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Re(2): Knappheit und Notwendigkeit (war: Re: [ox] Re: Kooperation)



Ralf K. schreibt:
Und es wird auch nicht so laufen können, dass gesellschaftlicher
Austausch
sich nur auf in Selbstentfaltung geleistete Tätigkeiten und Produkte
beziehen
kann und die anderen Arbeiten, eben diejenigen, die andere Bedürfnisse
haben,
selbst erledigen müssen. 1. sind viele dazu nicht in der Lage, sondern
auf
Hilfe, Versorgung, Pflege, Erziehung usw. angewiesen, und 2. haben wir
es mit
einem hoch arbeitsteiligen gesellschaftlichen Produktionsprozess zu
tun, wo
sehr viele Produkte und Dienste sich wiederum auf andere Stufen und
Abteilungen des Produktionsprozesses beziehen und überhaupt keine
direkte
oder irgendwie unmittelbar kommunikativ vermittelbare Beziehung
zwischen den
ProduzentInnen und den EndkonsumentInnen  der verschiedenen Produkte
besteht,
die nach vielen weiteren Stufen daraus entstehen werden.

Ich hab schon was zu der Beziehung Laiensysteme - Experten geschrieben,
also dem Umstand, daß die Abwesenheit solcher kommunikativen Beziehungen
eigentlich der absurde Zustand ist, den das Internet graduell aufhebt.

Aber ich denk der Einwand von Ralf ist wirklich sehr ernst zu nehmen, wie
das so eben ist mit dem advocatus diaboli. Es muß ja nicht unbedingt Geld
rauskommen!

Um in der Terminologie zu bleiben: Die Keimform wird sicher
Evolutionsstufen durchlaufen müssen, um das zu leisten, was hier gefordert
ist.

Irgendjemand hat mal Geld ein Medium der Abstimmung und der indirekten
Kooperation genannt. Ich glaube da zielte auch Johannes' Einwand hin. Wenn
wir Geld (UND natürlich den mit ihm verbundenen Planstaat) nicht wollen,
welche Prozesse der Abstimmung können wir uns vorstellen, die eine
Verläßlichkeit des arbeitsteiligen Systems der gesellschaftlichen (und man
muß das heute dazu sagen) und natürlichen Reproduktion garantieren?

Wiederum die Frage: können wir aus Open Source solche Mechanismen
herausdestillieren? Interessant, daß es drauf ankommt, daß sich Ideen
schon irgendwo praktisch bewährt haben.

Wir können aber auch aus den Mängeln der Keimform lernen, sie
erbarmungslos kritisieren und sagen: was ist jetzt notwendig? 

Das ist ziemlich paradox. Mir gehts im Moment mit OpenTheory so. Auf der
einen Seite propagier ich das Werkzeug, fang an es zu benutzen, und jetzt
fallen mir die Schwachstellen "erbarmungslos" auf. Es ist sicher gut daß
wir in dieser frühen Phase evolutionäre Vielfalt haben, daß es andere
Ansätze gibt, unsere kollektive geistige Arbeit zu organisieren, aber ich
kann schon fast nicht mehr warten bis diese Ansätze zusammenwachsen.

Jetzt wo Opentheory so populär wird beginnen alle ihre eigenen Projekte
und ich seh eine Fülle von Einmann- (weniger >Einfrau<) unternehmen, wo
Leute mit sich selbst diskutieren. Es ist kaum mehr vernünftiger Überblick
zu gewinnen.

Auch ein Blick in Souceforge war für mich eher ein Schock: die
überwiegende Mehrzahl der Projekte ist nicht innovativ, irgendwelche x-ten
BBS Systeme, Hobbyisten, die gezielt an jedem denkbaren gesellschaftlichen
Bedarf vorbeiproduzieren.

Ich hab mir Anhand von OpenTheory überlegt: was könnte man tun? Wie kann
die Effizienz und das Feedback gesteigert werden? Bei Sourceforge gibts
quantitative rankings und vielleicht auch ratings. Ich denke mir, daß wir
qualitative Tools brauchen, um den Bezug der verschiedenen Arbeiten
aufeinander ins Bewußtsein zu bringen. Diese Tools dürfen nicht
beleidigend und entmutigend sein, sollten aber ein klares Feedback
gewährleisten. Ich meine es wäre für die Selbstentfaltung durchaus wichtig
die Frage zu stellen: wie paßt meine Arbeit mit der von anderen zusammen?
Wie kann ich etwas wirklich Sinnvolles tun? Wie wirkt sich meine Arbeit
auf andere aus?

