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[ox] Make World



Hallo Leute!

Leider war ich ja dann doch nicht in München. Wenn aber von Jungle World bis
FAZ (!) nur Lobeshymnen zu vernehmen sind, hab ich wohl leider was verpasst.
Unten ein Artikel aus der FAZ, der erstaunlich oxig klingt ;-)

Vielleicht kann ja noch jemand berichten, der da war?

Grüße, Benni

----- Forwarded message from XXX ------

Date: Thu, 25 Oct 2001 20:46:42 [PHONE NUMBER REMOVED]
To: newsgroup niatu.net

Es geht doch nichts über die alte FAZ ...

FAZ, 25.10.2001

Die Welt ist nicht genug

Wir haben die eine Welt zu gewinnen: Auf dem Münchner "Make
World"-Festival kommt die Linke wieder zu analytischen Kräften

 Am Ende sah selbst der Mann mit der orangefarbenen Jacke etwas
abgekämpft aus. Er hatte damit gewiß nicht den letzten Platz im
Wettbewerb der Aufmerksamkeitsökonomie auf dem "Make World"-Festival vom
18. bis 21. Oktober in München belegt. In den reflektierenden
Plastikbuchstaben von Logos der Betriebe des öffentlichen Dienstes
klebte der Schriftzug "Transnationale Republik" auf seinem
signalfarbenen Anorak; vorn an der Brusttasche hing ein Personalausweis,
der so vertraut wie selbstgemacht aussah. Während andernorts Politiker
darüber diskutierten, in neue Dimensionen der Fälschungssicherheit
vorzudringen, druckt das Einbürgerungsamt der Transnationalen Republik
seine Ausweise mit dem Farbkopierer und verteilt sie wie Flugblätter. Am
Stand auf dem Festival wirbt man für die Republikflucht wie der ADAC für
neue Mitglieder - womit die Ernsthaftigkeit des Projekts noch nicht
zwangsläufig diskreditiert wird. Der Staat als Club, die Republik als
"Service Provider für Bürgerdienstleistungen", wie es auf der Website
des Projekts heißt: das ist zumindest der Versuch, den global agierenden
Konzernen eine global organisierte zivilgesellschaftliche Institution
entgegenzusetzen; auch wenn sie nicht revolutionärer ist als Greenpeace.

Der Wunsch nach Veränderung im Gewand der Müllabfuhr: Das hatte ein
bißchen von Kommunikationsguerrilla und ein bißchen von Marketing und
natürlich eine klare Symbolik. Bis vor kurzem konnte man über die
semiologischen Komponenten des politischen Aktivismus aus ästhetischen
Gründen noch ganz froh sein und aus strategischen vielleicht sogar ganz
optimistisch. Der Widerstand gegen die Globalisierung als Kampf gegen
Images und Demontage von Logos schien nicht nur tatsächlich die Seele
des modernen Kapitalismus zu treffen, sondern er verlieh auch dem
Protest ein neues Outfit. Weil sich aber nach den Ereignissen vom 11.
September wenn auch nicht alles, so doch zumindest manche Zeichen
ziemlich verändert haben, ist auch der Angriff auf sie von heute auf
morgen unmodern geworden.

Die Entführung der Symbole des Mainstream in rebellische Kontexte glich
immer einem symbolpolitischen Selbstmordkommando - früher oder später
würde der semiotische Guerrillero feststellen, daß ihm seine
Gegenkampagne höchstens einen Job in einer Agentur verschaffte, die ihn
bei der Revolte abwarb, als wäre die auch nur eines von vielen
Konkurrenzunternehmen.

Daß die Brücken, die gebaut werden, damit das Kapital schneller
vorankommt - wie die Soziologin und Globalisierungskritikerin Saskia
Sassen das in ihrer Eröffnungsrede ausdrückte -, auch ihren Mißbrauch
erlauben, war sehr lange die Hoffnung widerständiger Geister, die eine
nicht nur von ökonomischen Parametern bestimmte Globalisierung
wünschten. Widerstand als Programm lief immer auf der öffentlichen
Hardware der kompakten Mehrheit, wurde stets auch durch die Funktionen
kommerzieller Technologien ermöglicht - vom Sony-Camcorder bis zur SMS.

Ob aber dieser Gegenverkehr strukturell von Anfang an lediglich
Ventilfunktion hatte oder doch Chancen barg, zur die Probleme
zuspitzenden Bewegung zu werden, diese einst brennende Frage steht nicht
mehr im Mittelpunkt. Das Netz wird enger, und wer immer mit alten oder
neuen Medien, mit Slogans oder Viren, mit Aufklärung oder Desinformation
gegen die Dominanz kapitalistischer Dogmen protestiert hat, wird sehr
bald merken, daß die Diskussion um die richtigen Werkzeuge des Dissenses
der Diskussion um den Zugang (etwa auch von Terroristen) zu diesen
Werkzeugen selbst weichen wird.

Natürlich kann man die Rückkehr aus dem Symbolisch-Abstrakten zum
Konkreten auch als Chance sehen, wie etwa der niederländische
Netzaktivist Geert Lovink: "Wir feiern das Ende der
Antiglobalisierungsbewegung. Jemand anderes hat sie in die Luft gejagt.
Die melancholische Energie kann jetzt umgeschaltet werden, um etwas
Zielgerichteteres zu beginnen."

