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[ox] Replik auf Ralf Kraemer Teil 2



Die Mail vorher war Teil 1
CF

Vielleicht kann gesagt werden, dass aus unproduktiver Arbeit heute tendenziell produktive wird. Gesang, Schauspiel, Musik waren frueher unproduktive Taetigkeiten, durch Hinzukommen eines Traegermediums entstehen CD, LP, Video, Kassette etc. Und daher sind diese Arbeiten produktiv geworden. Gehe ich in ein Restaurant, so bezahle ich mit Revenue fuer eine unproduktive Arbeit. Durch Tiefkuehlung etc. wird das Resultat gastronomischer Taetigkeiten am Markt tauschfaehig. Die dahintersteckende Arbeit wurde produktiv. Andererseits wird aber durch die Produktivkraftentwicklung auch immer mehr lebendige durch tote Arbeit ersetzt, variables Kapital durch konstantes, die wertschaffende Arbeit wird dadurch quantitativ reduziert. Schon Marx hatte darauf hingewiesen, dass darum wiederum die unproduktive Arbeit ansteigt: »Endlich erlaubt die ausserordentlich erhoehte Produktivkraft in den Sphaeren der grossen Industrie, begleitet, wie sie ist, von intensiv und extensiv gesteigerter Ausbeutung der Arbeitskraft in allen uebrigen Produktionssphaeren, einen stets groessren Teil der Arbeiterklasse unproduktiv zu werden und so namentlich die alten Haussklaven unter dem Namen der ?dienenden Klasse?, wie Bediente, Maegde, Lakaien usw., stets massenhafter zu reproduzieren« (MEW 23, S. 469). Welche Tendenz nun staerker ist, waere zu untersuchen. Du erfasst den TFPR nur als langfristige Tendenz. Ok, das ist er einerseits, da es einen Widerspruch zwischen lebendiger und vergegenstaendlichter Arbeit gibt: Basis der Mehrwertproduktion ist die lebendige Arbeit. Durch die Produktivkraftentwicklung wird sie aber immer mehr durch vergegenstaendlichte Arbeit (Produktionsmittel) ersetzt. Der pro Arbeitstag erzielbare Zuwachs an Mehrwert steigt also dadurch in abnehmender Progression. Langfristig kann dadurch die Wachstumsrate der Mehrwertrate nicht groesser sein als jene der organischen Zusammensetzung. Die Zersetzung der Basis der Wertproduktion durch die Produktivkraftentwicklung der lebendigen Arbeit ist dabei von entscheidender Bedeutung. Vergegenstaendlichte Arbeit ersetzt lebendige und damit die Basis des Werts. Im Lauf der kapitalistischen Entwicklung steigt die tote Arbeit im Verhaeltnis zur lebendigen. Dies ist eine langfristige Tendenz, die sich gerade auch in der heutigen Phase des Kapitalismus aeussert. Marx brachte diesen Widerspruch in den Grundrissen auf den Punkt: »Das Kapital ist selbst der prozessierende Widerspruch dadurch, dass es die Arbeitszeit auf ein Minimum zu reduzieren strebt, waehrend es andrerseits die Arbeitszeit als einziges Mass und Quelle des Reichtums setzt« (Grundrisse, S. 601). Kurz und Co. sehen nun auf Grund dieses Widerspruchs den Zusammenbruch des Kapitalismus herannahen. Das Denke ich allerdings nicht. Klar ist aber, dass es zyklische Krisen gibt. Diese haben vielfaeltige Ursachen und eine davon ist sehr wohl der TFPR. Allerdings nicht die einzig moegliche, das waere ein zu mechanistisches Denken. Wesentlich ist, dass jede Krise des Kapitalismus die AEusserung einer Zusammenbruchs-TENDENZ ist. Nun gibt es aber entgegenwirkende Ursachen, die diese TENDENZ wiederum stoppen koennen. Im Postfordismus sind dies z.B. politische Massnahmen, die zum Neoliberalismus und einem neuen Schub der oekonomischen Globalisierung fuehren (nationaler Wettbewerbsstaat, Deregulierung etc.). Ich denke nicht, dass ein rein oekonomischer Zusammenbruch des Kapitalismus realistisch ist, sondern dass dazu auch ein politisch-revolutionaere Komponente notwendig ist. Quasi besteht eine Dialektik von oekonomischen Strukturen und gesellschaftlichem Handeln. Das heisst nicht eine moderne Form der »Verelendung« als Basis einer Revolution, sondern gesellschaftliche Krisensituationen (nicht nur oekonomisch, auch politisch, oekologisch, sozial etc.) als Bifurkationspunkte, in denen die weitere gesellschaftliche Entwicklung durch aktives Handeln entschieden