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[ox] Konferenz-Beitrag: Globale Doerfer und Freie Software



Globale Dörfer und Freie Software
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Franz Nahrada [f.nahrada magnet.at]

http://www.opentheory.org/globale_doerfer/
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1. Subsistenz und Kooperation - keine Gegensätze
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Sinn dieses Textes ist es, einen Beitrag zur Aufhebung eines
Befremdens oder einer Fremdheit leisten, die meiner Auffassung nach
zugleich eine Blockade der Entfaltung der Potentiale freier Software
darstellt.

Ich spreche über die Fremdheit zwischen zwei Reaktionsweisen oder
Bewegungen, die sich scheinbar in gegensätzlichen Richtungen vom
Mainstream der kapitalistisch formierten und staatlich verwalteten
Welt abzusetzen versuchen.

Grob gesprochen und sehr idealtypisch vereinfacht sind es auf der
einen Seite diejenigen, die die emanzipatorischen Potentiale der
Vergesellschaftung hochhalten - denen auf der anderen Seite diejenigen
gegenüberstehen, die auf der Gewinnung einer realen Basis von
Autonomie durch Eigenarbeit und Subsistenz pochen.

Mein Beweisziel ist, daß sich die Herstellung realer Autonomie und die
Herstellung einer vernünftigen Form der Vergesellschaftung gegenseitig
bedingen; es gibt das eine nicht ohne das andere zu haben. Die Formel
"Globale Dörfer" ist ein Versuch, die Synthese von Vernetzung und
Selbstbestimmung konkret zu denken.

1.1. Vergesellschaftung und Autonomie
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Bemerkungen zu Vergesellschaftung und Autonomie in historischer
Perspektive und im modernen Subjekt. Exkurs über Prosumerism

1.1.1. Small & Beautiful
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Die durchaus nicht triviale Einsicht, daß eine Erhöhung des
Vergesellschaftungsgrades menschlicher Arbeit keineswegs zwangsläufig
eine Erhöhung menschlicher Handlungsmöglichkeiten mit sich bringt,
verdient nähere Betrachtung.

Es ist keineswegs bloße Ideologie, sich solchen Fragen
systemtheoretisch zu nähern. Wir wissen, daß mit der Größe und
Komplexität von Systemen ihr realer Wirkungsgrad abzunehmen pflegt:
Die Effizienz von Systemen steigt nicht linear mit ihrer Größe und
Komplexität an. Gemeinhin pflegen Subsysteme zu entstehen, die einen
gewissen Grad an Autonomie haben.

Warum ist das so? Ich habe mir die Frage öfters gestellt und öfters
verschiedene Antworten gefunden. Zum Beispiel diese: Ein System ist
ein Zusammenspiel von Elementen, die miteinander zu einem bestimmten
Zweck kommunizieren. Das können Menschen sein oder Maschinenteile oder
Pflanzen und Tiere. In diesem Zusammenspiel kommt es auf die
Kommunikationsdichte an, diese kann erdrückend, passend oder zu gering
sein.

Eine andere, ähnliche Erklärung wäre, daß wir immer komplexere Systeme
aufbauen, weil wir immer mehr über unsere Umwelt lernen. Das zwingt
zur Miniaturisierung, weil jede dieser Funktionen Kraft und Zeit
braucht.

In jedem Fall stellen wir fest, es gibt für Prozesse Optimalgrößen.
Die Analyse der zeitlich-räumlichen Strukturen unseres Lebens kann uns
damit konfrontieren, daß diese Optimalgrößen sehr unterschiedlich und
ganz sicher auch flexibel sind.

1.1.2 Vergesellschaftungs und Entgesellschaftung
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In einer eingeschränkten historischen Perspektive, die die letzten 300
Jahre umfaßt, könnte man sagen, daß wir am Ende einer kolossalen
Vergesellschaftungswelle stehen und daß wir aufgrund der Resultate
dieser Vergesellschaftungswelle ein neues Potential an Autonomie
dazugewonnen haben.

Alvin Toffler und Marshall McLuhan führen diese Entwicklung direkt auf
die Technologie zurück, die es uns erlaubt, uns direkt, quasi in
Selbstbedienung, der verkörperten gesellschaftlichen Intelligenz zu
bedienen. Toffler hat dafür den Ausdruck des "Prosuming" gebraucht,
also die Verwischung der Grenzen zwischen Produktion und Konsumtion.
Die industriell produzierten Automaten ermöglichen eine Steigerung der
Eigentätigkeit im Kleinen. Die Beispiele sind Legion: Von der
Nähmaschine bis zur Stichsäge sind die Produkte der
Selbstbedienungsgesellschaft Teil unseres Alltags geworden und
ermöglichen uns Tätigkeiten, die früher nur durch Spezialisten
erledigt werden konnten.

1.1.3. Entwicklung und Zerstörung des Eigenarbeitsraumes
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Der Personal Computer ist der spektakulärste Fall dieser
"industriellen Basis der Eigenarbeit" und damit auch zum Paradefall
sowohl der Entwicklung als auch der Zerstörung von Eigenarbeitsraum
geworden.

Der moderne Eigenarbeitsraum ist grundverschieden vom vorindustriellen
Eigenarbeitsraum. Toffler gibt das Beispiel des Schwangerschaftstests:
Was vorher nur durch medizinische Experten festzustellen war, das
Vorliegen einer Schwangerschaft, wird jetzt durch die im industriellen
Produkt inkorporierten Feedbackmechanismen in die Sphäre der
Konsumentin verlagert; sie kann nun autonom agieren, weil die Arbeit
der Experten modelliert und vergegenständlicht ist.

Die Geschichte der modernen Industrie ist die Dialektik von Zerstörung
und Wiederherstellung des Eigenarbeitsraumes. Alvin Toffler zeigt, wie
die "Selbstbedienungsgesellschaft" notwendiges Konkurrenzmittel des
Kapitals ist, Externalisierung von Produktionsarbeit und Verminderung
der Fertigungstiefe als Fortsetzung der Rationalisierung demselben
Zweck dient: Senkung der Stückkosten, Erhöhung des relativen
Mehrwerts.

Zugleich wird auch die Zirkulationssphäre revolutioniert; An die
Stelle der klassischen kommerziellen Funktionen und Dienstleister
treten die Großmärkte, der Konsument wird in die Produktlogistik
miteinbezogen, als Besteller, Abholer, Assemblierer.

Dabei treten sehr eigenartige Phänomene auf: Eigenarbeit wird
gefördert, Autonomie wird verhindert. Kompatibilität von Produkten
untereinander ist nicht das Thema: die Eigenarbeit ist eine subtile
Variante der Abhängigkeit, der realen Zeitenteigung. Die 'häusliche'
Technikausstattung hat beinahe einen Sanktionscharakter.Je weniger
begütert, desto weniger funtional, völlig ungeachtet der eigentlichen
Kosten für die Dinge. Ist jemand vermögend, tritt an die Stelle
fehlender Funktionalität die Verschwendung. (U.Sigor)

Produkte als Zeitzerstörer
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Auf der einen Seite wird professionelle Eigenarbeit abgebaut - wozu
nähen, wenns billige Klamotten gibt? - auf der anderen Seite wird sie
als blindes Befolgen "benutzerfreundlicher" Gebrauchs-Anweisungen
massenhaft erzwungen: "Wechselspiel von Amputation und
Prothesenverkauf" (U.Sigor).

Geistiges Eigentum als Generalprävention autonomer Arbeit
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Je mehr die reale Möglichkeit der Substitution industrieller
Produktion durch dezentrale Automation den Waren immanent ist, umso
mehr muß diese Möglichkeit der Autonomisierung von Arbeit verhindert
werden: Arbeitslos darf schließlich jeder werden, aber nicht das
Kapital! Also wird vorgebaut: auf der Ebene der Produkte, aber auch
auf der Ebene der Vergesellschaftungsmöglichkeit. Wissenschaft und
ihre Resultate werden privatisiert, Kultur wird "geistiges Eigentum".
Die Phänomene sind bekannt, weniger allerdings ihr generalpräventiver
Charakter.

Fazit
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Ich möchte beweisen daß Täuschung auf beiden Seiten vorliegt, wenn der
offensichtliche und verborgene Zusammenhang zwischen Eigentätigkeit
und der Entwicklung der gesellschaftlichen Voraussetzungen in Form
einer ganz bestimmten Technologie nicht gesehen wird. Die Behauptung
gilt auch umgekehrt: eine Zerstörung der gesellschaftlich-kulturellen
Voraussetzungen von Eigenarbeit geht einher mit einer ganz massiven
tatsächlichen Verengung des Eigenarbeitsraumes. Zugleich verbindet
sich damit die Überzeugung, daß die Potentiale einer bewußten und
organisierten Gestaltung der gesellschaftlichen Voraussetzungen im
Sinne einer Erweiterung des Eigenarbeitsraumes nicht nur gewaltig
sind, sondern auch zum Systemkonflikt und zur Aufhebung der
derzeitigen Produktionsverhältnisse führen können und müssen. Gerade
die beliebte Trennung in "Vergesellschaftung ohne Autonomie/Autarkie"
und "Autonomie/Autarkie ohne Vergesellschaftung" stellt dieses
systemsprengende Potential ruhig!!