Aber das sind eben auch sehr delikate Überlegungen, die leicht umkippen
können. Stefan Mz hat was ganz wichtiges gesagt, indem er drauf
hingewiesen hat, daß strukturelle Defizite sofort und automatisch
personalisiert werden. Und seinem Lösungsvorschlag kann ich einerseits was
abgewinnen, andererseits müssen wir das Paradox schon auflösen:
"Unmittelbar kooperative Verhältnisse haben eben nicht den Grad an
selbstreproduktiver Stabilität wie die gesellschaftliche Kooperation
gleich welcher Vergesellschaftungsform."
....sollen aber selber dennoch zu einer Vergesellschaftungsform führen:
"Wir brauchen verselbständigte, selbstreproduktive, interventionsfähige
_soziale_ Strukturen, die eben diese Sozialität sind. So verstehe ich den
Begriff der "unmittelbaren Vergesellschaftung". Das ist eine merkwürdige
Konstruktion: Eine unmittelbare Vermittlung. Aber es macht Sinn: Je ich
beteilge mich unmittelbar an der sozialen Vermittlung, dies aber nicht
total, sondern immer nur in dem Ausschnitt von Gesellschaft, der je mir
zugekehrt ist." Also Kommunikation oder Kartoffeln, es sind Sozietäten,
die sich um Funktionen in einem komplexen System kümmern. Das hat auch
P.M. mit seinen bolos gemeint, das war der Traum von der selbstverwalteten
Ökonomie, vom Dritten Weg etc.

Mir ist erst bei der Teilnahme am indianischen Medizinrad klargeworden,
daß und wie so etwas funktionieren könnte. Am Ausgangspunkt steht nicht
ein chaotisches Wirrwar von Monader, sondern ein ungefähres Bild davon,
was die Gesellschaft benötigt. Das Individuum durchläuft eine
Visionssuche, eine Phase der Isolation von beeinflussenden und
manipulativen Außenwirkungen, um in sich selbst hineinzuhorchen, wo es
seine Berufung fühlt. Mit dieser wählt es seinen Platz in einem Kreis von
Möglichkeiten. Es ist nun sehr wichtig zu sehen daß dieser Kreis selbst
sich so dirigiert, daß jedes Individuum zugleich als das Ganze spricht.
Indem es seinen Beitrag als Individuum artikuliert, artikuliert es
zugleich eine Stimme, eine organische Funktion des gesellschaftlichen
Lebens selbst. Zeremonielle Mechanismen wie der talking stick stellen
diese magische Transformation sicher, sie lenken die Aufmerksamkeit und
das Mitgefühl, aber auch die Unterstützung und die konstruktive Kraft der
Gemeinschaft auf das sich artikulierende "Teilsystem". Jedes Teilssystem
hat zugleich konstituierende und korrigierende Kraft im Ganzen, das als
ein System sich ausgleichender und ergänzender "Ungleichgewichte im
Gleichgewicht" konzipiert ist.

Ich bin mehr denn je überzeugt, daß dieses Modell auch in hochkomplexen
Gesellschaften funktionieren kann, ja daß es der natürliche Weg ist,
steigende Komplexität  zu bewältigen. Ich möchte mit Freunden heuer im
Sommer einen Workshop dazu machen zu dem wir indianische Lehrer eingeladen
haben, die sich speziell mit der Transformation von Organisationen weg vom
betriebswirtschaftlichen Autismus hin zu kooperativer Außenwahrnehmung
beschäftigen. "We see that when people face issues collectively in a way
of listening and understanding, the powerful force of combined creative
potential emerges." (http://www.ehama.org/east.html). 

Klingt da nicht von irgendwo ein Echo? "However, employees are getting
hyperlinked even as markets are. Companies need to listen carefully to
both. Mostly, they need to get out of the way so intranetworked employees
can converse directly with internetworked markets. Corporate firewalls
have kept smart employees in and smart markets out. It's going to cause
real pain to tear those walls down. But the result will be a new kind of
conversation. And it will be the most exciting conversation business has
ever engaged in." (The Cluetrain Manifesto,http://www.cluetrain.org/ )

Übrigens: wir treffen uns zur "listening and understanding" - Runde am
ersten Augustwochenende in den steirisch-kärntnerischen Bergen.
Teilnahmewünsche hochwillkommen.


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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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