so ähnlich auch in der Freien Software gibt, wo
MaintainerInnen eben offen als real-existierende Personen auftreten,
die zwar eine besondere Rolle im Projekt spielen, aber gleichzeitig
als Menschen erkennbar bleiben. Theoretisierend würde ich sagen, dass
der Entfremdungsgrad bei Funktionsbezeichnungen einfach schon sehr
hoch ist und die Leute sehr angemessen darauf reagieren.

Ein weiterer wichtiger Hinweis bezog sich darauf, dass in solchen
BürgerInnenbeteiligungsverfahren ein Mix aus Online und FaceToFace
verwendet werden sollte, da beide Formen unterschiedliche Leute
ansprechen. Eine entsprechende Einbindung kann also nur mit fließenden
Übergängen zwischen beiden Formen funktionieren.

Überhaupt Thema Moderation. Es gab scheinbar eine durchgängige
Meinung, dass Moderation unabdingbar ist. Bei der Kurzatmigkeit der
vorgestellten Projekte kann ich mir sogar vorstellen, dass mangels
Community eine mehr oder wenig heftige Moderation notwendig ist.
Allerdings würde ich denken, dass mit Entstehen einer funktionierenden
Community Moderation immer weniger nötig ist, da dann der soziale Raum
und seine Grenzen durch die laufende Praxis definiert wird anstatt
durch Moderationseingriffe.

Meine Forschungsfrage dazu war:

* Wie entstehen Communities im Internet?

Es gab auch den Hinweis darauf, dass solche Moderationstätigkeit zu
einem guten Teil aus Interpretation und Zusammenfassung des von
anderen Geschriebenen bedeutet. Das ist ja etwas, was (nicht nur)
FranzN sich immer wieder auch für Oekonux wünscht.

Meine Forschungsfrage dazu war:

* Wie kann "hermeneutische Tätigkeit" (Interpretation und
  Zusammenfassung von Texten) automatisiert werden?

Als weitere Aktivitäten haben die Veranstalter vor, eine GI-Fachgruppe
zu bilden bzw. zu reaktivieren und auch eine Mailing-Liste zum Thema
e-Democracy einzurichten. Wer daran interessiert ist, kann sich an
mich wenden, da ich über diese Aktivitäten unterrichtet werden werde.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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