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Re: Warum Herrschaftsdebatte? (was: Re: [ox] Re: Herrschaft in den Protokollen)



Hallo Stefan Merten, Franz und Liste,
At Sonntag, 12. Januar 2003 you wrote:

Die Feststellung "Herrschaft gibts überall" ist sehr billig zu haben,
die Frage ist, was sie uns wirklich bringt.

SM> Eine höchst berechtigte Frage. Meine (Arbeits)hypothese ist, dass es
SM> wichtig ist, dieses Phänomen zu begreifen. Nur dann können wir damit
SM> umgehen - und es geht nicht mit uns um.

SM> Dies ist ganz ähnlich wie bei anderen ziemlich abstrakten Begriffen,
SM> die hier sehr gängig sind: Wert oder Gesellschaft um nur zwei zu
SM> nennen, aber auch Selbstentfaltung. Wie bei anderen abstrakten
SM> gesellschaftlichen Begriffen scheinen mir alle (zu) einfachen
SM> Erklärungen hier nicht hilfreich. Vielmehr muss es m.E. darum gehen,
SM> zu verstehen, wie Herrschaft entsteht. Und dazu reicht es m.E. einfach
SM> nicht aus, einfach nur das Böse im Menschen zu postulieren oder
SM> einfach nur die HerrscherInnen für so unglaublich geschickt zu halten,
SM> dass sie dem Rest der Menschheit einfach was vormachen können. M.E.
SM> ist dieses Phänomen nicht ohne Anschlüsse bei allen Menschen zu
SM> verstehen. Wie das geht, darum geht's mir.

M.E. lässt sich eine Analyse zum Begriff der Herrschaft, jedenfalls im
Anfang, nur soziobiologisch angehen.
Robert A. Wilson hat in seinem Buch 'Der neue Prometheus' ein recht
gelungenes Modell, wie ich finde, der Evolution unserer Intelligenz
entwickelt, das vielleicht zu dieser Debatte beitragen kann, wenn es auch
an manchen Stellen z. T. recht abenteuerlich anmutet.

Wilson stellt die These auf, daß sich die Intelligenz in erst mal acht
sogenannten Schaltkreisen stetig weiterentwickelt.
Er betrachtet das Gehirn als eine Art Bio-Computer mit seinen
Programmen, ohne zu behaupten, daß es das 'ist'.
Im Sinne von der Karte, die nicht das Territorium ist.

Eine kurze Zusammenfassung, beginnend mit den vier 'klassischen' Ebenen

1. Bio-Überleben
   Prägung durch Mutter oder Mutterersatz.
   Vermeidet alles, was als gefährlich oder bedrohlich erscheint oder
   damit assoziiert wird.
2. Territorial-Emotional
   Krabbelphase, Machtansprüche in der Meute (Familie).
   Territoriale Spielregeln, emotionale Tricks, Herrschaftsrituale.
3. Zeit-bindende Semantik
   Durch menschliche Artefakte und Symbolsysteme geprägt.
   Ordnet seine Umgebung nach lokalen Realitätstunneln.
   Erfinden, Entdecken etc.
4. Sozio-sexuell
   Pubertät, lokale Definitionen von 'Richtig' und 'Falsch',
   Stammestabus, Geschlechtsrolle etc.

Diese vier Ebenen haben sich über Jahrtausende hinweg entwickelt und
die Evolution wird von jedem Menschen während des Reifeprozesses vom
Kind zum Erwachsenen quasi rekapituliert.

Die 'neureren' Ebenen werden laut Wilson nur von wenigen erreicht,
z. B. durch fortgeschrittene Yoga-Techniken.
Ich stelle sie der Vollständigkeit halber mal dar:

5. Ganzheitlich neurosomatische Ebene
6. Kollektiv neurogenetische Ebene
7. Metaprogrammierende Ebene
8. Nicht-örtliche Quanten-Ebene
9. ?

Interressant für die Herrschaftsdebatte dürften hier die
emotional-territoriale (ab jetzt Ebene 2) und evtll. die semantische
Ebene sein (Ebene 3).