1.2. Die "Kritik" der modernen Subsistenzbewegung an Warengesellschaft und Technik
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Lange Zeit hatten die sogenannte Subsistenztheorie (ausgehend von
einer Gruppe von Bielefelder Soziologinnen) und die darauf aufbauenden
praktischen Versuche einer Subsistenzbewegung fast ein Monopol auf
konsequente Kritik an der herrschenden Form der Vergesellschaftung, an
Ware und Geld.

Sie benannte Tatsachen, die im offiziellen Bewußtsein der Gesellschaft
ausgeblendet waren: daß unser Leben an einer Kette von gewaltsam
hergestellten Ausbeutungs- und Ausgrenzungsverhältnissen hängt, die
gegen ihr Ende zu immer prekärer werden; daß die Formen des Gelds und
der Ware weniger dem idyllischen Tausch gleichberechtigter Partner
entspringen, sondern ganz im Gegenteil Mittel der Herstellung und
Verfestigung von Abhängigkeitsverhältnissen und der Herstellung
unbegrenzter Erpreßbarkeit sind; daß hinter der Fassade des Konsums
und der Dienstleistung eine systematische Externalisierungskette
steht, die in Naturzerstörung und Marginalisierung mündet.

Den Modernisierungsideologien wird ein praktisches Gegenbild von
Widerstand und Eigenmacht entgegengesetzt, in dem die bewußte
Entscheidung für kleinräumige, auf unmittelbarer Produktion der
Lebensvoraussetzungen basierender Selbstversorgungsstrukturen
gefordert wird. Wer sich nicht abhängig machen läßt, der ist auch
weniger erpreßbar, so die Logik.

1.2.1 Subsistenz ohne Technik?
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Doch die Kritik der offiziellen Subsistenzbewegung an Ware und Technik
ist in sich widersprüchlich. An vielen Beispielen wird gezeigt, wie
die ursprünglichen "moralischen Ökonomien" sich ganz freiwillig in die
Abhängigkeit von fremden Produkten und daher in die Akkumulationslogik
von Geld begeben haben. Dennoch wird den Produkten der großen
Industrie der Gebrauchswertcharakter abgesprochen; Gegenüber dem
kapitalistisch produzierten"Ramsch" wird auf eine Rückbesinnung auf
die "wirklichen Bedürfnisse" eingefordert. Die gesamte Entwicklung der
Technologie nach der Landwirtschaft und dem Handwerk erscheint als
Destruktionskraft.

Daher bleibt die Kritik der Subsistenztheorie der industriellen
Realität gegenüber ohnmächtig; sie appelliert an eine untergegangene
Produktionsweise und leugnet die realen Fortschritte im Wohlstand und
menschlichen Handlungsmöglichkeiten, die die industrielle
Produktionsweise mit sich gebracht hat. Daher können die extremen
Wohlstandsverluste, die das Prokrustesbett betriebswirtschaftlicher
Rentabilität dem menschlichen Fortschrittspotential in den letzten
Jahrzehnten beigebracht hat, auch gar nicht für sich zum Gegenstand
werden. Wer Personal Computer und Tarnkappenbomber für so ziemlich das
Gleiche hält, kann gar nicht erfassen, welche Dialektik zwischen den
Vernetzungspotentialen autonomer Arbeit und den Schikanen der ruinösen
Bewirtschaftung einer an sich unendlich reichen Gesellschaft ins
Laufen gekommen ist.

1.2.2. Subsistenz als Geschlechtermetaphysik
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Die Vermutung liegt nahe, daß die Subsistenztheorie gar keine
Formkritik an kapitalistischen Kategorien enthält, sondern diese
lediglich zur Camouflage einer moralischen Unterscheidung zwischen
"gut" und "böse" dient. Und richtig: Frau gut, Mann böse ist Kern
einer Theorie, der ökonomische Kategorien nur als Schein der
Begründung dienen: Geld in Frauenhänden wird so unversehens vom
Ausbeutungsmittel zum Gegenstand sozialer Vor- und Einsicht. (In einem
Buch über die Frauen von Juchitan wirtschaftet die Händlerin nicht, um
zu akkumulieren und andere für sich lohnarbeiten zu lassen, sondern(!)
um den Unterhalt zu garantieren und vor allem, um Ansehen innerhalb
der Gemeinschaft, insbesondere der Frauengesellschaft, zu erwerben).
In der Tat wird die Geschlechterdifferenz für die absurden
Konsequenzen der ökonomischen Form verantwortlich gemacht und nicht
umgekehrt gezeigt, wie die ökonomische Form die Geschlechterspaltung
herbeiführt.

1.2.3. Zum Begriff der "globalen Subsistenz"
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Ich möchte mit diesen wenigen Bemerkungen eher auf eine fällige
Auseinandersetzung verweisen statt sie zu führen - es sollte klar
geworden sein daß es um nicht weniger als die Rettung der Perspektive
der Eigenarbeit vor ihren Theoretikerinnen geht. Wir können die
Perspektive, die ich der landläufigen Subsistenztheorie
gegenüberstellen will, vielleicht besser als "globale Subsistenz"
bezeichnen. In ihr wird ganz bewußt das gesamte kulturelle Potential
an Handlungsmöglichkeiten aufgenommen, um in intensiver
Auseinandersetzung mit einem realen lokalen Handlungsfeld Autonomie,
Eigenmacht zu erlangen. Anders hat es übrigens niemals in der
Geschichte so etwas wie Subsistenz gegeben: schon der Übergang von
nomadischen zu agrarischen Gesellschaften ist ein Werk von
weitläufiger Vergesellschaftung, Wissenstransfer, Schutznetzwerken
etc. Um wieviel mehr bieten uns die durch die kapitalistische
Produktion gestiegenen Potentiale menschlicher Wissenschaft,
menschlicher Produktion eine Perspektive des realen Ausbaues von
Eigenmacht! Und wie sehr ist die isolierende Vorstellung von
Subsistenz selbst noch Zeichen theoretischer und praktischer
Hilflosigkeit!

1.3. Globale Subsistenz als praktische Notwendigkeit und bewußte Perspektive
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Die globale Marktwirtschaft auf der einen Seite einen universellen
Reproduktionszusammenhang her und zerstört alle lokalen, beschränkten
Austauschverhältnisse durch den Hebel der Konkurrenz. Auf der anderen
Seite schließt sie einen dramatisch zunehmenden Teil der Menschheit
von ihren Lebensmitteln aus, da deren Gebrauch an den Erwerb von Geld
gebunden ist. Der absurde Systemwiderspruch, daß mit immer weniger
'Arbeit' immer mehr Güter hergestellt werden, gleichzeitig aber die
Aneignung dieser Güter an Kaufkraft (Geld) und somit an die 'rentable'
Verausgabungsfähigkeit von 'Arbeit' gebunden ist, tritt in sein
historisches Reifestadium ein (Robert Kurz) Dieser Prozeß erzeugt
"Geldsubjekte ohne Geld", die in den Metropolen als ständig steigende
"Sockelarbeitslosigkeit", in den Peripherien als "demographische
Zeitbombe" und Statisten einer sekundären Barbarei in Erscheinung
treten, und damit zum Ausdruck bringen, daß die Marktwirtschaft als
globale Reproduktionsform schon längst wieder ausgedient hat.

Schranken der Subsistenz
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Der Ausstieg aus dieser Reproduktionsform ist freilich individuell
kaum möglich. Heute kommt es in den Metropolen der Dritten Welt
durchaus vor, daß Marginalisierte wieder auf das Land zurückgehen
wollen, das sie einst gezwungenermaßen oder freiwillig verlassen
hatten. Allein, sie stehen vor der Situation, daß dieses Land ihnen
nicht mehr gehört, Privatbesitz ist, sie vertrieben werden. Ihr
Versuch der wiedergewinnung Subsistenz endet so hoffnungslos wie die
Revolte der Campesinos von Chiappas. Alles produktive und ertragreiche
Land ist längst dem Zweck zugeführt, monetären Ertrag vom Weltmarkt
einzufahren, und wenn es durch die schiere Masse der Produktion ist.

Jeder "lokale Kommunismus" scheitert am Anspruch der organisierten
Macht des Geldes, jedweden stofflichen Reichtum als Mittel für die
Vermehrung von Kapital zu betrachten. Sich diesem Zweck zu entziehen
ist schon eine komplette Kriegserklärung an geltende Prinzipien und
wird dementsprechend geahndet. Immerhin ist ja der Handel und die
industrielle Produktion als subtiles Mittel der Plünderung in die Welt
gekommen. Dem "friedlichen" Produktivitätsvergleich ausgeliefert
werden ist gleich der Unmöglichkeit, in Frieden zu leben.

Weiters\: das Grundwasser, die Atmosphäre, die Erde selbst werden vom
Externalisierungszwang der Gewinnerinseln derartig in Mitleidenschaft
gezogen, daß die peripheren Regionen zunehmend den Status von
Mülldeponien erhalten, damit die Natur in den Zentren relativ
gebrauchsfähig bleibt. Auch dies kein besonders guter Boden für
Subsistenz.