Es war die positive Überraschung dieser Konferenz, daß sie angesichts
des plötzlichen Sogs hin zum Praktischen, weg vom Symbolischen nicht in
Resignation verfiel. Das Spektrum der Perspektiven hätte kaum größer
sein können, was sich auch an der Zusammensetzung der verschiedenen
Panels ablesen ließ: Da diskutierten Gewerkschaftler mit Netzkünstlern,
Post-Operaisten mit Zapatisten, Venture-Kapitalisten mit
Medienwissenschaftlern, Programmierer mit Straßenkämpfern - und trotzdem
sah es immer ein wenig so aus, als träten die Teilnehmer allesamt für
eine gemeinsame Sache ein.

Man mag vor einer derartigen Homogenität unter anderen Umständen
erschrecken, weil hier, könnte man meinen, Differenzen in einem Meer von
Toleranz untergehen. Bei "Make World" aber vermittelten die Teilnehmer
einander erfolgreich den Eindruck, als ob sich der globale Protest nicht
am Ende befinde, sondern gewissermaßen am Nullpunkt, bereit, sich neu zu
formieren.

Der Londoner Künstler Harwood fand dafür das Bild vom Widerstand, der
analog zu Spannungs-, Verstärkungs- und Leitungsvorgängen in der
Elektronik zu betrachten sei: als Indikator von Aktivität. Was man
derzeit an sich dem Widerstand zurechnenden Aktivitäten wie auf einem
Monitor ablesen kann, ist vielleicht kein gutes Zeichen, aber ein
deutliches. Trotz aller der Szene eigenen Beteuerungen der Vielfalt von
Konzepten, Ansätzen und Protestmotiven, die vor und nach Genua von den
Massenmedien ja gerne als Manko der neuen Bewegungen, weil mit dem Makel
des Diffusen behaftet, ausgelegt wurden, scheint man immer mehr der
Ansicht zu sein, daß jetzt nicht die Zeit für Grabenkämpfe sei.

Wahrscheinlich konnten auch an den vier Tagen in München nicht alle
Teilnehmer etwas mit den Vorstellungen der anderen anfangen -
stilistisch, inhaltlich oder aufgrund der häufigen bei Symbolpolitik und
ihren Umkehrungen besonders naheliegenden Verwechslung von beidem. Da
konnte einereits Valery Rey Alzaga von der Kampagne "Justice for
Janitors" immer wieder an ihre "brothers and sisters" appellieren, ohne
daß sich jemand öffentlich vereinnahmt fühlte, und andererseits Kodwo
Eshun seinen feinsinnigen Vortrag über "Strategien und Ästhetiken des
Ortes in der elektronischen Musik" halten, ohne als Relativist
beschimpft zu werden.

Es lag wohl auch an dieser integrativen Kraft des Festivals, daß sich
die Teilnehmer auf den Panels weit mehr als üblich für die Texte und
Ideen der anderen interessierten. Die Konferenz von einem
"Virtualienmarkt" begleiten zu lassen, auf dem sich einzelne Initiativen
an verschiedenen Messeständen präsentieren konnten, war zwar vermutlich
ursprünglich als ironischer Fingerzeig auf das Ritual akademischer
Konferenzen selbst geplant, die oft genug zu "Theorie-Messen" (Sebastian
Lütgert) verkommen.

Im Vergleich zu den Aktienbörsen reagierten die Märkte des Protests auf
"Make World" erfreulich nüchtern. Zu einem Zeitpunkt, an dem sich die
Gesellschaft der Kontrolle zu einer Gesellschaft der Panik entwickelt,
wie es Franco Berardi ausdrückte, kehren sich die Zuschreibungen
emotionaler Klischees in bemerkenswerter Weise um: Die als hysterisch
und pathetisch verschrieene Linke findet zu alter analytischer Stärke
zurück, während vermeintliche Realpolitiker und rationell handelnde
Aktionäre vor Panik wild und blind werden. "Die Macht kann die
Komplexität der vernetzten Gesellschaft nicht mehr kontrollieren.
Deshalb verfallen diejenigen in Panik, die die Macht gepachtet haben.
Wir sollten uns von dieser Panik nicht anstecken lassen", heißt es in
der am Rande des Festivals verabschiedeten "Volksbad-Erklärung".

Wem die aktuellen Forderungen der Protestbewegung nach globaler
Staatsbürgerschaft, garantiertem Mindesteinkommen und grenzenloser
Freiheit immer noch nach gutgemeinter Weltfremdheit klingen, der
verkennt, daß jenseits aller Bekundungen guten Willens und Anklagen
böser Ungerechtigkeiten, jenseits aller zum Mantra geronnenen
antikapitalistischen Rhetorik in den besten Vorträgen auf "Make World"
Stimmen hörbar wurden, die vom dringend nötigen Gestaltungswillen in
einer sich ohnehin rapide verändernden Welt sprachen, der weder auf
Ideologie noch auf Reformismus setzt. Es kann gut sein, daß der
Netzwissenschaftler Reinhold Grether recht hat, wenn er sagt: "Um die
alte Welt zur Strecke zu bringen, brauchen wir ein Prinzip, das sie
nicht versteht, wie das Prinzip der Entfeindung, das das römische
Weltreich besiegt hat."

Man kann das auch als Drohung verstehen: Es war ja immer eine Stärke des
Kapitalismus, sein häßliches Gesicht durch bunte Masken zu tarnen und
seine Kontrollfunktionen als Freiheit zu verkaufen. Wenn das "Empire",
wie die globale kapitalistische Grundordnung mit einem Buchtitel Antonio
Negris derzeit gerne genannt wird, die Fähigkeit verliert, seine
repressiven Elemente zu domestizieren, könnte es schon sein, daß die
Versprechen des Marktes einmal nicht mehr genügen, die ewig Enttäuschten
im Zaum zu halten.



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