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Re: [ox] Eindruecke vom LinuxTag 2001



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Hallo Stefan und alle,

* Stefan Merten <smerten oekonux.de> [20010709 23:51 [PHONE NUMBER REMOVED]]:
Ich will euch ein bißchen von meinen Eindrücken erzählen und würde
mich freuen, wenn andere auf der Liste, die vielleicht auch in
Stuttgart waren, Ähnliches täten.

Da will ich mich doch gleich mal angesprochen fühlen :-) Ich war am
Freitag und am Samstag auf dem Linuxtag, habe allerdings von den
Vorträgen rein gar nichts mit bekommen. Der Grund dafür war, dass ich an
beiden Tagen den Stand der FSFE mitbetreut habe. Meine Zeit war dabei
mit dem Verkauf von T-Shirts und GNU-Pins sowie dem Beantworten der
immer gleichen Fragen ("Wie kann man bei der FSFE Mitglied werden?")
ausgelastet.

Trotz meiner Kritik an Organisation und Zielsetzung der FSFE auf
discussion fsfeurope.org, wo ich mich in einem von Stefan Mz.
angestoßenen Thread wie er kritisch zur starken Betonung der
Business-Kompatibilität der GNU GPL geäußert hatte, habe ich mich zu
dieser Form der Mitarbeit der FSFE bereit erklärt. Allerdings ist die
schon auf der Mailingliste gemachte Beobachtung, dass der Aspekt, den
die FSFE gegenüber der FSF stark betont, nämlich die genannte
Business-Kompatibilität, für die offiziellen Mitglieder der FSFE, zu
denen ein Kern von neun Leuten gehört, tatsächlich wesentlich ist,
richtig. Ob es sinnvoll, ist, dass die FSFE _aktiv_ auf die
Business-Leute zugeht und sagt, dass Freie Software und kommerzielle
Verwendung sehr gut zusammen gehen weil beides Werte auf
unterschiedlichen Skalen sind (Freiheit <-> proprietär, bzw. kostenlos
<-> kommerziell), halte ich für fraglich. Mit Stefan Mz. bin ich hier
der Meinungs, dass sich die FSFE und allgein die Freie-Software-Bewegung
dadurch erst Typen wie Eric S. Raymond einfängt, die zu Recht wegen
ihrer Vernachlässigung der philosophischen Grundlagen kritisiert werden
und die nur an der Verwertung Freier Software interessiert sind. Etwas
mehr Abstand täte hier der FSFE gut.

Unter den auf dem Stand und der Messe anwesenden Freiwilligen, die wie
ich den Stand betreut haben, oder die sonst eine Beziehung zur FSFE
haben, war die Situation unterschiedlich. Einige hielten den Schwerpunkt
der FSFE auf dem Thema Business ebenfalls für kritikwürdig, während
andere hierin eine gute Sache sahen. Man müsse ja schließlich auch zu
seinen Brötchen kommen und auch in der Lage sein, auf Fragen der Art
"Wie kann ich von Freier Software leben?" eine Antwort zu geben.

Mein schönstes Erlebnis :-) an diesen zwei Tagen war ein Gespräch mit
einem anderen Freiwilligen sowie einem Besucher, der wohl gerade von
Stefan Mns. Vortrag zurückkam. Dabei wurde kritisiert, dass Stefan
behauptete, die Entwicklung Freier Software könne in Zukunft nur
geldfrei stattfinden. Das sei doch, so der Besucher, Blödsinn,
schließlich müsse man ja auch von irgendetwas leben. Naja, ihr ahnt
schon das argumentative Niveau dieser Diskussion. Der ebenfalls mit
diskutierende Freiwillige war auf Oekonux wohl gar nicht gut zu äußern,
was folgenden Grund hatte. Er ist engagiert im Bereich Bildung und Freie
Software und versucht u.a. an seiner Schule als Schüler den Einsatz
Freier Software voran zu bringen. Zu diesem Thema hatte er im Vorfeld
des Linuxtages auch einen Vortrag eingereicht, der aber abgelehnt worden
sei. Die Begründung der Organisatoren habe gelautet, er sei zu jung.
Diese Ablehnung ließ ihm keine Ruhe, so dass er sich gegenüber den
Organisatoren grob folgendermaßen äußerte: "Ich darf nicht sprechen,
aber die Kommunisten vom Oekonux-Projekt!" Dies trug er in unserem
Gespräch in einem Grad der Eregung vor, die darauf schließen lässt, dass
für ihn das Wort "Kommunist" ein Schimpfwort ist. Der Besucher
pflichtete ihm darin bei und hielt es mit ihm für gefährlich, dass es
Leute wie die im Oekonux-Projekt überhaupt gebe, diese würden durch ihre
Spinnereien den ganzen guten Eindruck, den Unbeteiligten von Freier
Software hätten, zerstören. Leider brach die Gesprächsrunde an dieser
Stelle auseinander, sonst hätte ich vermutlich meine sonst geübte
Zurückhaltung noch aufgegeben.