Damit nicht genug: ist die Marktwirtschaft in ihrer Wandlung zum
neofeudalen Informationsbezollungsunternehmen mittlerweile verrückt
genug geworden, lebendige Prozesse und genetische Muster zu
patentieren, das heißt aber tendenziell den nicht zahlungsfähigen
Gebrauch der Natur einfach zu verbieten

1.3.1 Subsistenz ist nur im Weltsystem denkbar
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Waren schon die sogenannten "primitiven" Subsistenzgesellschaften nur
lebensfähig, weil sie keineswegs nur lokal definiert, sondern in ein
weitläufiges Netz von bestandssichernden Austausch- und
Schutzbeziehungen eingebunden waren, so gilt dies noch mehr in einer
Zeit, in der nicht nur der marktförmige Zugriff der wenigen
verbleibenden Sieger, sondern auch die Plünderungsökonomien der von
Robert Kurz als "sekundäre Barbarei" bezeichneten Zusammenbruchsformen
der Verlierer jede Perspektive auf gesicherte Entwicklung unmöglich
machen. Einzig als globale Dynamik der gezielten Ausbreitung von
Subsistenzformen innerhalb des Weltsystems scheint eine Lösung
denkbar.

1.3.2 Subsistenz braucht Subsistenzwissen und Subsistenzmittel
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Eine solche Ausbreitungsdynamik könnte durch einen Feedbackzyklus
zwischen der Entstehung von Subsistenzformen und dem Repository von
Subsistenzwissen und Technologien entstehen. Denn dann bleiben
Solidarität und Widerständigkeit keine abstrakten Begriffe. Wenn jedes
"Globale Dorf" ein Experimentallabor für die Verbesserung des
Wirkungsgrades unserer Eigenarbeit und damit letztlich für die
Abkopplungssfähigkeit von der marktförmigen Reproduktion wird, dann
ist die aktive Entwicklungshilfe bei der Entstehung globaler Dörfer
ein Gebot der Stunde.

1.3.3. Wir brauchen eine Allianz der globalen Dörfer
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Eine solche Allianz der globalen Dörfer hätte also ein gemeinsames
Projekt. Man kann sich das bildlich so vorstellen: buddhistische und
katholische Klöster, israelische kibbuzim, schottische und
amerikanische ecovillages, gemeinschaftliche Wohnprojekte in Zürich
und Wien, traditionelle Dörfer in Kamerun und Nepal und Griechenland,
Bauhütten und experimentelle Projekte wie Arcosanti, New Alchemy, New
Work, Akteursverbünde in Stadtvierteln, ländliche Gemeinden,
Genossenschaften, Stadtteilprojekte etc. etc. erkennen, daß sie EIN
Problem haben: eine gemeinsame Wissensbasis der Nutzung und
nachhaltigen Gestaltung lokaler Ressourcen zu erstellen, zu pflegen,
zu erweitern. Sie würden sehr rasch draufkommen, daß es nicht mehr um
die Ausbreitung einer bestimmten Ideologie oder Religion geht, sondern
um die Herstellung eines Referenzrahmens für die Sammlung kultureller
und materieller Technologien selbstbestimmten Lebens. Das wäre das
größte Open Source Projekt der Geschichte - und als solches in der
Lage, dem kapitalistischen Projekt der Entwicklung proprietärer
Kontrolle der Produktivkräfte ein ebenbürtiges Projekt
gegenüberzustellen.

2. Telearbeit als Arbeit am Telos
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In gewisser Weise wäre dieses Projekt, das die globalen Dörfer
verbindet, identisch mit der Vollendung des Projektes der Arbeit.

Exkurs zu Krisis
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Ich möchte die Theorien der Gruppe Krisis, die einen sehr hohen
Stellenwert bei der Reformulierung von wirksamer Kapitalismuskritik
haben, nicht auf eine Stufe mit dem ober erwähnten Bielefelder
Subsistenzansatz stellen. Dennoch ist die Identifikation von Arbeit
mit abstrakter Arbeit und die Verkennung des Doppelcharakters der
Arbeit eine ähnliche theoretische Katastrophe wie die Identifikation
der Industrieware mit dem Tauschwert bei den Bielefelderinnen und
nicht die notwendige Konsequenz aus den ansonsten entscheidend
wichtigen Bestimmungen der Krisis-Theorien, die geholfen haben, die
kapitalismuskritische Substanz des Marxismus von den Eierschalen
nachholender Modernisierungstheorien zu befreien.

"Arbeit" - mehr als eine pseudo-ontologische Kategorie
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Dagegen bleibt festzuhalten, daß die kapitalistische Formierung der
Arbeit ein wesentliches Element in der Herstellung der Bedingungen
eines wahrhaft menschlichen Lebens geliefert hat; die
Verwissenschaftlichung der Produktion. Wenn man wie Ulrich Sigor
Arbeit als die menschliche Tätigkeit definiert, die ihre eigene
Verringerung zum Ziel hat, dann läßt sich auf den ersten Blick
erkennen, daß die kapitalistische Produktion sich von diesem Sinn- und
Zielgehalt immer weiter entfernt. Auch der berühmte "Arbeitsethos" hat
dann nichts mit einer rationellen Auffassung von Arbeit zu tun.
Sachgemäß hieße es: Der Mensch kann Zeit und physische Freiheit
gewinnen, durch Nutzung von "Struktur" oder "Natur", indem er
geschickt Gestelle konstruiert, bzw. Handlung vorbereitet. Der Begriff
der Arbeit erschöpft sich also nicht in der physischen Tätigkeit oder
der "Verausgabung von Nerven, Hirn und Muskeln", wie dies bei Marx als
Real-Absurdität der Verengung des begriffes produktiver Arbeit unter
kapitalistischen Bedingungen definiert ist, ist, sondern Arbeit ist
die organisierte Aneignung von Natur in Hinsicht auf ein Jenseits, auf
eine arbeits-freie Zeit. Natürlich macht der Begriff der Arbeit als
eine von anderen unterschiedene menschliche Tätigkeit nur Sinn, wenn
auf eine arbeitsfreie Zeit abgestellt wird. Gerade diese arbeitsfreie
Zeit, die erlangte Fähigkeit, die Notwendigkeiten der Lebenserhaltung
hinter sich zu lassen und die Sphäre der Reflexion und Entscheidung zu
betreten, ist ein Maß nicht nur der Qualität des Lebens, sondern auch
der Qualität der Arbeit.

2.1. Die Ablösung der Industrie durch Automation - über die Implementierung der Teleologie
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Die Automation ist sozusagen die Wahrheit dieses Begriffes von Arbeit.
Die Handlungsvorbereitungen entscheiden in immer größerem Ausmaß über
die Qualität der Arbeit. Der eigentliche Produktionsakt ist nicht mehr
das zeitliche Zentrum des Arbeitsprozesses; er wird verdichtet oder
vervielfacht, rückt an die Peripherie. Er bedarf oft nicht einmal mehr
des Arbeiters, sondern kann das Resultat der Kommunikation mit dem
Konsumenten sein, der die zur Produktion benötigten Parameter eingibt.
Dies ist der abstrakte Grund, warum die Differenz zwischen Arbeiter
und Konsumenten verschwimmt.

2.1.1. Automatisierung: Produktion im Lebensvollzug
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Informatisierung und Automation sind eigentlich handlungstheoretische
Universalia (was noch immer nicht gleichbedeutend ist mit "Ontologie",
denn in einer Ontologie geht es bekanntlich um nicht ableitbare
Phänomene) und weisen im Unterschied zur landläufigen Meinung gerade
über die industrielle Epoche hinaus bzw. lange vor sie zurück.
Einerseits ist Automatisierung ein uraltes Phänomen, wie Marx im
Maschinenkapitel des Kapital beschreibt. Andererseits wird durch die
Verbindung des Mediums der Information mit dem Medium der Aktion ein
Quantensprung herbeigeführt: Allgemeine Arbeit verbindet sich
unmittelbar mit besonderer. Das Erstellen eines Programmes, eines
Algorithmus und die Ausführung dieses Algorithmus sind nicht bloß
metaphorisch im Medium der Elektrizität verbunden.

Ganz klar vorausgeahnt hat die Konsequenzen dieser Verbindung
Marshall.McLuhan. Er beschrieb die Automatisierung als Antithese der
Industrialisierung: während das industrielle ("mechanische") Zeitalter
eine "große Explosion" mit sich gebracht habe, eine Spezialisierung
der Funktionen, ein Auseinanderfallen der Lebensbereiche, der Berufe,
der sozialen Funktionen, der menschlichen Tätigkeitsbereiche, so wäre
das Zeitalter der Automatisierung ("elektrisches Zeitalter") ein
Zeitalter der "großen Implosion".

McLuhan über Industrie versus Automation
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In terms of the way in which the machine altered our relations to one
another and to ourselves, it mattered not in the least whether it
turned out Cornflakes or Cadillacs. The restructuring of human work
and association was shaped by the technique of fragmentation that is
the essence of machine technology. The essence of automation
technology is the opposite. It is integral and decentralist in depth,
just as the machine was fragmentary, centralist and superficial in its
patterning of human relationships.

