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Re: [ox] Anti-Macht



Hi Benni und andere Antis!

Last month (31 days ago) Benni Baermann wrote:
Ich hab grad in der Zeitung zum BUKO-Kongress, die der Jungle-World
beilag einen sehr interessanten Artikel von John Holloway gefunden.
Der passt teilweise wie die Faust aufs Auge zu unseren letzten
Diskussionen um Macht und Entfremdung. Unter dem (gekürzten) Artikel
steht, dass eine vollständige Version unter www.buko.info finden
könnte. Das stimmt aber leider nicht. Dort gibt es auch nur die
Zeitung als pdf (Besagter Artikel findet sich mit dem Titel "Zwölf
Thesen über Anti-Macht" auf Seite 3). Trotzdem interessant und
vielleicht kommt ja der ganze Artikel noch nach:

Endlich finde ich die Zeit das mal in Ruhe zu lesen. Schau'n wir mal.
Ich zitiere/kommentiere mal während des Lesens. Ich versuche u.a. den
von Holloway verfolgten Ansatz mit der Freien Software zu vergleichen.

http://www.buko.info/buko25/buko25-zeitung.pdf wrote:

		 #1 AUSGANGSPUNKT IST DIE NEGATIVITÄT

Beginnen wir mit einem Schrei, nicht mit dem Verb. Angesichts der
Verstümmelung mensch-licher Existenz durch den Kapitalismus ist es ein
Schrei der Traurigkeit, ein Schrei des Er-schreckens, ein Schrei der
Wut, ein Schrei der Negation: Nein!

Das Denken muss negativ sein, um die Wahrheit des Schreis
auszudrücken. Wir wol-len die Welt nicht verstehen, ohne sie zu
ne-gieren. Das Ziel der Theorie besteht darin, die Welt negativ zu
begreifen, nicht von der Praxis getrennt, sondern als ein Moment von
Praxis, als Teil des Kampfes, um die Welt zu verän-dern, um aus ihr
einen würdigen Ort der Menschheit zu machen.

Wie können wir jedoch nach all dem, was passiert ist, anfangen daran
zu denken die Welt zu verändern?

Nun, der klassische Anti-Ansatz. Immerhin findet der sich in stark
abgeschwächter Form sogar bei RMS - die Story mit dem Druckertreiber -
aber hier bezieht sich das "Nein!" immerhin nur darauf, daß eine
gängige Praxis zerstört werden soll. Diese gängige Praxis ist aber im
Kontext des obigen Anti-Modells nicht mehr zu erkennen und wo sie es
noch ist, oft genug selbst zu überwinden. Ich meine, es kann sich ja
kaum jemensch ernsthaft wünschen, die zerstörten Stammesstrukturen
wiederherzustellen. Und gehen tut es BTW auch nicht - was die Moderne
einmal berührt hat, scheint mir auf immer vers(e)ucht.

Wichtiger aber noch: Während diese Anti-Haltung *konstitutiv* für die
von Holloway beschriebene Haltung ist, ist sie es für die Freie
Software gerade nicht. Es gibt einige, die mit Freier Software die
Welt verändern wollen, aber wie der rechte Flügel der Szene (ESR)
zeigt, ist das alles andere als konstitutiv. In der
Freien-Software-Bewegung scheint mir also das obige "Nein!" nicht
signifikant mehr vertreten als sagen wir die Häufigkeit von
BrillenträgerInnen. Jedenfalls ist der Wunsch nach einer besseren Welt
alles andere als notwendig, um sich in der Freien Software zu
engagieren.

#2 EINE WÜRDIGE WELT KANN NICHT MITTELS DES STAATES GESCHAFFEN WERDEN

Auch hier sind die Meinungen in der Freien-Software-Szene recht
unterschiedlich. Hier kann ich aber eher erkennen, wo es eine
Ähnlichkeit gibt. Jedenfalls setzt die Freien-Software-Bewegung nicht
in erster Linie auf den Staat sondern auf die Eigenaktivität.
Andererseits wird staatliche Intervention zu ihren Gunsten selten
abgelehnt.

