[ox] Warum genau Oekonux ueber die Antithese zum Arbeiterbewegungsmarxismus hinausgeht
- From: Stefan Merten <smerten oekonux.de>
- Date: Wed, 20 Mar 2002 21:57:07 +0100
Liebe Liste,
so nun also zu Bennis Nachfrage, die ich ins Subject geschrieben habe.
Na, eine endgültige Antwort werde ich hier sicher nicht geben können -
so gesehen ist jetzt schon klar: Thema verfehlt -, aber ein paar aus
meiner Sicht relevante Hinweise kann ich doch mal aufschreiben.
Ausgangspunkt war meine andernthreads hingeworfene Behauptung, daß wir
mit unseren Diskussionen an einigen Stellen über die Kurz'sche /
Krisis'sche Antithese zum Arbeiterbewegungsmarxismus hinaus sind.
Damit will ich keinesfalls schlechtmachen, was die Krisis geleistet
hat. Im Gegenteil will ich (mal wieder) betonen, für wie bahnbrechend
ich die Leistung der Krisis halte - halt auf dem Sektor den sie
beackern. Ohne die Krisis hätte es Oekonux wahrscheinlich nie,
definitiv aber nicht so gegeben, wie es heute ist.
Es ist also nur billig, wenn ich die Krisis und ihr Denken als eine
Grundlage von Oekonux bezeichne. Dennoch denke ich, daß wir an einigen
Stellen über die Krisis hinaus sind. Diese Stellen halte ich im
Hinblick auf eine emanzipiertere Gesellschaft / bessere Welt für
erheblich. Aber genug der Vorrede.
* Selbstentfaltung
Die folgenden Punkte befassen sich mit der Entdeckung der
Selbstentfaltung als Produktivkraftmodell. Damit heben wir uns m.E.
deutlich von allem ab, was ich bisher kennengelernt habe. Sie
begründen vor allem nochmal, warum ich das für so wichtig und auch
für ziemlich schlüssig halte.
- Selbstentfaltung als neues Produktivkraftmodell
Für wirklich bahnbrechend an der Oekonux-Debatte halte ich die
Entdeckung der Selbstentfaltung als neues Produktivkraftmodell. So
ausgeformt wie wir das hier betreiben ist mir so etwas bisher nicht
untergekommen. Letztlich bereiten wir hier gedanklich das
Produktivkraftmodell einer neuen Vergesellschaftungsform vor - und
das m.E. mit einigem Erfolg. Einen Epochenbruch zurückgedacht denken
wir hier im ausgehenden Feudalismus den Kapitalismus. Das finde ich
vielleicht das Bahnbrechendste von allem.
Es ist mir wichtig, daß schon *im Kapitalismus* dieses Modell
erkennbar ist, das in der Freien Software bereits relativ weit
entfaltet ist (Stichwort: Reality-Check).
- Selbstentfaltung als überlegenes Produktivkraftmodell
Noch wichtiger ist aber, daß dieses Produktivkraftmodell auch *im
Kapitalismus* sich nicht nur als erfolgreich, sondern sogar als
überlegen herausstellt. Wahrscheinlich kann überhaupt nur das
Produktivkraftmodell der jeweils nächsten Gesellschaft den stärksten
Mächten der jeweils vorigen Gesellschaft Paroli bieten (Stichwort:
Reality-Check, hier: Freie Software vs. Microsoft).
- Spitze der Produktivkraftentwicklung
Es ist mir natürlich wichtig, daß die Freie Software als unser
Hauptbezugspunkt an der Spitze der Produktivkraftentwicklung liegt.
Das halte ich deswegen für sehr wichtig, weil auch aus Marx'schen
Grundsatzüberlegungen heraus hier am ehesten der Bereich zu vermuten
wäre, in dem die Produktivkraftentwicklung beginnt, die Fesseln der
Produktionsverhältnisse zu sprengen. Ausgehend von diesen
Überlegungen *muß* die Analyse eigentlich dort besonders intensiv
sein - etwas, was ich in der Linken seit Jahren praktisch nirgendwo
beobachte.