(Marshall McLuhan, Understanding Media - The Extensions of Man, New
York (Signet) 1994, p.23)

Lernen - der Umgang mit Information - wird bei McLuhan zur potentiell
wichtigsten Form von produktiver Konsumtion: "Daher die sinnlose
Aufregung um Arbeitslosigkeit. Bezahltes Lernen wird jetzt schon zur
Hauptbeschäftigung und außerdem zur Quelle neuen Reichtums in unserer
Gesellschaft." Guter, alter McLuhan! Das liest sich heutzutage wie ein
Aufruf zur Revolution! Eine sehr subversive Wahrheit, denen aus den
Buchhaltungen entgegengeblökt wird: "Können wir nicht bezahlen!". Die
naheliegende Konsequenz wäre: die Buchhaltungen abzuschaffen, die das
reale Reichtums- und Fortschrittspotential der Menschheit blockieren,
zusammen mit den Marketingabteilungen, die es pervertieren. Rationell
gesehen müßte nämlich der Umgang mit Information genau umgekehrt
laufen als er heute gepflogen wird.

2.1.3: Automatisierung ist allgemeine Arbeit
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Informatisierung und Automation bedingen sich wechselseitig; die
Folgerung aus dieser Einsicht ist freilich für heutige Verhältnisse
ungeheuerlich. In einem Aufsatz in "freedevelopers.net" schreibt Tony
Stanko daß die Frage des intellektuellen Eigentums sich formulieren
läßt als: ist Software eher so etwas wie Literatur, also ein
subjektives geistiges Produkt, oder so etwas wie ein Gesetzestext,
also etwas von allgemeiner Gültigkeit. Wenn klar ist, daß Software im
wesentlichen Modellierung von Arbeitsvorgängen ist, dann kann die
Forderung nur lauten, Softwareproduktion als bestimmendes Moment der
materiellen Wirklichkeit ernst zu nehmen und sie als Grundlage
menschlicher Handlungsfreiheit - als quasi Gesetzestext - zu begreifen
und zu behandeln.

Dann wäre freilich an die Softwareentwicklung ein doppelter ethischer
Anspruch zu stellen: Axiomatik von Standards verbunden mit modularen
Verfahren wäre zu fördern, so daß Individualität der Aufgabenlösungen
und Allgemeinheit der Voraussetzungen in größtmöglicher Weise und
gleichzeitig erreicht werden können.

2.1.4. Modellbildende Arbeit ist Teleologie
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Informatisierung und Automation enthalten in sich das Gegensatzpaar
von "Urbild" und "Kopie". Während die Automatisierung letztlich die
Umsetzung des Modells in ein Verfahren ist, zielt die Arbeit der
Informationsgewinnung auf die Prüfung und Hinterfragung, auf die
Optimierung und auf die Abstimmung der Verfahren. Ob sie es will oder
nicht, menschliche Arbeit verwandelt sich sukzessive in die Setzung
und Bewertung von Zwecken. So wird die Arbeit, die sich vom Verfahren
räumlich entfernt, auch in einem anderen Sinn zur "Tele-Arbeit": sie
konstruiert und simuliert das Telos der Produktion. In ihrer
Abstraktion liegt auch ein moralisches Element.

Fußnote über Gebrauchswertseite bei Marx
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Die Marx'sche Bestimmung der Arbeit ist dem sehr ähnlich
(Biene-Baumeister-Beispiel), doch wird das innere Verhältnis von
Entwurf und Ausführungshandeln nicht zum Gegenstand der Reflexion. Das
Kapital trennt die Potenzen der Hand- und Kopfarbeit bis zum
feindlichen Gegensatz, das bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die
Struktur der Technologie. Eine sozialistische Kreissäge wird sich
aller Voraussicht nach von einer kapitalistischen Kreissäge
sinnlich-stofflich unterscheiden....und daran sollte auch kenntlich
sein, was Sozialismus ist und was nicht. Der Hinweis auf den
"Gebrauchswert" ist pure ökonomische Ideologie und macht eine
entscheidende Schwäche der Kritik der politischen Ökonomie deutlich.
Wertkritik muß auch Gebrauchswertkritik sein, und diese ist nicht mit
Bedürfniskritik zu verwechseln. Auf der kategorialen Ebene reflektiert
die Bestimmung des Gebrauchswerts die Diktatur der Ware - die Ökonomie
läßt sich von der stofflichen Seite nicht ihre Gesetze vorschreiben
(Resultate der AK 1) -, aber jeder Beipackzettel eines Medikamentes
erinnert uns daran, daß die Stoffseite der permanenten Reflexion
bedarf, die unter kapitalistischen Bedingungen ein ziemlich armseliges
und folgenloses Dasein führt.

2.2. Die kulturelle Realität geistiger Arbeit
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In gewisser Weise ähnelt das Modelldenken der Sprachlichkeit; der
adäquate Umgang mit den Errungenschaften der Informationstechnologie
wäre auch, sie als komplexe Repräsentationstechniken von Realität
aufzufassen wie Sprache. Sprache ist Kultur, gemeinsames Erbe und
gemeinsame Handlungsvoraussetzung von Menschen. Die Absurdität des
Intellektuellen Eigentums gleicht dem Verhalten eines Menschen, der
für den Gebrauch eines von ihm geprägten Wortes Lizenzgebühren
verlangt. (Was wohl dem Wunschtraum gewisser Verlage entsprechen
dürfte)

2.2.1. Kultursysteme
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Die Forderung, gesellschaftlich relevante und das heißt im weitesten
Sinn allgemeine oder verallgemeinerbare Information frei von
privatisierender Einschränkung zu halten ist freilich nur eine Seite
der Medaille; die andere ist, in kulturellen Gemeinschaften
Information unter dem Gesichtspunkt ihrer Bedeutung als Repository zu
sammeln, zu kondensieren, zu kommentieren und zu kodifizieren. Eine
solche Repository-Bildung war wesentliches Element der Herausbildung
komplexer arbeitsteiliger Nationalökonomien; Universitäten, Akademien,
Bibliotheken, Museen, Archive.

Diese Kultursysteme sind heute "dysfunktional" in dem Sinn, daß die
Bildung von Respositories selbst als Geschäftsfeld erschlossen werden
soll. Der Vergleich mit einer gefräßigen Libelle, die ihren eigenen
Schwanz auffrißt, erscheint nicht allzu weit hergeholt.

Auch und gerade die globalen Dörfer benötigen ein globales
Kultursystem - das dürfte nach dem Gesagten evident sein.
Spekulationen über die Form dieses Kultursystemes können sich an
Assoziationen freier Softwareentwickler ein Beispiel nehmen, aber
müssen zu einer eigenen, adäquaten Form erst finden.

Die spannende Frage ist, ob das existierende Kultursystem in immer
größeren Gegensatz zur Wirtschaft gerät und sich einer wie immer
gearteten Assoziation der globalen Dörfer annähert. Sowohl die
Funktionen "Wissenschaft" als auch "Kultur" sind prekär geworden.

Eine neue Verbindung von Theorie und Praxis täte not, wo
gemeinsam"experimentiert" wird. Hier liegt ein Einbruchsfeld in die
"offizielle" Gesellschaft: es gilt, ihr Experimentalorte und Felder
abzuringen. Nur so werden die Institutionen Wissenschaft und Kunst
letzlich überhaupt noch handlungsrelevant bleiben können. Andererseits
ist das riesige Revier an Universitäten, Klöstern, Bibliotheken,
Archiven auch real und physisch ein Fall für die beschleunigte
Transformation. "Universitas" heißt ja ursprünglich Einheit von
Theorie und Praxis, von Leben und Lernen. Jedes globale Dorf ist eine
Universität des Lebens, also warum sollen nicht wirkliche
Universitäten zu globalen Dörfern werden?

2.2. Über Effektivität und Nachhaltigkeit von Arbeit; Technologie als Einschränkung und Bedingung von Handlungsfreiheit
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Die technisch-kulturelle Gesamtrationalität der IuKT liegt in der
Möglichkeit der kollektiven Pflege eines Repositories von Bausteinen
menschlicher Handlungsmöglichkeiten. Diese sollten konvergieren,
sinnvoll differenzieren, aber sich zugleich entvielfältigen und
perfekter werden, - je mehr daran gearbeitet wird. Die Informations-
und Kommunikationstechnologie vermag immense Quanten rationaler Arbeit
zu definieren, mehr als jemals durch Automatisierung von unmittelbarer
Arbeit wegbrechen kann - auch und gerade aufgrund der "Versäumnisse",
die das industrielle Paradigma innerhalb unserer Lebenswelt
hinterlassen hat.

Allein instrumentell und dinglich gesehen sind nämlich Abstimmungs-
und Optimierungsprozesse ungeheuren Ausmaßes notwendig, um die Folgen
der mit Lichtgeschwindigkeit aggregierten Wirkungen der Technologie zu
übersehen und mit menschlichen Bedürfnissen in Einklang zu bringen.

Das bedeutet nicht daß sich jeder mit allem beschäftigen muß: Ähnlich
dem Schichtenbau des OSI Modells oder den Stockwerken eines Hauses
sind die technologischen Handlungsvoraussetzungen miteinander
verflochten, aber auch gegeneinander autonom, wenn sie gut entworfen
sind. Das sind sie heutzutage eindeutig nicht, und es scheint, als ob
uns jeder Fortschritt in der Technologie einen handlungstheoretischen
Rückschritt brächte.