Zusammenfassend kann ich vielleicht sagen, dass das Bewustsein auch bei
den Leuten, die sich philosophisch mit Freier Software befassen, für
zumindest die Möglichkeit, sich über mehr als nur "Computer" und
"Brötchen" Gedanken zu machen, teilweise erschreckend gering ausgeprägt
ist.


Zur Messe
- ---------

Gegenüber dem letzten LinuxTag hatte ich den Eindruck (ich habe es
nicht nachgezählt/-gemessen) war, daß der kommerzielle Teil der Messe
dieses Jahr weniger groß ausgefallen ist.
[...]
(Do und Fr), aber irgendwie empfand ich es schon so, daß die
AnzugträgerInnen deutlich weniger geworden sind und der
Bewegungsanteil an der Messe sehr viel besser repräsentiert war.

Diese Beobachtung habe ich auch gemacht. Interessant ist auch, welche
Firmen in diesem Jahr nicht mehr vertreten waren (z.B. ID-Pro wg.
Insolvenz) oder nur noch einen kleinen Sub-Stand hatten (z.B.
Innominate, die im letzen Jahr neben SuSE und Frontsite einen der
größten Stände von allen hatten).

Ich frage mich auch, was die kommerzielle Aussteller von dieser
Veranstaltung eigentlich haben. Direkt gegenüber des FSFE-Standes war
der Stand von Pyramid-Solutions, einer Firma, die Racksysteme verkauft,
und deren Standpersonal hat sich in erster Linie gelangweilt. Die Stände
der freien Projekte waren jedenfalls nach meiner Beobachtung immer
wesenltich besser besucht als die der kommerziellen Aussteller.

Wie Unternehmenskultur von Freier Software profitiert
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Bernhard Reiter hat ist in einem Vortrag der obigen Frage
nachgegangen. Er ist Mitgründer einer auf Freie-Software-Beratung
spezialisierten Firma, bei der FSFE zuständig für Deutschland und auch
im Vorstand des FFII - viel engagiert also.

Bernhard war auch häufiger auf dem Stand der FSFE zu finden. Auf mich
hat er einen recht vernünftigen Eindruck gemacht.

Insgesamt war für mich das wichtigste am Linuxtag, Leute, die ich bisher
nur von Mailinglisten kenne, einmal persönlich kennen zu lernen.
Insbesondere die in der FSFE stark engagierten Menschen (Georg Greve,
Bernhard Reiter) kann ich nun doch um einiges besser einschätzen, als
dies nur durch das Lesen ihrer Postings möglich ist. Hoffentlich ist es
umgekehrt auch so :-)

Als "Vision" für die Zukunft könnte ich mir gut vorstellen, dass die
Organisatoren auf die kommerziellen Aussteller verzichten, an denen eh
niemand ein Interesse hat. Abgesehen von den Merchandising-Ständen, zu
denen ich auch den der FSFE zählen muss, hat wohl keiner von diesen auf
dem Linuxtag ein Geschäft gemacht. Um eine SuSE- oder
Redhat-Distribution oder einen dieser allgegenwärtigen Pinguine zu
erwerben muss man eigentlich nicht nach Stuttgar fahren, dazu reicht der
Gang in die nächste Buchhandlug.

Gruß
Lutz

- -- 
LutzH <me privacy.net>
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Comment: Weitere Infos: siehe http://www.gnupg.org

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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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