#3 DIE EINZIGE FORM,UM RADIKALE VERÄNDERUNGEN ZU ERREICHEN, IST NICHT
       DIE EROBERUNG DER MACHT, SONDERN DIE AUFLÖSUNG DER MACHT

Hier würde ich persönlich zustimmen - auch wenn im Detail zu klären
wäre, was wir denn jetzt genau unter Revolution verstehen wollen.

Die Freien-Software-Bewegung setzt dies auch nach meiner These ja
schon ziemlich stark um. Nun waren ja Benni und ThomasB da anderer
Meinung (Stichwort Meritokratie)... Dazu würde ich dann gerne im
anderen Thread mit den soziologischen Grundlagen weitermachen - wenn's
denn noch jemensch interessiert.

    #4 DER KAMPF UM DIE AUFLÖSUNG DER MACHT IST DER KAMPF FÜR DIE
  EMANZIPATION DER KREATIVEN MACHT (POTENCIA) VON DER INSTRUMENTELLEN
			   MACHT (POTESTAS)

Das ist ziemlich genau das, was die Freie-Software-Bewegung m.E. tut -
allerdings eher nicht als Kampf sondern vielmehr als Spiel. Das macht
sie für mich übrigens erheblich sympathischer als diese ganze
Gewaltrhetorik von wegen Kampf...

Kann es sein, daß dich genau diese Differenzierung zwischen Potestas
und Potentia so fasziniert?

     #5 KREATIVE MACHT WIRD TRANSFORMIERT, TRANSFORMIERT SICH IN
	   INSTRUMENTELLE MACHT, WENN SIE MIT DEM TUN BRICHT

Das liest sich für mich so, als würde ich von Entfremdung reden.
D'accord. Und die Freie-Software-Bewegung sicher auch.

#6 DIE UNTERBRECHUNG DES HANDLUNGSFLUSSES IST EIN BRUCH MIT JEDEM TEIL
	      DER GESELLSCHAFT, MIT JEDEM ASPEKT VON UNS

Entfremdung Teil 2. Das Wort kommt sogar darin vor. Allerdings würde
ich den Schluß der These eher umdrehen. Scheint mir aber ein
Detail-/Verständigungsproblem.

#7 - #9 fehlen in dem PDF.

  #10 DIE EINZIGE FORM,DEN OFFENSICHTLICH DURCH MACHT GESCHLOSSENEN
   ZIRKEL AUFZUBRECHEN BESTEHT DARIN ZU SEHEN, DASS VERÄNDERUNG DER
     KREATIVEN MACHT IN INSTRUMENTELLE MACHT EIN PROZESS IST, DER
  NOTWENDIGERWEISE SEIN GEGENTEIL IN SICH TRÄGT: DIE FETISCHISIERUNG
		 BEINHALTET DIE ANTI-FETISCHISIERUNG

Also das ist entweder banal oder ich kapier's nicht.

#11 DIE MÖGLICHKEIT EINER RADIKALEN VERÄNDERUNG DER GESELLSCHAFT HÄNGT
	      VON DER MATERIELLEN KRAFT DES NEGIERTEN AB

Na ja, die zu erwartende Vergottung des Widerstands. Hier wird es
sogar zur menschlichen Seins-Konstante erhoben. Puh...

Jedenfalls spielt das in der Freie-Software-Bewegung nach meiner
Wahrnehmung bei weitem nicht die größte Rolle.

#12 DIE REVOLUTION IST DRINGEND, ABER UNGEWISS.KEINE ANTWORT, EINE
				FRAGE.

Na ja, nach dem Zusammenbruch des Ostens scheint mir das ja doch wohl
eher CommonSense (unter Linken) zu sein.


Na ja, alles in allem ein relativ zeitgemäßes Stück Widerstandskultur.
Nett, aber mit dem Widerstand habe ich es ja (bekanntlich) nicht
(mehr?) so. Im Grunde genommen wohl, weil er sich so heftig auf das
Alte oder gar noch Ältere beziehend mir nicht widerständig genug ist -
um es mal so auszudrücken.


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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