2.3. Der Gegensatz von Wirtschaft und Arbeit wächst
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Wir haben uns heute gründlich abgewöhnt, dieses
"Zwiebelschalenprinzip" in unseren täglichen Handlungen zu
reflektieren geschweige denn anzuwenden.Der Begriff des "Nutzens" ist
heute gleichbedeutend mit dem situativen Vorteil. Ordnung wird nicht
um ihres langfristigen Gesamtnutzens willen erstrebt, sondern
individuell & regional als Mittel zum Zweck, der im Effekt diesem
Gesamtnutzen auch entgegenlaufen kann (Sigor, Infarkt, p.333)

Ein Beispiel: Software gründlich und anständig zu dokumentieren und
dafür ein Werkzeug zu bauen, verkauft sich schlechter als kasuistische
Schulungen mit "Tips und Tricks". Mit reduziertem Einsatz läßt sich
aus der Chance auf einen situativen Vorteil ein größerer ökonomischer
Handlungsspielraum gewinnen als mit einer Arbeit, die inhaltlich auf
einen Allgemeinnutzen bezug nimmt. Letztere ist nicht mehr
wettbewerbsfähig und wird verdrängt.

Die Geschwindigkeit und die Intensität der Grundtendenz der
Wirtschaft, mutwillig und "fahrlässig" Widrigkeiten zu schaffen und
dann solche Widrigkeiten opportunistisch auszunutzen, ist eben zur
"Lichtgeschwindigkeit" geworden und sorgt für eine negative
darwinistische Auslese derjenigen, die mit dem geringsten Einsatz von
Arbeit in der größten Geschwindigkeit mit Problemlösungsfragmenten die
Vergleichs-, Kontroll- und Bewertungsmöglichkeiten weiter untergräbt.

Die Wirkung bleibt nicht aus und wird konstatiert: "Schrott" (Kurz),
"Stau" (Schandl) - aber werden diese Erscheinungen wirklich ernst
genommen als immanenter Bestandteil einer ver-rückten Art zu
wirtschaften?

Am allerbesten funktioniert dabei der direkte Zugriff auf
zurückgehaltene Information, die dann als "Produkt" verkauft werden
kann, in der Form von situativen Krücken. Die Saatgutindustrie mit
ihrem Einjahresweizen ist dafür zum Sinnbild geworden.

Aus einer Gesellschaft von zumindest formal freien Subjekten, die aus
sachlicher Notwendigkeit zur Zusammenarbeit gezwungen werden, wobei
sich der Nutzen auf der einen Seite und die prekäre Reproduktion des
Arbeitskraftverkaufes auf der anderen Seite reproduziert, wird eine
Gesellschaft, deren ökonomische Conditio sine qua non die Ruinierung
der abhängigen Produzenten und ihre laufende Verschuldung ist. In
langer Sicht wird wohl solche Abhängigkeit kaum geschaffen, um in
einem "Jubeljahr" die Schulden zu entsorgen. Stattdessen ist der Sinn
der Sache die erweiterte Dienstbarkeit. Vom Kapitalismus bewegen wir
uns nicht vorwärts, sondern rückwärts in die Geschichte: Willkommen im
Informationsfeudalismus! Die Besetzung von Informationen als
abstraktem Rechtsgrund, Abhängigkeiten und Verkopplungspunkte mit
Kapitaleinsatz betreten und bewirtschaften zu dürfen, der Kampf um
strategische Punkte in der Landschaft, wo sich Wegezölle einheben
lassen ("Informationsrente") ist keineswegs eine ökonomische Form
unter anderen, wie Ralf Krämer meint. Die "Lichtgeschwindigkeit der
Kontrollmöglichkeiten" führt die erfolgreichen Kapitale hinüber in
eine neue Gesellschaftsformation!

2.3.2 Die Entsorgung der Produktion
-----------------------------------

Wirtschaft bewegt sich heute in der Logik des Outsorcing, das heißt
Zugriff auf und Verkoppelung von externen Leistungen statt eigener
Produktion. Die Automobilbranche ist nur ein Beispiel von vielen.Die
gesamte Logistik der Netzwerke hat in diesem Wettbewerb um die
Entkopplung von Kapital und Arbeit ihren abstrakten Grund.

Wenn wir heute eine reale Möglichkeit einer Selbstorganisation
gesellschaftlicher Arbeit diskutieren, dann deswegen, weil der
Marktaspekt der kapitalistischen Wirtschaft sich zunehmend vom
Produktionsaspekt trennt und die gesellschaftlichen Produzenten das
früher despotisch als Organisator der fabriksmäßigen Produktion
auftretende Kapital gar nicht mehr benötigen, um vergesellschaftet zu
sein.

Freilich bedarf es, um die mehr als prekäre Situation der bezollten
Arbeit aufzuheben, die sich noch ihr Produktionswissen lizensiert von
Verknappern besorgen muß, einer Transformation von einer
Vergesellschaftung "an sich" zu einer Vergesellschaftung, die sich
selbst reflektiert.

2.4. Der zunehmende Bedarf an Standards und Technologien der Kooperation
------------------------------------------------------------------------

2.4.1 Die Konkurrenz der Kapitale um die gesellschaftliche Arbeit
-----------------------------------------------------------------

Auf der einen Seite zeigen Phänomene innerhalb der kapitalistischen
Produktion selbst, daß dieses Phänomen mit elementaren Notwendigkeiten
der Produktion konfligiert; ein besonders possierliches Beispiel ist
der Versuch von Firmen, ihre Produkte zu Standards zu machen oder die
immer häufiger auftretenden Standardisierungskomittees zu dominieren.

Gleichwohl wird in diesem Bereich genausowenig wie im Bereich der
Qualitätssicherung ein wirklicher inhaltlicher Bezug von Technologien
aufeinander diskutiert, maximal Schnittstellenabklärung als
abgenötigte Reduktion bis dato lukrativer Intransparenz.

Nichtsdestoweniger bedarf heute jedes Kapital der externen
gesellschaftlichen Potenzen, die es sich bei Strafe des Unterganges
zunutze machen muß; an die Seite seiner despotischen Natur tritt
unverhohlenes Werben um "Partnerschaften" und "Allianzen".
Zivilgesellschaftliche Selbstorganisation könnte hier versuchen,
taktisch den Spieß umzudrehen.

2.5. Das soziale Betriebssystem: "Theor-ethische" Grundlagen einer Kultur kooperativer Arbeit
---------------------------------------------------------------------------------------------

Gemeinsame Pflege von Standards macht den Übergang in Eigenarbeit erst
sinnvoll möglich. Die Entgesellschaftung der operativen Aspekte von
Herstellungshandeln verbindet sich mit einer Vergesellschaftung der
strategischen, politischen Aspekte. Eine Subsistenz, die sich der
Systematik gesellschaftlicher Arbeiten nicht versichert, wäre
bestenfalls lächerliche Handwerkelei, entweder ineffektiv gegenüber
dem dominierenden wirtschaftlichen Betrieb, oder sein Spielball.

2.5.1 Globalisierung von unten
------------------------------

Eine globale Subsistenz wäre eine, die sich die inhaltliche
Kultivierung der Arbeit und der Produkte der Arbeit ausdrücklich zum
Ziel setzt. Was lokal nicht bewältigt werden kann oder nur um den
Preis der Verdrängung der Komplexität des Problems, erfordert globale
Ebenen der Verständigung, ohne daß damit automatisch ein
Vergesellschaften der Produktion verbunden wäre.

Mängel und Mangel an verfügbaren Leistungen müßten deutlich
artikuliert werden. Konstruieren und Fordern statt Auswählen und
Resignieren müßte die Maxime sein.

3. Einige Gedankensplitter zu Raum und Technologie: Bausteine für die Globalen Dörfer
=====================================================================================

Globale Dörfer sind also die Verbindung einer Subsistenzperspektive
mit einer Kultur der kooperativen geistigen Arbeit. Diese Perspektive
realisiert wiederum sich in Räumen eigenmächtiger Produktion. Diese
werden durch das Zusammenkommen verschiedener Bausteine ermöglicht.
Das Folgende ist eine vage Skizze der Vielgestaltigkeit dieser
Bausteine.

3.1. Die Dialektik von "Stadt" und "Dorf"
-----------------------------------------

Ich möchte wiederum zur Verdeutlichung den Unterschied zur
Subsistenzbewegung betonen. Subsistenz sei primär in ländlichen Räumen
möglich, Städte seien eigentlich parasitäre Räume. Im Unterschied dazu
steht das Konzept der globalen Dörfer nicht im Gegensatz zu
verdichteten urbanen Räumen, sondern lebt von der wechselseitigen
Befruchtung von Stadt und Land.

