Message 04019 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT04019 Message: 1/1 L0 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Re: [ox] Konferenz-Beitrag: Vom vertikalen zum horizontalen Produktionsmodell in der Computerindustrie




Hallo allerseits, besonders Werner, Benni, Robert !

Eine spannende Diskussion, in der in der Tat mehr Fragen und Zweifel
bleiben als schon Antworten gegeben werden. Wirklich spannend finde
ich dabei, dass unser Thema mal von einer vollkommen anderen Seite her
aufgezogen wird, so wie es sich für ein komplexes gesellschaftliches
Thema eigentlich gehört und bei Philosophen üblich ist.  Auch wenn
Werner dann an einigen Stellen stark reduktionistische Schlüsse zieht,
deren Eindimensionalität zu Recht kritisiert wurde.  Ich bitte aber
ihm das nachzusehen, denn deterministisches, monokausales
Ursache-Wirkung-Denken ist der Kern "wissenschaftlicher Rationalität"
als das in den Natur- und Technikwissenschaften verbreitete
Argumentationsmuster. Es fällt, glaube ich, jeder/m, der aus diesem
Bereich kommt, schwer, sich davon zu lösen. So jedenfalls meine (auch
eigene) Erfahrung.

Allerdings betrachte ich die hier bisher vorgenommene Reduktion des
Oekonux-Themas auf "(Selbst)entfaltung" und vielleicht noch "freie
Kooperation" auch als zu eingeschränkt, denn sie nimmt nur lokale
Phänomene der Zusammenhänge wahr und hat schon große Probleme, über
die Lösung von Konflikten etwa beim Auflösen von FK zu reflektieren.
M.E. vor allem deshalb, weil in einer solchen Konfliktsituation nicht
nur lokale, sondern auch globale Effekte (ich verwende das Wort im
topologischen Sinne als 'nicht lokalisierbar') Wirkung zeigen,
vgl. den Moralthread und die 'Werte'-Diskussion.  Und solche globalen
Effekte nimmt Werner ins Visier, weshalb ich den Gedankengang so
spannend finde, auch wenn ich im Detail einige Einwände habe. Dazu
weiter unten.

Vorab die von mir bereits mehrfach vorgetragene Bemerkung, dass ich
davon ausgehe, dass die Oekonux-Phänomene ohne die Einbeziehung einer
solchen globalen Komponente nicht zu verstehen sind.  J. Weizenbaum
hat am Donnerstag hier in Leipzig in leicht anderem Zusammenhang eine
schöne Metapher verwendet: Die vom "Meer des Wahnsinns, in dem sich
einzelne Inseln der Vernunft befinden, die es zu vernetzen gilt".  Ich
schmücke das Bild mal noch etwas weiter aus: "Meer des Wahnsinns" als
flüssiger Aggregatzustand, Inseln der Vernunft als die Keimzellen,
Vernetzung als Polymerisationsvorgang, der ab einer gewissen Stufe
dazu führt, dass das "Meer" vom flüssigen (monomeren) in einen
polymeren Zustand übergeht.  Das ist dann eine vollkommen neuartige
globale Struktur (und als Struktur auch nur global zu begreifen), die
ihre Wurzeln ausschließlich in (allerdings kohärenten) lokalen
Ursachen hat (die Polymerisation passiert ja an einzelnen Molekülen,
die sich zu "freier Kooperation" in "Selbstentfaltung"
zusammenfinden).  Das ist eben mehr als die Summe der "begründeten
Handlungen" (Stefan Mz.).

Allerdings halte ich Werners Ansatz, die Rolle von Linux
_ausschließlich_ auf die beschriebene Marktsituation zurückzuführen,
für deutlich verkürzt (oder vielleicht auch -gewollt- überspitzt). Es
ist hier genug argumentiert worden, dass klar sein sollte, dass vieles
an Linux nicht durch die Wirkung von Markt, also die Wertseite zu
verstehen ist, sondern durch die Art, wie es (dinglich) "produziert"
wird.  Werner, auch wenn es die Henne-Ei-Thematik ist: Ist die
Aufmerksamkeit auf Linux im Markt wirklich die Ursache des Linux-Hypes
oder ist es nicht gerade umgekehrt der (aus anderen Zusammenhängen zu
erklärende) Linux-Hype, der es in die beschriebene Marktrolle bringt?
Dass Marktkräfte auf gesellschaftliche Bereiche mit dynamischer
Entwicklung empfindlich reagieren, sollte klar sein, denn aus solchen
Gradienten lassen sich immer ordentliche Profite ziehen, wenn du "gut
und schnell" (Udo L.) bist.  Daraus kann aber noch nicht geschlossen
werden, dass diese Marktkräfte die Dynamik auch verursacht haben und
nicht nur für sich ausnutzen (und in diesem Fall hoffentlich
verstärken).

Auch die These "vom vertikalen zum horizontalen Produktionsmodell"
halte ich für ungenau. Sind wir damit wirklich schon bei des Pudels
Kern, oder ist auch das nur Reflex eines grundsätzlicheren Umschwungs?
Ich kenne mich da nicht besonders aus, behaupte aber mal, dass es im
Kern nicht um horizontal oder vertikal geht, also um "Kathedrale oder
Basar", sondern um "Produkt" oder "Prozess". Dahinter steht mE der
Übergang von einem auf Ausstoß orientiertem Produktionsmodell zu
einem, das auf Qualität und Flexibilität und damit auf Kompetenz
orientiert ist.  Mehr dazu in meinem Dortmunder Beitrag, spare ich mir
hier also.

Nur ein Zusatz: Wie man mit Produkten Geld verdient ist (den BWLern)
klar, wie das mit Prozessen gehen soll, nicht. Deshalb wird vehement
versucht, die alten ökonomischen Kategorien auf die neue Wirtschaft zu
übertragen und Prozesse so zu organisieren, dass sie genügend
"Produkte" abwerfen. Linux macht vor, dass ein vollkommen anderes
"Produktionsmodell" der dinglichen Seite einer solchen
"Prozessökonomie" offensichtlich wesentlich angemessener ist (ich
verwende das Wort "Produktion" hier -in Ermangelung eines adäquateren
Terminus- ausschließlich zur Bezeichnung der dinglichen Seite des
Zusammenhangs "Linux als Softwareentwicklungsprozess").  Das scheinen
auch eine Reihe von Firmen inzwischen besser zu begreifen und
versuchen, so jedenfalls meine Beobachtung, als einen Aspekt des
Prozessmanagements den Fokus vom Produktfluss auf einen "cash flow" zu
legen, der mehr als nur unmittelbare Verkaufserlöse auf der Habenseite
verbucht.  Also eine noch stärkere Trennung der dinglichen und der
(in diesem System unvermeidlichen) Wertstellungsseite der Prozesse.

Das näher zu analysieren fände ich auch für Oekonux spannend, denn
Selbstverwirklichung in _dieser_ Gesellschaft bedeutet zunehmend, auch
den dazu erforderlichen cash flow mit zu organisieren.  Genau das ist
ja wohl auch Zweck unserer Vereinsgründung, um mit einem Selbstbezug
zu schließen.

-- 
Mit freundlichen Gruessen, Hans-Gert Graebe
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT04019 Message: 1/1 L0 [In index]
Message 04019 [Homepage] [Navigation]