wird und nicht determiniert ist. Diese Krisen sind aber wiederum nicht die einzigen Ausgangspunkte fuer Veraenderung. Emanzipatorisches Handeln kann auch relativ spontan einsetzen. Heute haben wir offensichtlich eine gesellschaftliche Krise (oekonomisch, politisch, sozial, oekologisch) und sind in so einem Bifurkationspunkt angelangt. Wenn wir davon ausgehen, dass die Durchschnittsprofitrate abhaengig von der organischen Zusammensetzung des Kapitals und von der Mehrwertrate ist, so gibt es mehrere Moeglichkeiten, die mittelfristig zu einem Fall der Profitrate fuehren koennen: *Die Produktivkraftentwicklung verlangsamt sich, da eine Saettigung der Nachfrage nach neuen Produktionsmitteln eintritt. Die Zuwaechse der Produktivitaet werden dadurch vermindert. Der Anstieg der Rate des Mehrwerts verlangsamt sich. *Der konstante Kapitalanteil und damit die organische Zusammensetzung des Kapitals steigt ueberproportional an (z.B. durch hohe Material- und Instandhaltungskosten). *die Nachfrage nach Konsumtionsmitteln erreicht eine Saettigung. Der realisierte Mehrwert sinkt dadurch. Dies wirkt negativ auf die Rate des Mehrwerts. *Die Entwicklung der Produktivkraefte fuehrt zur Freisetzung von Arbeitenden. Dieser Anstieg der Arbeitslosigkeit vernichtet Kaufkraft, aus KaeuferInnen werden NichtkaeuferInnen. Dies wirkt negativ auf den realisierten Mehrwert und damit auch auf die Mehrwertrate. *die politische Ebene wirkt zurueck auf die oekonomische und verursacht einen ueberproportionalen Anstieg der Investitionskosten (c und v). Dies kann z.B. durch Klassenkaempfe verursacht werden. Dadurch verlangsamt sich das Wachstum der Mehrwertrate und es beschleunigt sich jenes der organischen Zusammensetzung. *oder der Widerspruch von toter und lebendiger Arbeit (siehe oben) kommt durch einen Schub an Automation oder Rationalisierung zum Ausdruck

Wie gesagt: TFPR als eine moegliche Ursache einer oekonomischen Krise. Sicher nie die einzig moegliche, denn es gibt viele Widersprueche in der kapitalistischen Gesellschaftsformation. Problematisch ist immer eine reduktionistische Herangehensweise, da der Kapitalismus aeusserst komplex ist. Eine gesellschaftliche Krise kann genauso gut z.B. einen politischen Ausgangspunkt haben, der auch auf den oekonomischen Bereich rueckwirken kann. Zum Glueck erkennen heute immer mehr TheoretikerInnen die Bedeutung des Verhaeltnisses der gesellschaftlichen Subsysteme zueinander und versuchen, nichtreduktionistische und nichtoekonomistische Analysen und Kritiken des Kapitalismus zu schaffen. Der TFPR ist nicht die eine Erklaerung der zyklischen Krisen fuer mich, wie du zu meinen scheinst. Es gibt eben viele. Aber es ist auch nicht so, dass er keine Bedeutung fuer zyklische Krisen hat. Zusammenbruch ist kein Automatismus, sondern ein politisch zu erreichendes Ziel. Zumindest ausserhalb der Sozialdemokratie bei ein paar Leuten heute noch. Den TFPR fuer voellig unbedeutend zu erklaeren, heisst eigentlich, die marxistische Krisentheorie auf den Muellhaufen der Geschichte zu schmeissen und den Kapitalismus als den historischen Sieger, das Ende der Geschichte, zu betrachten. Da wird dann auch schnell argumentiert, dass es Ziel sei, den Kapitalismus durch den Staat zu »zivilisieren« oder zu humanisieren. Aber das schliesst sich eben aus. Humanismus gibt es im Kapitalismus nicht, sondern Basis von erstem waere die Aufhebung des zweiten (und eben wieder kein Automatismus). Eine Stabilisierung des Kapitalismus ist unmoeglich, da diese Gesellschaftsformation strukturell oekonomisch, politisch, oekologisch etc. krisenhaft ist. Das muesste jeder Reformismus heute nach Scheitern des Keynesianismus eigentlich begriffen haben. Auch ein Neokeynesianismus (sollte es ihn jemals geben) wird diese Krisenhaftigkeit nicht beseitigen. Den Kapitalismus nicht als gesellschaftliche Totalitaet in OEkonomie, Politik und Kultur zu begreifen und vor allem nicht zu kritisieren, bedeutet jedoch, mit dem Leben von Menschen zu spielen. Und das ist bei den Sozialdemokraten Europas