Ausgangspunkt: globale Stadt & globale Dörfer
---------------------------------------------

In diesem Konzept sind Städte Netzwerkknoten, die uns zu kooperativen
und komplexen Produktionsvorgängen befähigen. "Globale Städte" sind
nicht zuletzt eine Wirkung der Informationstechnologien: Die oft zu
hörende Mutmaßung, Zusammenballungen würden mit fortschreitender
globaler Telekommunikation hinfällig und einer größtmöglichen Streuung
weichen, stimmt nur zum Teil. Gerade weil die durch die
Telekommunikation ermöglichte territoriale Streuung Fortschritte
macht, kommt es m.E. zu riesigen Agglomerationen von zentralisierenden
Tätigkeiten. Dies ist keine bloße Fortschreibung der hergebrachten
Ballungsstrukturen, sondern könnte als neue Ballungslogik bezeichnet
werden. (Saskja Sassen). Während von dieser Ballungslogik alle
diejenigen betroffen sind, die hochentwickelte Infrastruktur für
globales Management benötigen oder aber diese bereitstellen - worunter
auch diejenigen Dienstleister fallen, die ihren Kundenkreis primär im
Hersteller- und Unternehmensbereich haben, zu denen sie räumliche Nähe
unterhalten und/oder "just in time" liefern müssen, fallen aus dieser
Ballungslogik viele Tätigkeiten heraus, die sich entweder im Inneren
von Organisationen, im back office von Firmen oder aber "outgesourced"
jenseits intensiver Kommunikation abspielen. Die Zwischenbereiche der
Wirtschaft - wie routinemäßige Büroarbeit in Hauptgeschäftsstellen,
die nicht an die Weltmärkte angekoppelt sind, und die vielfältigen
Dienstleistungen, die die weitgehend in den Vorstädten lebende
Mittelschicht nachfragt - und die Zwischenschichten der
Stadtbevölkerung - können sich aus den Städten zurückziehen und haben
dies auch getan. (Manuel Castells)

3.1.1. Speckgürtel: pervertierte kapitalistische Stadtentwicklung
-----------------------------------------------------------------

WIE sie dies getan haben ist freilich eine Katastrophe. Die
ökologische Belastung durch den halbländlichen Siedlungsbrei der
Vorstädte mit ihren freistehenden Häusern und Zwangsautomobilismus
samt Dauerpendeln zu Arbeitsplatz und Einkaufszentrum ist nach
Berechnungen von Ernest Callenbach bis zu 500% höher als in
verdichteten Stadträumen.

3.1.2. Stau
-----------

Der Stau auf der Autobahn ist kein Merkmal von Lebensqualität, sondern
allenfalls das Ergebnis einer Akkumulation absurder "Sachzwänge", die
eine Ökonomie betriebswirtschaftlicher Einheiten schafft. In dieser
Ökonomie müssen immer größere Teile des gesellschaftlichen Reichtums
zur Überwindung von Hindernissen aufgewendet werden, die die
Gesellschaft durch unsystematische und kasuistische
Technologieentwicklung selbst aufgetürmt hat. Das äußert sich in einer
historisch einmaligen aggressive Form der Komplexitätsentwicklung.
Während wir in der Theorie von One Stop Shops reden (schon dieser
Zweck ist ein ausgemachter Blödsinn und verrät, daß es ein reines
Ideal zum begriffslosen Vermehren von Komplexität ist) vermehren sich
die hilfreichen Angebote zur Lebensbewältigung wie die Karnickel.
Claus Offe spricht von der "Komplexitätsfalle", in die das moderne
soziale Leben geraten ist.

3.2. Miniaturisierung, Komplexität, Dauerhaftigkeit
---------------------------------------------------

Gesetzt den Fall, Komplexitätszunahme ist ein erwünschtes Phänomen,
dann ist dennoch diese Zunahme der Komplexität mit dem Imperativ
verbunden, sie bewältigen zu können. Paolo Soleri, ein italienischer
Architekt in Amerika, der schon früh den Kapf gegen die Vorstadtwüsten
aufgenommen hat, stellte eine simple Theorie der Technologie auf: Mit
der Entwicklung jeder Technologie ist Zunahme an Komplexität
verbunden. Biologische Evolution geht von einfachen zu komplizierteren
Lebenwesen, sie geht aber auch in die Richtung, dabei auftretende
Vergrößerung zu begrenzen und umzukehren. Genauso ist es mit der
Evolution von menschlichen Lebensräumen: Auf Dauer werden sie nur
funktionieren, wenn sie die Vermehrung der Komplexität durch
Miniaturisierung kompensieren. Eine Stadt der kurzen Wege ist ein
dringendes Erfordernis, nicht nur im Sinn unserer unmittelbaren
Lebensqualität, sondern auch unseres "ökologischen Fußabdrucks".

3.3. Die verteilte digitale Metropole
-------------------------------------

Informationstechnologie ermöglicht die teilweise Substitution von
physischer Mobilität; Telearbeit, Telelernen, Telemedizin und andere
Dienste stellen einerseits vermehrte Beweglichkeit, aber auch
umgekehrt die zunehmende Konzentration auf einen Lebensraum als reale
Möglichkeit zur Verfügung. Die Frage ist, ob wir wirklich beide
Möglichkeiten gegeneinander ausspielen müssen oder ob nicht umgekehrt
das eine die Bedingung des anderen ist: vielgestaltige Lebensräume, in
denen die Lebenserhaltungssysteme durch lokale Kooperation optimiert
sind, und globaler Erfahrungsaustausch darüber durch permanentes
Lernen, keineswegs nur durch Netzwerke, sondern durch eine ganz neue
Kultur des Reisens.

Metaphern
---------

Die globalen Dörfer sind die Synthese aus zwei Paradigmen: aus dem
Paradima der Pflanze und aus dem Paradigma des Schmetterlings. Die
eine, ortsfest, ist eine genügsame und höchst effiziente Hülle, in der
aus dem Licht der Sonne und aus den Mineralstoffen der Erde - aus den
lokal ohne viel Aufwand verfügbaren materiellen Ressourcen eben - eine
synthetische Struktur mit erstaunlichen Eigenschaften wird. Der andere
befruchtet und belebt mit seinen Informationen die lokale Sphäre und
trägt zu ihrer evolutionären Entfaltung bei.

3.4. Bio-logik als Grundlage von Lebensraum- und Technologiegestaltung
----------------------------------------------------------------------

Mechanische, lineare, Uhrwerks-Logik erzeugt simple Systeme. Wirklich
komplexe Systeme wie eine Zelle, eine Wiese, eine Wirtschaft oder ein
Gehirn, natürlich oder künstlich, erfordern eine Bio-logik. Keine
Logik außer einer Bio-Logik kann ein denkendes Gerät oder überhaupt
ein komplexeres System zusammensetzen Es ist eine erstaunliche
Entdeckung daß man die Bio-Logik aus dem Bios extrahieren kann und in
eine andere Sphäre transponieren kann. Erst mit Computern und
komplexen menschlichen Produkten war das möglich. Es mutet unwirklich
an, wieviele der Eigenschaften des Lebens wir übertragen können.

(Kevin Kelly)

3.4.1 Permakultur
-----------------

Die Basis der Technologie Globaler Dörfer ist die Anwendung der Logik
lebender Systeme. Die Elementarform dieser Anwendung ist die
Permakultur. Sie kommt ohne aufwendige technologische Kreationen aus
und erzielt doch erstaunliche Resultate. Das Geheimnis der Permakultur
ist die Erkenntnis, daß keine gegebene natürliche Tatsache per se
nützlich oder schädlich ist, sondern immer in der Interaktion mit
anderen Elementen eines Systems wirkt. Nicht die Größe eines zur
Verfügung stehenden Grundstückes oder die Menge der Ressourcen
bestimmen die Zahl der Möglichkeiten seiner Nutzung.

Vielmehr hängt es von unseren Fähigkeiten ab, die Entwicklung einer
Vielzahl von Nischen und damit Lebensräumen - auch für den Menschen -
zu unterstützen.

Permakultur "geschieht nicht", sie ist ein Prozeß intensivster
Naturbeobachtung und der quasi kybernetischen Umsetzung eines
möglichst "gut" funktionierenden "Programms", wobei grobe Parameter
vorgegeben werden und die Selbstorganisationsfähigkeit der Natur
ständig neue Lösungen en gros und en detail hervorbringt. Das Telos
der Arbeit ist hier der geringe Eingriff mit optimalem Resultat -
dieses ist immer "Vielfachnutzen", reflektiert sich von vielen
"Bedürfnissen" her statt von einem einzigen.

Ein Netzwerk das sich dem intensiven Austausch von Wissen über die
Vereinerung natürlicher Systeme widmet ist das global ecovillage
network: www.gaia.org

3.4.2. Living machines
----------------------

Einen ähnlichen Ansatz aber verbunden mit technologischen
"Implantaten" versucht der "living machines" - Ansatz von John Todd.
www.livingmachines.com/htm/machine.htm

Es geht hier im wesentlichen um die Beschleunigung und Konzentration
solcher komplexen natürlichen Prozesse durch Einbettung in
architektonische und technologische Umgebungen, die ein wenig
traditionellen Produktionsprozessen ähneln - aber vom Inhalt her
radikal über sie hinausgehen, indem sie nicht den einzelnen Prozeß,
sondern den gesamten Stoffkreislauf reflektieren.

3.4.3. nachwachsende Rohstoffe etc.
-----------------------------------

"Biomasse", "Solare Revolution" (Scheer, Altvater) und viele weitere
Faktoren lassen das Dorf unter dem Gesichtspunkt einer Entscheidung,
"Information statt Materie fließen zu lassen" als optimalen Lebensraum
erscheinen.

