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[ox] "Umsonstladen unterwegs"



Zur Dokumentation:


Stadt Gießen  24.02.2003  
 
Mit Massagebürste gegen den Konsumterror  

„Umsonstladen unterwegs“ in der Katharinengasse –
Initiatorinnen hoffen auf positive Werbung für nächsten Aktionstag 

 Florian Willershausen GIESSEN. „Kommen Sie ruhig her, hier
gibt’s alles umsonst“, ruft „Kalli“ den Passanten entgegen.
Umsonst? Dieses Wort hat ganz unterschiedliche Wirkung auf die
„Shopper“ in der Katharinengasse. Der eine lächelt, der andere schüttelt den Kopf,
nur wenige bleiben stehen. „Wir rufen hier nicht zum Regierungsputsch
auf und wollen auch keine Unterschriften sammeln“, besteht Annika (19).
Mit „Kalli“ (20) und Simone (26) hat sie an diesem Samstagmorgen
den „Umsonstladen“ in der Fußgängerzone aufgebaut, wo man
Kleidung, Massagebürste, Haarspangen, Puppenschuhe, Duftlämpchen und vieles mehr
bekommen kann – „für umsonst“, versteht sich. Das Personal
des „Gießener Umsonstladens“ hat’s schwer an diesem
Samstagvormittag. Das Kaufhaus nebenan „dudelt“ unaufhörlich
Faschingsmusik in die Fußgängerzone. „Das wär’ ja alles gar nicht so schlimm,
wenn die mal die CD wechseln würden“, beschwert sich Annika. Und
„Kalli“ überlegt, ob „die uns wohl vertreiben wollen“. Die
Stadt Gießen hat es den drei Studentinnen nicht erlaubt, ihren Stand im
Seltersweg aufzuschlagen, weil die Sachbearbeiter nicht glauben konnten, dass im
„Umsonstladen“ tatsächlich alles umsonst ist. So verbringen sie
vier Stunden in der weniger publikumsträchtigen Katharinengasse. 

Zwölf Thermoskannen mit fünf verschiedenen Teesorten stehen auf dem
Pflasterboden. Immer wieder gießen sich die drei Studentinnen der politischen Linken
einen Schluck warmen Tee in Plastikbecher, denn bei drei Grad plus ist es
kalt in Gießen. Eine ältere Dame im cremefarbenen Pelzmantel hält an. Annika,
die 19-Jährige in der Zimmermannshose, rüstet sich zum
„Kundengespräch“. „Wie finanziert sich das denn?“, fragt die Dame, die
inzwischen verstanden hat, dass alle Artikel kostenlos sind. „Manche Leute
bringen uns etwas vorbei, das sie nicht mehr brauchen können, andere nehmen
Artikel kostenlos mit“, erklärt „Kalli“ und gibt ihr einen
Flyer in die Hand. 

Was auf dem weißen Flyer „Umsonstladen unterwegs“ steht, können
Annika, „Kalli“ und Simone im Schlaf aufsagen. Es ist die Idee,
die hinter dem „Umsonstladen“ steckt, die Idee, „dem immer
weiter fortschreitenden Konsumterror, der Wegwerfgesellschaft und dem
Kapitalismus entgegenzutreten“. Warum etwas wegschmeißen, was andere noch gut
gebrauchen können?, fragen die jungen Frauen rhetorisch. „Verschenkt
werden“ und „geschenkt bekommen“ könnten alle Dinge, die noch
brauchbar sind – vom Plattenspieler über den Schnellkochtopf bis hin
zum Wohnzimmerschrank, wobei letzterer freilich nicht am mobilen
„Umsonstladen“-Stand aufgebaut werden kann. 

„Bevor man das alte Zeug in die Tonne schmeißt, kann man es auch im
Umsonstladen abgeben“, meint Peter Weber aus Marburg. Er hat bis dahin
noch nichts von dieser Idee gehört, die in Marburg und seit zwei Monaten auch
im Gießener Info-Laden des „AK44“ längst in die Tat umgesetzt
wird. „Das ist eine gute Sache – vor allem für die Leute, die nicht
so viel Geld haben“, schließt sich Claudia Deli aus Gießen an.
„Die meisten Leute zieren sich noch, stehen zu bleiben“, erklärt Simone.
Aber damit habe man gerechnet. „Wer sich am Stand umschaut und sich über
den Umsonstladen informiert, ist durchweg begeistert“, freut sich die
26-Jährige. So wie Gabi Bender aus Annerod: „Das ist ja der Hammer, was
man hier alles findet!“ Einen schönen Pullover nimmt sie kostenlos mit
nach Hause und verspricht zugleich: „Wenn der Umsonstladen wieder
unterwegs ist, räume ich meine Schränke aus und komme vorbei!“ 

Auf begeisterte Kundschaft wie Gabi Bender setzt die Belegschaft des
„Umsonstladens“. Die meisten Artikel haben sie im Bekanntenkreis
„eingesammelt“, im fest eingerichteten „Umsonstladen“ im
Alten Wetzlarer Weg oder in Marburg abgeholt. Am 15. März laden die jungen Damen
zum „Umsonsttag“ in die Alte Universitätsbibliothek in der
Bismarckstraße ein – dann nicht nur mit „Umsonst-Artikeln“,
sondern auch mit „Umsonst-Büfett“. 

Jetzt hoffen sie auf positive Werbung für ihren nächsten
„Umsonsttag“, der – im Kampf gegen den Konsumterror der Wegwerfgesellschaft
– zur regelmäßigen Instanz in Gießen werden soll. Denken Annika, Kalli
und Simone an den großen Zuspruch, den sie in der Katharinengasse erfahren
haben, nehmen sie auch gerne „Klaus & Klaus, Heino und Wolfgang Petry in
der Endlos-Schleife“ für einige Stunden in Kauf.  
  

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