Wissenschaft, Arbeit, Existenzgeld (was: [ox] Paper -- Version 0.001 alpha)
- From: Benni Baermann <benni cs.uni-frankfurt.de>
- Date: Mon, 8 Jan 2001 16:27:14 +0100
On Mon, Jan 08, 2001 at 12:40:00AM [PHONE NUMBER REMOVED], Thomas Uwe Gruettmueller wrote:
1.3. Niedergang der Wissenschaften
Was meinst Du denn damit?
zwei Dinge:
1.
Um neuere Geräte (z.B. CD-Player) verstehen zu können, benötigt man alte
Geräte (z.B. Grammophon) als Modell. Wenn es diese aber nicht mehr gibt,
hat man ein Problem, jene neuen zu verstehen. Die nächste Generation von
Geräten (z.B. MP3-Player) ist aber nicht einmal mehr dokumentiert. Dies
fördert eine Haltung, Technik nicht mehr verstehen und schöpferisch
einsetzen zu wollen, sondern sie nur noch zu konsumieren. Diese Haltung ist
technik- und wissenschaftsfeindlich. Das Volk wird entmündigt und überläßt
sein Schicksal einigen wenigen Wissenden.
Umgekehrt ist aber das allgemeine Bildungsniveau heute viel höher
und wissenschaftliche Kenntnisse auch durch die hier ja schon öfters
angesprochene verwissenschaftlichung der Produktion weit verbreitet.
Was es aber vielleicht gibt, ist eine Zunahme von Fachidiotentum und
Spezialisierung.
2.
Mich stört, wie in der Physik abstruseste Theorien als Wahrheit verkauft
werden. Da wenden sich auch die Massen mit Grausen ab. Daher wäre
vielleicht eine Umstrukturierung der Theoriebildung nach Bazaar-Schema
nicht verkehrt (mit Mailinglisten etc.). Dies soll aber nicht Thema des
Vortrags sein.
Naja, das ist aber wohl meist eher die mediale Vermittlung, als die
Theorien selbst. Gegen Spekulationen ist doch ansich nix
einzuwenden. Das Problem ist wohl, daß die Physik heute vielfach
ihre Theorien nicht mehr falsifizieren kann, weil die Experimente
nicht möglich sind. Aber darüber wissen andere hier auf der Liste
sicher mehr.
3. Exkurs: Formen von Arbeit, Beispiele und Wertung
Insbesondere muss man scharf zwischen einem anthropologischen und
einem rein oekonomischen Arbeitsbegriff trennen.
Der Begriff wird hier viel allgemeiner verwendet. Alles, was Veränderungen
hervorruft, ist "Arbeit". Das kommt dem physikalischen Arbeitsbegriff
(Umwandlung einer Energieform in eine andere) am nächsten.
Das ist der anthropologische Arbeitsbegriff. Der Mensch tauscht sich
durch Arbeit mit der Natur aus.
Bei der Bewertung wird allerdings zwischen automatisierbarer Arbeit (die
auch automatisiert werden sollte) und schöpferischer Arbeit unterschieden.
Unter letztere fällt auch künstlerische Betätigung.
Ich bin zwar auch ein Freund der Automatisierung, aber ergibt sich
da nicht ein Problem: Wird nicht so irgendwie von aussen
entschieden, was gute und was schlechte Arbeit ist? Und gibt es
nicht vielleicht auch schlechte Arbeit, die nicht automatisierbar
ist und gute, die es sehr wohl ist? Zumindestens im subjektiven
Empfinden der Arbeitenden und ist das nicht das einzige gültige
Kriterium?
6.3. Lösungsvorschlag: Bürgergeld/Negativsteuer
Vorsicht auch hier. Es gibt viele Konzepte von Buergergeld,
Negativsteuern oder Existenzgeld, die teilweise ganz
unterschiedliche Intentionen und Vorschlaege zur Ausgestaltung
haben
Daß die Intentionen verschieden sind, ist gut, denn dies vergrössert die
Menge der Fordernden.
Vorsicht, Falle! Es gibt Varianten des Buergergeldes, die fuer viele
Leute die Lage eher verschlechtern wuerden, als verbessssern.
Bei der Ausgestaltung kenne ich nur die Option, eine Arbeitspflicht mit dem
Bezug zu verknüpfen. Das wäre grundasätzlich kacke, aber es gibt dabei noch
Abstufungen, wie kacke es genau kommen kann. Die harmloseste Form wäre,
sich eine gemeinnützige Tätigkeit (z.B. Freie Software schreiben) selbst
auszudenken und darüber Rechenschaft ablegen zu müssen.
Das ist ueberhaupt nicht harmlos, weil es eine weitergehende
Institutionalisierung des Arbeitsfetischs waere. Wer bestimmt was
gemeinnuetzig ist und was nicht?
Nicht so schön
wäre, aus vorgegebenen Tätigkeiten auswählen zu müssen, und am dümmsten
wäre, eine Tätigkeit vorgeschrieben zu bekommen (wie heute bei ABM).
Punkte, die ich für wesentlich halte, sind, daß das Bürgergeld den heutigen
Sozialhilfesatz nicht unterschreiten sollte, und daß im Gegensatz zur
Sozialhilfe der Bezug nicht vom eventuell vorhandenes Vermögen, sondern
nur vom Einkommen abhängig sein darf.
Der allerwichtigste Punkt ist, dass es ohne Bedingungen ausgezahlt
werden muss, also auch an Arbeitende!
Das groesste Problem, dass ich mit allen Varianten, seien sie auch
noch so positiv, habe, dass zu ihrer Durchsetzung immer eine
staatliche Instanz benoetigt wird, die mit ihrem Gewaltmonopol diese
Umverteilung durchsetzt, ich aber inzwischen zum Schluss gekommen
bin, dass es keinen Sinn macht sich den Staat aneignen zu wollen, da
diese Institution an sich schon ein Hindernis ist. Naja, aber das
Problem haben weniger anarchistische Leute vielleicht nicht ;-)
Gruesse, Benni
--
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