3.5. Die Stadt als Pflanze: Arcosanti und andere Visionen
---------------------------------------------------------

Die gesamte Siedlungsform unterliegt einem gewissen Zwang zur
Miniaturisierung, zur optimalen Nutzung vorhandener Räume, um die
vielfältigen und komplexen Funktionen auf einem überschaubaren Gebiet
unterzubringen. Gleichzeitig steigt die Bedeutung der umliegenden
Natur als Naherholungs- und Rückzugsraum sowie als Gegenstand einer
dauerhaften Symbiose, eines stabilen Stoffwechsels. Nirgendwo ist
dieses Konzept eines dauerhaften Stadtorganismus derart eindrucksvoll
demonstriert worden wie in der Stadtbaustelle Arcosanti in der Wüste
von Arizona:eine Stadt, die nur wenige Hektar eines riesigen
Grundstücks beansprucht, die mit Glashäusern einen klimatischen
Austausch pflegt,in der Sonnenenergie zum Betreiben von Fahrstühlen
eingesetzt wird,in der sich die architektonischen Formen aus der
optimalen Ausnutzung der Jahreszeiten ergeben und so weiter. siehe
www.arcosanti.org ein pervertiertes Beispiel wirtschaftlicher
Provenienz: www.victorycities.com

Die Vision der physischen Gestalt der globalen Dörfer, so sehr sie
sich radikal von den herkömmlichen Siedlungsmustern unterscheiden mag,
erschöpft sich freilich keineswegs in den verdichteten Stadtpflanzen
Soleris. Ein radikal anderes Grundmuster hat der
englisch-amerikanische Architekt Tony Gwilliam aufgezeigt.
http://www.Austria.EU.net/give/Salzburg/TONY2.GIF In dieser Vision
wird Miniaturisierung verknüpft mit symbiotischer Expansion; die
herkömmlichen öffentlichen Gebäude verschwinden zugunsten einer
Erweiterung des häuslichen Funktionskreises: "Every Home can be a
school, a workshop, a spiritual place" Miniaturisiert wird das
Verkehrssystem, während die Bereiche der "greenways", der öffentliche
Raum im emphatischen Sinne, versuchen, mit Natur zu einer Symbiose zu
finden.

3.6. Das Dorf als gelebter Lebensentwurf: bolobolo und die Themensiedlungen
----------------------------------------------------------------------------

Die Freiheit der Wahl und des Aufsuchens von Lebensräumen und das
Bewußtsein für die Nachhaltige Auseinandersetzung mit der natürlichen
Umwelt hat ihr Pendant im Sozialen. Wir wollen auch eine soziale
Umwelt aufsuchen, die unsere Lebensgestaltung positiv unterstützt. Im
Amerikanischen gibt es dafür den Ausdruck "Intentional Community", der
bezeichnenderweise im Deutschen kein Gegenstück hat. Gesellschaft
erfahren wir in unserer Kultur entweder als "urwüchsige" Gemeinschaft,
die den Zielen der Einzelnen vorausliegt, oder als äußerliche,
beschränkende Tatsache.

Die Verstädterung und Individualisierung liefert aber auch die
Voraussetzung zur bewußten Auswahl eines Lebensmodells und zur
Realisation mit gleichgesinnten oder passenden Partnern. Dabei kannn
der Grad der Individualisierung z.B. ein Bestandteil des
gemeinschaftlichen Arrangements sein.

3.6.1. bolo und nima
--------------------

In seinem visionären Zukuftsbild "bolo'bolo", das anhand der
Explikation von 30 Wörtern einer neuen Welt-Sprache die umfassende
Beschreibung einer zukünftigen Welt liefert, entwirft der Schweizer
Autor P.M. das Projekt einer allgemein verbreiteten "dörflichen"
Lebensform, die imstande war, eine globale Kultur hervorzubringen.
('bolo' entspricht in der Weltsprache in etwa dem Wort
"Nachbarschaft", "Dorf", "Quartier", "Optimale Größe einer
Lebensgemeinschaft", bolo'bolo ist die Mehrzahlform.)

Wesentlich an dieser Kultur sind die sparsamen, knappen und sehr
universellen Konzepte, die das Leben in Gemeinschaft beschreiben.
(Vielleicht sind sie aber auch nur ein Stilmittel und sollten nicht
allzu ernst genommen werden ;-), in seinen Büchern "Amberland" und
"subcoma" hat P.M. diese Realität mit völlig anderen Stilmitteln
antizipiert...). Vielleicht das fundamentalste dieser Konzepte ist
nima, etwas was wir mit "gemeinsamem Lebensentwurf" oder "Wert"
übersetzen würden. Ein Nima ist aber auch ein Flair, eine Färbung,
eine bis in die individuelle Besonderheit einer Lokalität verfeinerte
Kultur. Es ist zugleich ein allgemeiner "Wert", als auch eine
besondere Ausprägung desselben. Der wahre Reichtum der 'bolos' ist der
kulturelle und materielle Potential, nima, "die
Gewohnheiten,Philosophien, Werte, Interessen, Kleidungsstile, Küche,
Sitten, Sexuellen Gewohnheiten, Bildung, Religion, Architektur,
Handwerk, Kunst, Farben..., rituals, music, dance, mythology,
body-painting: everything that belongs to a cultural identity or
tradition." Die Stärke der Utopie von P.M. ist, daß die Welt nicht
über einen Kamm geschoren werden soll, sondern gerade die Vielfalt der
Konzepte durch einen gemeinsamen Referenzrahmen zum Erblühen gebracht
werden soll. eine schöne Beschreibung in Englisch:
www.newciv.org/GIB/BOV/BV-235.HTML

Kulturelle Diversität als Reichtum
----------------------------------

In a larger city, we could find the following bolos: Alco-bolo,
Sym-bolo, Sado-bolo, Maso-bolo, Vegi-bolo, Les-bolo, Franko-bolo,
Italo-bolo, Play-bolo, No-bolo, Retro-bolo, Thai-bolo, Sun-bolo,
Blue-bolo, Paleo-bolo, Diabolo, Punk-bolo, Krishna-bolo, Taro-bolo,
Jesu-bolo, Tao-bolo, Marl-bolo, Necro-bolo, Pussy-bolo, Para-bolo,
Basket-bolo, Coca-bolo, Incapa-bolo, HighTech-bolo, Indio-bolo,
Alp-bolo, Mono-bolo, Metro-bolo, Acro-bolo, Soho-bolo, Proto-bolo,
Herb-bolo, Macho-bolo, Hebro-bolo, Ara-bolo, Freak-bolo,
Straight-bolo, Pyramido-bolo, Marx-bolo, Sol-bolo, Tara-bolo,
Uto-bolo, Sparta-bolo, Bala-bolo, Gam-bolo, Tri-bolo, Logo-bolo,
Mago-bolo, Anarcho-bolo, Eco-bolo, Dada-bolo, Digito-bolo, Subur-bolo,
Bom-bolo, Hyper-bolo, Rock n'-bolo, etc. Moreover, there are also just
good old regular bolos, where people live normal, reasonable and
healthy lives (whatever those are)

3.6.2. Themensiedlungen
-----------------------

In der modernen Stadtentwicklung sehen wir diese Entwicklung sich
schon in ersten Umrissen abzeichnen. Vorstädtische Bauvorhaben locken
die Bewohner mit "Themen". Bei uns in Wien entstehen autofreie
Siedlungen, Frauenwerkstatt und ähnliche Komplexe, die sich nicht als
Ghetto, sondern schlicht als synergetischer Lebensraum sehen. Die
niederösterreichische Landesakademie veranstaltet einen Zukunftstag
über "Themendörfer"....

3.6.3. Cultural Communities auf der Suche nach Manifestation
------------------------------------------------------------

So erweitert sich das Gebiet für Open Source von den allgemeinen und
nicht unbedingt kulturgebundenen Werkzeugen und Modellen menschlicher
Auseinandersetzung mit der Natur zu den "Special Interests". Was im
Cyberspace begann, will im wirklichen Raum enden.

3.7. globale Orte, duale Architektur
------------------------------------

Wenn wir diese 3 Elemente im globalen Dorfraum beisammen haben: die
Technologien im Umgang mit der Natur, die Raumgestalt im Aufbau eines
nachhaltigen Lebensraumes und das soziale Betriebssystem, so dürfen
wir doch nicht vergessen daß diese Dörfer eigentlich keine Dörfer
sind, sondern räumlich disperse Splitter einer virtuellen globalen
Metropole. Der Raum ist durchlässig geworden für Information, die sich
in Aktion umsetzt. Diese Einsicht macht die Zweiteilung der
Architektur in eine, die sich den physischen Räumen widmet und eine
die sich auf virtuelle Räume spezialisiert, schön langsam unwirklich.
Wir brauchen eine duale Architektur. Am Beispiel Colletta di
Castelbianco sehen wir, wie ein mittelalterliches Bergdorf zu neuem
Leben erwacht, doch es ist eben nur scheinbar ein isoliertes Dorf.
http://www.colletta.it/eng_menu.htm Im Amphitheater von Colletta
begegnet uns der Archetyp des "globalen Ortes", einer sich in den
realen Ort hineinentwickelnden Begegnungsstätte von lokalem und
globalem Leben. Die Lernorte bewegen sich von den realen hin zu den
virtuellen Räumen und damit ist eine Dezentralisierung der
Institutionen verbunden. Bibliotheken sind bereits lange im
öffentlichen Raum existierende Instrumente einer informierten
Bürgerschaft und zugleich Orte des Lernens und damit Teil unserer
Zivilisation. Damit bleiben Bibliotheken nicht nur Dienstleister der
Kommune, sondern können sich zu den zentralen Orten des Lernens
entwickeln. (Projekt Bildung und Begegnung). Eine längere Studie ist
abzurufen unter: http://www.telechance.at/doern/Mediathek.htm

Die Ausgestaltung des "globalen Ortes" ist eine der spannendsten
Aufgaben des Designs globaler Dörfer. Und dennoch ist der Globale Ort
nicht identisch mit dem Globalen Dorf: dieses ist eine Synthese von
Globalem und Lokalen. Im nächsten Abschnitt soll es um diese Gestalt
gehen.

