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[ox] heise online: E-Publishing-Revolte in der Wissenschaft



Diese Meldung aus dem heise online-Newsticker wurde Ihnen
von "Thomas Kalka <thomas co-buero.de>" gesandt.
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ignorieren Sie diese E-Mail bitte.
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E-Publishing-Revolte in der Wissenschaft

Immer mehr Wissenschaftler reagieren mit "zivilem Ungehorsam" auf die
restriktiven Praktiken zahlreicher Fachverlage, die von Autoren verstärkt
die Abtretung aller Rechte und satte Gebühren von den auf Publikationen
angewiesenen Forschern verlangen. Vorreiter sind die Mathematiker, die über
ihren Weltverband, die International Mathematical Union (IMU), in den
vergangenen Jahren klare Empfehlungen zum elektronischen Publizieren[1] in
Eigenregie abgegeben haben. Die neuesten Richtlinien will die IMU am
Montagabend auf ihrer Website[2] veröffentlichen. Die Grundsätze, die sich
weit gehend mit den Richtlinien des deutschen Math-Net[3] decken,
erläuterte Martin Grötschel, Mitglied des Leitungsgremiums der IMU und
Vizepräsident des Konrad-Zuse-Zentrums für Informationstechnik Berlin[4] am
Freitag auf einer Urheberrechtskonferenz[5] der Heinrich-Böll-Stiftung in
der Hauptstadt. Demnach wird jeder Mathematiker angehalten, seine
Publikationen elektronisch in offenen Formaten ins Netz zu stellen und
seine Werke so allgemein zugänglich zu machen.

Die Palastrevolte speist sich aus dem Ärger der Forscher, dass sich die
Debatte um die Entwicklung der Informationstechnik immer weniger um die
Verbesserung der Informationsversorgung und die Erhöhung der
Bildungschancen dreht. Stattdessen, so Grötschel, gehe es fast nur noch um
die "rechtliche und technische Wissensverwertung" des eigentlich zu "99
Prozent" mit öffentlichen Mitteln geförderten "Eigentums" und um die
Einkerkerung von Wissen. "Wir müssen nach Frankfurt fahren, um dort im
Bunker der Deutschen Bibliothek eine E-Kopie lesen zu können", empört sich
Grötschel über die jüngsten Absprachen[6] auf dem deutschen
Fachinformationsmarkt. Es könne aber nicht angehen, dass Verlage das
Urheberrecht nutzen würden, um öffentliche Rechte auszuhebeln. "Wir sind
die Autoren, die anderen nur die Vermarkter", meint der Mathematikprofessor
von der TU Berlin.

Das Ziel der vereinten Mathematiker ist der Aufbau einer weltweiten Digital
Mathematical Library, mit der die gesamte mathematische Literatur im Netz
ohne Zugangsbescchränkungen archiviert werden soll. "Wir brauchen zehn
Terabyte und 100 Millionen US-Dollar", erläutert Grötschel den Plan, für
den mehrere Länder bereits ihre Zustimmung signalisiert haben. Erste
Ansätze zu dem ambitionierten Projekt, mit dessen Verwirklichung "zwei
Drittel der Weltliteratur" online verfügbar wären, sieht der
Wissenschaftsbeförderer im Archiv ArXiv[7] aus dem Umfeld der Physiker, das
seine Serverheimat an der Cornell University in den USA hat und von
zahlreichen Universitätsservern aus durchsucht werden kann.

Mittlerweile ist der Trend zum freien wissenschaftlichen Publizieren über
die Initiative einzelner "rebellischer" Akademiker hinausgewachsen und
umfasst ein Netz von "Wissenschaftlern, Bibliotheken, Institutionen,
Fachgesellschaften und Grassroots-Kampagnen", erzählt Diann Rusch-Feja,
Leiterin der wissenschaftlichen Information des Max-Planck-Instituts für
Bildungsforschung[8] in Berlin. Was der Physiker Paul Ginsparg 1991 mit
seinem ersten "Preprint-Server" in Los Alamos losgetreten habe, sei
inzwischen zu einem Verbund zahlreicher Wissensdepots mit Texten, Grafiken,
Simulationen und AV-Segmenten angewachsen. Rusch-Feja nennt an
übergreifenden Netzwerken etwa die Open Archives Initiative (OAI[9]). Dabei
gehe es neben der Verbreitung der politischen Philosophie, dass
"Wissenschaft in den Händen der Wissenschaft bleibt", auch um die
technische Spezifizierung von interoperablen Standards zur besseren
Durchforstung der Informationsberge. Das anstehende neue OAI-Protokoll 2.0
sehe etwa Möglichkeiten zur Auslese von Metadaten für die Suche in den
Archiven auf der Basis von XML vor. Eine ähnlich gelagerte Plattform mit
Schwerpunkt auf Deutschland will das Tübinger Open Community Project[10]
etablieren.

Vielversprechend scheint der Max-Planck-Bibliothekarin auch die Budapest
Open Access Initiative[11], die Ende 2001 aus einem Treffen des Open
Society Institute hervorgegangen ist, das der ehemalige Finanzspekulant
George Soros fördert. Sie pocht auf den freien Online-Zugang zur
wissenschaftlichen Fachzeitschriftenliteratur für alle akademischen Felder.
Fast 30.000 Forscher haben zudem bereits ein Memorandum der amerikanischen
Public Library of Science[12] unterzeichnet, dass die Freigabe von
wissenschaftlichen Reports durch die Verleger nach sechs Monaten fordert.
Einen Mittelweg zwischen der "Selbst-Veröffentlichung" im Web und dem
traditionellen Verlagsweg sucht ferner die Scholarly Publishing in Academic
and Research Coalition (SPARC[13]) zu etablieren. Wissenschaftler
organisieren ihre Publikationen und den "Peer-Review" zur
Qualitätskontrolle dort selbst und wollen so den "Disfunktionalitäten im
Forschungskommunikationsmarkt" entgegenwirken. (Stefan Krempl) /
(jk[14]/c't)

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 http://www.heise.de/newsticker/data/jk-28.04.02-004/

Links in diesem Artikel:
 [1] http://www.heise.de/newsticker/data/fr-17.04.02-001/
 [2] http://elib.zib.de/IMU/
 [3] http://www.math-net.de/
 [4] http://elib.zib.de/
 [5] http://www.wissensgesellschaft.org/themen/wemgehoert/urheberdigital.html
 [6] http://www.heise.de/newsticker/data/jk-17.04.02-004/
 [7] http://arxiv.org/
 [8] http://www.mpib-berlin.mpg.de/
 [9] http://www.openarchives.org/
 [10] http://www.oc4home.org/
 [11] http://www.soros.org/openaccess/g/index.shtml
 [12] http://www.publiclibraryofscience.org/
 [13] http://www.arl.org/sparc/
 [14] jk ct.heise.de

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