Die Ebene 2 Vernetzung des Gehirns hat ausschließlich mit Machtpolik
zu tun.  Sie befindet sich bei fast allen Wirbeltieren und ist ca. 500
bis Tausend Millionen Jahre alt und äußert sich bei der Transformation
vom Baby zum Kleinkind, z. B. durch Muskelspiel und Losbrüllen oder
Unterwerfung und schließt wahrscheinlich gewisse
Erziehungsprägungen mit ein.
Der Egoist benimmt sich wie ein Zweijähriger, heißt es
umgangssprachlich.
Der Einfachheit halber teilt Wilson diese Ebene in vier Elemente ein.
Dieses Schema ist keinesfalls unveränderlich und will auch nicht
unterstellen, daß es nur diese gibt.

1. Aggressive Stärke
2. Freundliche Stärke
3. Aggressive Schwäche
4. Freundliche Schwäche

Beispiel:
Werden diese 4 Elemente auf eine einsame Insel verbannt, könnte
anhand dieses Modells vorhergesagt werden, was eintrifft.

Person 1 und 2 werden versuchen die Führung zu übernehmen.
Person 2, um den anderen zu helfen, Person 1, weil sie sich keinen besseren
für diese Position vorstellen kann.
Person 2 wird den Job an Person 1 abtreten, weil es nie gut laufen wird,
wenn Person 1 nicht Boss wird.
Person 4 ist es völlig egal, Hauptsache, irgendwer trifft die
Entscheidungen und Person 3 wird meckern, ohne Verantwortung zu
übernehmen.

Anderes Beispiel:
Jeder, der mit Kindern spielt, wird sich im
Handumdrehen als Schiedsrichter zwischen Säugetier-territorialen
Streitereien wiederfinden ;-)

Das ist allerdings vereinfacht und auch kein starres Konzept, es
dient nur der Einfachheit.
Jedes System, das menschliche Verhaltensweisen beschreibt,
sollte flexibel und ausbaufähig sein.
Das Optimum wäre wohl eine Gemeinschaft, in der alle Elemente sich
entfalten können, oder das Individuum alle diese Qualitäten in sich
vereinigt, quasi ein Kreis.

Um noch kurz auf die semantische Ebene einzugehen, möchte ich noch ein
Beispiel wagen:
Nehmen wir einfach mal das Urchristentum, eine Lehre der Harmonie und
der Brüderlichkeit. Diese Ideologie (Ebene 3) setzt allerdings auf einen
Staat auf, der die Sicherheit (Gesetz, 2 Ebene) und Ernährung (1 Ebene)
gewährleistet. Übernimmt diese Ideologie den Staat (Untergang des
römischen Reiches)und kann diesen nicht konstruktiv ersetzen,
setzt massive Überlebensangst ein, das Chaos droht.
Da die Überlebenstriebe und machtpolitischen Faktoren (1 und 2
Ebene) stärker sind als die semantische, wird der Ruf nach Papa
(Papst, Ebene 2) oder Mama (Ebene 1) laut, eine Diktatur, Theokratie oder
Ähnliches droht.

Wichtig ist m. E., daß diese Ebenen getrennt betrachtet werden und
nicht zusammen, wie es oft geschieht, sie sind unterschiedlich alt.
Während die beiden ersten 'Schaltkreise' bei vielen Lebensformen
vorhanden sind, treten die übrigen Ebenen nur beim Menschen auf.

Ich werde jetzt erstmal enden, die Mail wird sonst endlos, so langsam
tippe ich mich ein ;-)
Es ist vielleicht etwas oberflächlich geraten, aber ich hoffe, ich
konnte das Modell zusammenfassend etwas darlegen.
Inwieweit dieses doch soziobiologische Konstrukt mit den Thesen
anderer Beiträge, z. B. Empire zusammenpasst, kann ich leider nicht
sagen, vielleicht könnte das irgendwie verquickt werden.
Vielleicht findet der ein oder andere Interesse an diesem, na,
doch ein bisschen abenteuerlichen Modell, und die Debatte könnte durch
diesen Beitrag ergänzt werden.
--
Grüße
Uli Holz

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de



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