Message 05486 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT05486 Message: 1/1 L0 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

[ox] Fwd: Micky und die Mäuse



Fyi:

----------  Forwarded Message  ----------
Subject: Micky und die Mäuse 
Date: Sun, 20 Oct 2002 16:25:32 [PHONE NUMBER REMOVED]

Micky und die Mäuse

Ein Professor kämpft gegen verlängertes Urheberrecht

Von Konrad Lischka

Der Disney-Konzern ist in Florida gegen Kindergärten vorgegangen, die
ihre Wände unerlaubt und ohne zu bezahlen mit den Umrissen von Micky
Maus und Goofy zieren. Vor dem obersten US-Gericht kämpft jetzt der
Juraprofessor Lawrence Lessig für eine freie Micky Maus - und gegen die
Kommerzialisierung von Wissen.

Vordergründig wollte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten am
vergangenen Mittwoch nur darüber beraten, ob das Urheberrecht rückwirkend
um 20 Jahre verlängert werden kann. Doch hinter der Verhandlung "Eldred
gegen Ashcroft" steckte mehr: 200 Menschen warteten vor dem
Gerichtsgebäude - viele sogar die Nacht über -, um am Morgen einen der
nur 25 für die Öffentlichkeit reservierten Plätze im Gerichtssaal zu
ergattern. Denn dort wurde eine grundsätzliche Frage gestellt: Wie
werden in der Wissensgesellschaft die Interessen zwischen
Informationskonzernen und Allgemeinheit abgewogen?

Diesen Konflikt veranschaulicht der konkrete Fall: Der Informatiker Eric
Eldred hatte 1995 für seine Kinder Nathaniel Hawthornes Roman The
Scarlett Letter liebevoll mit Anmerkungen als digitale Onlineausgabe
aufbereitet. Er fand Gefallen am Verlegen alter Werke. In den folgenden
Jahren ergänzte Eldred seine kostenlose Netzbibliothek um immer mehr
Titel, für die das Urheberrecht abgelaufen war. Bald sollten die
Klassiker W. Scott Fitzgeralds hinzukommen - doch das verhinderte der
US-Kongress. 1998 verlängerte er die Schutzfrist des Urheberrecht um 20
Jahre.

Es war die elfte Ausweitung seit 1962. Bei fast jeder war im Vorfeld die
Lobby des Disney-Konzerns aktiv. Immer dann nämlich, wenn der Schutz für
den Film "Steamboat Willie" und die darin erstmals auftauchende Micky
Maus abzulaufen drohte. Im Jahr 1998 flog dann sogar Konzernchef Michael
Eisner persönlich nach Washington, um den Mehrheitsführer im Senat zu
treffen. Nachdem das Gesetz verabschiedet war, flossen Spendengelder an
die Republikaner.

Angesichts dieser Entwicklung hält Eldred die Idee, das Internet würde
automatisch den Zugang zu Wissen und Kultur freier gestalten, eher für
einen Traum: "Die Unternehmen wollen nicht, dass man im Internet etwas
kostenlos bekommt." Diese Gefahr für Wissen und Kultur als Gemeingut sah
Juraprofessor Lessig von der Universität Stanford schon lange
heraufziehen. In seinem 1999 erschienenen Buch "Code" prophezeite er,
dass die vermeintlich freie Informationsgesellschaft schnell zur
Informationskontrollgesellschaft werden könnte.

Darin sieht Lessig eine Bedrohung: "Vor dem Internet war die einzige
Möglichkeit eines Schöpfers, seine Werke zu veröffentlichen, das
kommerzielle Verlagswesen, das die Investitionen aufbringen konnte.
Heute ist es wichtig, das Prinzip durchzusetzen, dass geistiges
Gemeingut existiert und ständig durch Werke bereichert werden muss."
Deshalb vertritt Lessig seinen Mandanten Eric Eldred nun vor dem
Obersten Gerichtshof.

Für die mündliche Verhandlung am Mittwoch hatte der Professor sich lange
vorbereitet. Seit Mitte August hielt er keine öffentlichen Vorträge mehr,
sondern feilte stattdessen an seiner Argumentation. Zur Verhandlung
tauschte er dann seine sonst typischen schwarzen Jeans gegen einen sogar
die Industrievertreter übertrumpfenden Anzug und bändigte seine krausen
Professorensträhnen zu einem glatt gegelten Scheitel.

Doch dann verzettelte sich der sonst rhetorisch so gewandte Professor
Lessig. Zu früh führte er das schwache Argument an, das verlängerte
Urheberrecht würde das Recht auf freie Meinungsäußerung beeinträchtigen.
Keiner der Richter griff das auf. Denn so lässt sich im Prinzip nur
gegen das Urheberrecht an sich argumentieren, wie dann auch Richterin
Sandra O'Connor feststellte.

Stärker war ein anderer Argumentationsstrang Lessigs. Die US-Verfassung
erlaubt dem Kongress, Urhebern exklusive Rechte an ihren Werken für einen
"beschränkten Zeitraum" einzuräumen, nur um "den Fortschritt von
Wissenschaft und nützlicher Kunst" zu fördern. Ständig verlängerte
Schutzfristen sind in Lessigs Augen nicht beschränkt. Außerdem wird wohl
kaum ein Anreiz für geistige Entwicklung geschaffen, indem man die
Schutzrechte längst verstorbener Autoren noch weiter ausdehnt. Davon
profitieren allein die Erben der Rechte.

Hier folgten einige Richter Lessigs Gedankengang. Als der Vertreter der
US-Regierung das Gesetz verteidigte, fragte Richter Stephen Breyer immer
wieder, welche Vorteile denn die Gesellschaft aus dieser Verlängerung
ziehe.

Doch selbst der bekannte Copyright-Skeptiker Breyer machte in seinen
Fragen die Sorge deutlich, dass eine mögliche Ablehnung der Verlängerung
von 1998 ins "Chaos" führe, da frühere Verlängerungen mit demselben
Argument angegangen werden könnten. Das Urteil wird für Juli nächsten
Jahres erwartet.

[ document info ]
Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
Dokument erstellt am 14.10.2002 um 21:37:57 Uhr
Erscheinungsdatum 15.10.2002


--
    Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
    Internetredaktion
    Potsdamer Platz 10, 10785 Berlin
-- 
    stefan.meretz verdi.de
    maintaining: http://www.verdi.de
    private stuff: http://www.meretz.de
-- 



________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT05486 Message: 1/1 L0 [In index]
Message 05486 [Homepage] [Navigation]