4. Ein Besuch in der globalen Dorfwerkstatt
===========================================

Diese kleinräumigen, von einer natürlichen Ökosphäre umgebenen
"Städte" und "Dörfer" werden sich von den heutigen dadurch
unterscheiden, daß sie ein wesentlich breiteres Spektrum an
Dienstleistungen anbieten, und diese Dienstleistungen werden zunächst
wohl ein Produkt der globalen Städte sein, ob Franchise oder
Hochtechnologie. Das Entstehen von Community Teleservice Centers,
Global University Outlets, Gesundheitszentren, Flexible Factories
usw., die mit Hilfe von Wissensressourcen und Datenhighways die
Bandbreite lokaler Dienstleistungen verhundertfachen, wird nur durch
eine hochspezialisierte Organisation und das Produktionspotential von
Städten gekiefert werden können; insoferne ist Saskja Sassen
zuzustimmen, daß das Globale Dorf die Globale Stadt erforderlich
macht. Dennoch wird der neue und vermutlich vorherrschende Lebensraum,
die lokale Sphäre einer ressourceneffizienten Verknüpfung von Natur,
lokaler Eigenarbeit und globaler Vernetzung, sich in einem anderen
Selbstbewußtsein gegenüber der Stadt artikulieren und positionieren
als das traditionelle Dorf oder die Bezirksstadt. Wiewohl angelehnt an
das regionale Kommunikationssystem einer Stadtregion steht doch das
"globale Dorf" von vorneherein in einem Austauschverhältnis zu vielen
Städten, vielen konkurrierenden Anbietern von industriellen und
informationellen Ressourcen für reichhaltige lokale Entwicklung.

4.0.1. Spirale der Nachhaltigkeit
---------------------------------

"Globale Dörfer", "lernende Gemeinden" stehen so in einer intensiven
Beziehung zueinander; sie verleihen dem Wissen Realität, sie
manifestieren es. Gerade durch die lokale Anwendung und Integration
entstehen vor Ort neue Arbeits-, Forschungs-, Bildungs- und
Lebensmöglichkeiten. All das gesammelte Wissen und die gemachten
Erfahrungen fließen wieder zurück und bereichern bzw. potenzieren das
globale Wissen. Eine "Spirale der Nachhaltigkeit" entsteht, wenn wir
bereit sind, an einem oder einigen Orten mit diesem Prozeß zu
beginnen. Jeder neue Ort bereichert die Möglichkeiten der anderen,
wenn wir das, was wir tun, als Teil eines globalen Experimentes tun.

4.0.2. Senkung der Lebenshaltungskosten
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Und solche Experimente sind bitter notwendig: denn die traditionelle
Form der Entwicklung, sei es der landwirtschaftlichen oder der
industriellen, ist eigentlich in einer Sackgasse angelangt. Die
Erfolge bei der Entwicklung und Verdichtung der globalen Märkte haben
dazu geführt, daß der Eintrittspreis für profitable Produktion für
viele zu hoch geworden ist. Demgegenüber steht eine wachsende Einsicht
in die Absenkbarkeit von Lebenshaltungskosten - bei gleichzeitiger
Steigerung von Lebensqualität - durch den nachhaltigen Einsatz von
lokalen Ressourcen. Das Beispiel der Permakultur zeigt, daß gerade
dort, wo Investition nicht primär vom ökonomischen Ertrag, sondern von
der Selbsterhaltungsfähigkeit eines Systems ausgeht, der ökonomische
Ertrag quasi als Nebenprodukt sich wieder einstellt.

4.1. Die Anatomie des Globalen Dorfs: Konzeption, Prozeß und Dissipation als räumliche Sphären.
-----------------------------------------------------------------------------------------------

Wenn es einen Entwurf gibt, der die Intention des "Global
Village"-Ansatzes und seine immanenten Potentiale am prägnantesten
ausdrückt, dann ist vielleicht die Vision von des britischen
Architekturhauses Richard Rogers für den Parc B.I.T. in Mallorca zu
nennen.. Der Ideenwettbewerb für eine Wohn- und Lebensform des 21.
Jahrhunderts war im Jahr 1994 von der Provinzregierung der Balearen im
Gefolge der Telework 1993 veranstaltet worden, um ein Signal für
nachhaltigere und einkommensträchtigere Formen des Tourismus zu
setzen. Die Ausschreibung für die Entwürfe der eingeladenen
Architekturbüros sah weitgehende Gestaltungsfreiheit vor. Auflage war
lediglich, daß ein attraktiver multifunktioneller Ort entstehen
sollte, der sowohl dem Wohnen als auch der Arbeit dienen sollte.

Der Entwurf von Rogers kombiniert die Idee eines "urbanen" Mikrokerns
mit einer "ruralen" Flachbauweise, die ähnlich gewachsenen
Dorfstrukturen sternförmig in die umgebende Kulturlandschaft
hinausreicht. Während der "urbane" Kern stark öffentlichen oder
Piazza-Charakter trägt und in mehrstöckigen Bauten eine starke
Verdichtung aufweist, hat die "rurale" Peripherie einen stark an
Rückzug und Privatheit orientierten Charakter
http://www.Austria.EU.net/give/Salzburg/sbg8.html

4.2.Exkurs über das Kloster und seine Metamorphosen
---------------------------------------------------

Während die Wissensmenge am Ende des 2. Jahrtausends enorm gewachsen
ist, droht die unbedachte Einflußnahme, die durch dieses Wissen
möglich geworden ist, unsere Lebenswelt zu zerstören. Obwohl uns das
Modell des Klosters seltsam antiquiert vorkommt, spüren wir die
Faszination des Klosters stärker denn je zuvor: ein Ort, an dem unsere
geistigen Möglichkeiten, die sich so rasant und chaotisch entwickelt
haben, bewußt und bedacht geordnet und manifestiert werden; in dem
ansatzweise realisiert wird, was der christliche Evolutionstheoretiker
Pierre Teilhard de Chardin als die Entstehung eines globalen
Bewußtseinssystems, eines planetaren Geistes, einer Noosphäre
vorweggeahnt hat.

Die (noch imaginierte, aber keineswegs imaginäre) Klosterbibliothek
des 21. Jahrhunderts ist einerseits lokal, sie reflektiert die
Umsetzung und Brauchbarkeit der immensen Wissensfülle in Bezug auf die
Gestaltung und Entwicklung der Qualität eines Ortes. Andererseits ist
sie unmittelbar global, d.h. das Wissen und die Erfahrungen eines
Einzelnen bzw. von Gruppen aus allen Bereichen unseres Leben kann und
wird durch Informationstechnologie globalisiert

4.3. Prozeß: die telematische Werkstatt und die Helfer im Garten
----------------------------------------------------------------

Wie es in jedem Haushalt Werkzeugkästen gibt, jedes größere Haus
seinen Hausverwalter mit handwerklicher Ausstattung, jeder
landwirtschaftliche Betrieb Werkstatteinrichtungen zur Wartung der
Gerätschaft hat, so sind für jede Routine des Alltags übergreifende
Werkstätten sinnvoll, die die Entwicklung dieser Routine mit
Anpassungen, Prototypen und Kleinserien unterstützen. Dies ist ein
Wesensmerkmal globaler Dörfer und dem "Trend der Verwertung der
kleinsten Lebensregung" direkt entgegengesetzt. Solche Werkstätten
genossenschaftlich zu organisieren, ist mehr als naheliegend.

Daß die "aspektuelle Autarkie innerhalb der gesellschaftlichen
Gesamtarbeit" noch nicht hinreichend realisiert ist, daß hier keine
Website und kein Verweis vorliegt, soll nicht als Defätismus, sondern
als Aufforderung gewertet werden. "Virtuelle Genossenschaften", die
sich der Potentiale moderner Kommunikations- und
Automatisierungstechnologien bedienen, um in Kleinserien Entwürfe zu
realisieren, werden genauso schnell oder langsam entstehen, wie sich
das Prinzip von Open Source ausbreitet. Mit einschlägigen Versuchen
müßte jedenfalls bald begonnen werden.

4.4. Dissipation oder das Gespräch mit den Bäumen
-------------------------------------------------

Wollte man sich das Globale Dorf als Schema vorstellen, so denkt man
am besten an drei konzentrische Kreise; im Inneren die Sphäre des
globalen Wissens, darum die Sphäre der lokalen Eigenarbeit, und als
äußersten Kreis die restituierte Natursphäre. Globale Dörfer sind
offene, dissipative Systeme, das heißt sie stehen im permanenten
Energieaustausch mit der Umwelt um ihre Struktur aufrechtzuerhalten.

Der permanente Kontakt mit belebter, nichtmenschlicher Natur ist nicht
bloß ideologischer und individualpsychologischer Rückzugsraum aus dem
Feld gesellschaftlicher Anforderungen; er hat höchstwahrscheinlich
eine darüber hinausgehende konstitutive Bedeutung für unsere
Identität. Diese Bedeutung zu erforschen wird nicht zuletzt die
Faszination der Globalen Dörfer ausmachen.

________________________________
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