Aber auch insgesamt werden bei der Oekonux-Debatte neuere
Entwicklungen (Stichwort: Reality-Check) wahrgenommen, überdacht und
versucht in die Theoriebildung zu integrieren - zuvorderst natürlich
im Bereich Freie Software, aber auch ansonsten Internet, Computer,
Automation in der Produktion.
- Unpolitischer Ansatz
Überaus wichtig ist mir an dem Bezug auf Freie Software auch, daß es
sich gerade *nicht* um ein politisches Projekt handelt, also von
ganz vielen Beteiligten aus inhaltlichen Selbstentfaltungsgründen
gemacht wird und nicht aus einem abstrakten "Mensch müßte doch...".
Wenn das Ganze vor allem eine politische Bewegung wäre, dann würde
ich darauf soviele Pfifferlinge geben, wie auf Attac: Wenn's hoch
kommt einen halben.
* Füllen wichtiger Begriffe
Die folgenden Punkte beziehen sich auf einige, m.E. in einer
emanzipatorisch orientierten Debatte wichtigen Begriffe, die wir -
zumindest ansatzweise - mit Inhalt füllen können.
- Entkopplung von Geben und Nehmen
Auch wenn abstrakt die Abschaffung von Tausch klar ist, so bringt
die Oekonux-Debatte m.E. an vielen Stellen das erstmal auf den Punkt
und verdeutlicht, nicht nur wie das gehen könnte, sondern zeigt
auch, daß tatsächlich die Abschaffung von Tauschbeziehungen geradezu
die Grundlage des neuen Produktivkraftmodells ist - und nicht
irgendein Hirngespinst unverbesserlicher WeltverbessererInnen.
- Abschaffung von Entfremdung
Ähnliches gilt für die Entfremdung. Auch wenn abstrakt klar ist, daß
Entfremdung Teufelszeug ist, so ist noch lange nicht klar, wie die
konkrete Alternative aussehen kann. Wiederum zeigt die
Oekonux-Debatte m.E. hier nicht nur Wichtiges auf, sondern zeigt
auch hier, daß tatsächlich die Abschaffung von Entfremdung geradezu
die Grundlage des neuen Produktivkraftmodells ist.
- Synthesen rücken in den Blick
Überhaupt meine ich an vielen Stellen Ansätze zu Synthesen aus
(kapitalistischer) These und (emanzipatorischer) Antithese erkennen
zu können. Macht als in letzter Zeit häufig strapaziertes Thema
würde ich als Beispiel anführen. Kennzeichnend für die Synthese
scheint mir übrigens zu sein, daß sie im alten Denken jeder Sorte
zumindest mal sperrig ist.
* Meta-Aspekte
Abschließend noch ein paar Meta-Aspekte, die ich an der
Oekonux-Debatte wichtig finde, und die ich bei wenigen anderen
emanzipatorischen Projekten sehen kann.
- Kombination verschiedener Denkrichtungen
Schon oft habe ich hervorgehoben, daß ich es für eine große Stärke
halte, daß unsere Debatte die verschiedensten Denkrichtungen
kombiniert und fruchtbar füreinander macht. Das gilt für die
klassische linke Bandbreite von MarxistInnen bis zu AnarchistInnen
aber auch und gerade für das Jenseits dieser Bandbreite: Auch Leute,
die sich eher als unpolitisch sehen, können was mit unserer Debatte
anfangen und klinken sich zuweilen ein.
Ein wichtiger Punkt ist mir auch, daß auch Überlegungen aus dem
psychologischen Raum hier eine Rolle spielen.
- Breite Ansprache und Ausstrahlung
Wie wenige linke Projekte hat Oekonux - wohl auch wegen des letzten
Punkts - eine relativ breite Ausstrahlung und ist auch in der Lage
sich als eher unpolitisch verstehende Leute anzusprechen. Dies würde
zumindest ich auch nach wie vor für höchst wünschenswert halten -
also alles nur kein Elfenbeinturm mit der säuberlich in Büchsen
abgepackten Wahrheit im Keller.
- Nicht Mitspielen sondern Neues machen
Wichtig scheint mir auch, daß es zumindest mir nicht so sehr um das
Mitspielen in irgendeinem Prozeß geht, sondern darum Neues zu bauen.
Na ja, soviel mal mein Cent zu dieser Frage.
Mit Freien Grüßen
Stefan
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