Identitaet (was: Re: Re: [ox] Gibs Gruppen?)
- From: Stefan Meretz <stefan.meretz hbv.org>
- Date: Tue, 22 Apr 2003 00:12:06 +0200
Hi StefanMn et al.,
On Monday 21 April 2003 14:03, Stefan Merten wrote:
Ich würde heute nicht mehr eine Gruppe wie ein Subjekt
behandeln, wenn ich über Emanzipation nachdenke.
Warum sollte mensch das auch tun? Aber vielleicht verstehe ich jetzt
nur zu wenig, was du mit "Subjekt" genau meinst.
Ganz klassisch: kollektives Subjekt als kollektive handelnde Entität. Z.B.
die Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt war sowas.
Warum ich solche kollektiven Entitätsbildungen nicht (mehr) für
emanzipatorisch halte, habe ich in der vorhergehenden Mail beschrieben.
Tut man das, setzt dies einen
identitären Bezug voraus.
Kannst du diesen Satz näher erläutern? Was ist ein identitärer Bezug
und was ist im emanzipatorischen Interesse daran problematisch? Das
ist keine rhetorische Frage, sondern ich habe wirklich nicht die
leiseste Ahnung, von was du da sprichst. Da das häufiger bei dir
auftaucht, würde ich gerne wissen, von was du da eigentlich sprichst.
Um eine kollektive Entität zu erzeugen, muss es eine gemeinsamen
Bezugspunkt geben, eines, womit sich alle identifizieren (können, wollen,
sollen oder müssen). Dieses Gemeinsame macht die Identität des Kollektivs
aus. Früher (auch noch heute) waren das z.B. vermutete oder postulierte
"gemeinsame Interessen", die entweder objektiv bestimmt oder subjektiv
gegeben waren. Es ist offensichtlich, dass Identitäten stets
transzendentaler Bezüge bedürfen, dass sie ohne solche gar nicht
funktionieren. Solche Identitäten waren und sind auch zentral wichtig für
den emotionalen Bezug: die eigene Identität schafft gleichzeitig das
Nicht-Identische, das Ab(zu)stoßende, den Feind. Das historisch brutalst
wirkwächtige Identität-Nichtidentität-Konstrukt war (und ist) der
Antisemitismus.
Nun kann man sagen, dass ja nicht alle identitären Konstrukte und Bezüge
"so schlimm" in der Auswirkung sein müssten, sie könnten doch durchaus
positiv sinnstiftend sein. Man könnte sich doch so eine positivem
Identitätspluralismus vorstellen. - Ja, könnte man, und das wird ja auch
getan. Interessanterweise können die krassesten Identitätskonstrukte (der
Rassisten und Antisemiten weltweit) durchaus "plural" nebeneinander
existieren. Der Kern der Ausschluss- und im Extremfall der
Vernichtungslogik des Nicht-Identitären wird dadurch jedoch nicht
angetastet.
Das ist schon problematisch genug. Warum ich es jedoch in unserem Kontext
problematisch finde, ist die Überlegung, dass sich IMHO Selbstentfaltung
und kollektive Identitätsbildung ausschliessen. Dort, wo identitäre
Bezüge forciert werden, treten auch transzendente Bezüge hervor und
untergraben die je eigene Individualität. Das geschieht in der Freien
Software jedoch nach meiner Beobachtung relativ selten.
Bislang wurde noch nicht versucht, die Gruppendiskussion (positiv) mit
Identitätsbildung zu verbinden. Aber der "Gruppenstandpunkt" ist nicht
mehr weit weg davon.
Ciao,
Stefan
--
Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
Internetredaktion
Potsdamer Platz 10, 10785 Berlin
--
stefan.meretz verdi.de
maintaining: http://www.verdi.de
private stuff: http://www.meretz.de
--
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de