und bei anderen heute eben der Fall. »Der Staat ist und bleibt entscheidende Mittel der Umsetzung linker Politik« (Kraemer, Strategische Differenz: Die Bedeutung des Staates fuer linke Politik, SPW 6/95) - da gibt es eben auch zulaessige und zu akzeptierende Auffassungsunterschiede. Der Staat ist und bleibt entscheidendes Mittel der Umsetzung des Interesses des Kapitals. Denn die Formbestimmung des kapitalistischen Staates besteht aus: * Organisation der Infrastruktur und der Rahmenbedingungen der Kapitalakkumulation sowie der kapitalistischen Produktion und Reproduktion (Forschung, Bildung, Wissenschaft, Garantie der Rechtsverhaeltnisse, Gesundheitswesen, Verkehr, Erhaltung der ArbeiterInnenklasse als Ausbeutungsobjekt des Kapitals, Garantie der Verfuegbarkeit von Lohnarbeit fuer das Kapital, Subventionspolitik, Finanz- und Kreditwesen, Steuerpolitik, Stadtsanierung, Umweltschutz, Raumordnung, Reproduktion der Arbeitenden usw.). * Repressive Absicherung des Kapitalverhaeltnisses durch Gesetzgebung, Justiz, Polizei und Militaer und das staatliche Gewaltmonopol: der Staat dient also der repressiven und gewaltsamen Niederhaltung des Proletariats, wenn es die Grundlagen seiner Ausbeutung angreift * Organisation von Gegentendenzen zum tendenziellen Fall der Profitraten und der krisenhaften ZusammenbruchsTENDENZEN des Kapitalismus * Herstellung der Einheit der Fraktionen des Kapitals: Klassen stellen keine homogenen Einheiten darstellen, sondern sind intern fraktioniert (siehe Poulantzas, Staatstheorie, 1978). Der Staat haelt die kapitalistische Gesellschaftsform zusammen, er ist ein Kohaesionsfaktor, der die Einheit der fraktionierten Bourgeoisie organisiert. Er organisiert den Block an der Macht. Als eine Aufgabe des Staates kann die Formulierung eines kapitalistischen Gesamtinteresses angesehen werden, das die zersplitterten und konkurrierenden Kapitalfraktionen eint. * Befriedung der ArbeiterInnenklasse: um nicht gewalttaetig die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Ordnung durchsetzen zu muessen, agiert der Staat ideologisch als massenintegrativer Apparat. Eine wesentliche Rolle dabei spielt die Regulation des Klassenverhaeltnisses durch Instrumente wie Sozialpartnerschaften, Zugestaendnisse an die ArbeiterInneklasse und die Gewerkschaften und der klassenneutrale Schein des Staates. Die ideologische Funktion des Staates besteht in dem Versuch, einen Konsens von Beherrschten und Herrschenden herzustellen.

»Um den Staat kaempfen!« (Kraemer). Nein: Gegen den Kapitalismus und den damit integral verkoppelten Staat kaempfen. Eine »Rueckeroberung des Staates fuer fortschrittliche Politik« kann es nicht geben, denn dieser Staat und dieser Kapitalismus waren auch im Keynesianismus nicht fortschrittlich. Denn Keynesianismus bedeutete nichts anderes, als verstaerkte Mithilfe des Staates bei der Erhaltung des Ausbeutungsmaterials und der Kapitalakkumulation durch Sozialstaat und Foerderung von Massenproduktion und Massenkonsum. Nur beschraenkt Ergebnis des Kampfs der Arbeiterklasse, vor allem aber eine ideologische Finte und ein Zugestaendnis des Kapitals. Keynesianismus als klassenneutraler Schein des Staats. Neokeynesianistischer Versuch der Stabilisierung des Kapitalismus, Absage an die Krisentheorie, Durchsetzung eines neuen Regulationsmodells (wie bei Hirsch, Lipietz, Altvater etc.) sind fuer mich nicht der richtige Weg. Aber das ist eben alles miteinander verschraenkt. Daher hier die Kritik am linken sozialdemokratischen Reformismus. Natuerlich hat der seine Legitimitaet innerhalb der Linken wie anderes aus. Aber meine Alternative ist die Fundamentalkritik. Ziel kann nur ein Leben ohne Tausch, Lohnarbeit, Kapital, Herrschaft, Staat, Konkurrenz, Ware, allgemeinem AEquivalent, etc. sein. Und das unmittelbar. Geschichte ist heute nicht am Ende, erst dann beginnt die Geschichte. Kritik stimuliert das eigene Denken. So auch hier. Kritik und Diskurs sind noetig, um Klarheit ueber die eigenen Positionen zu erlangen. Daher auf alle Faelle Danke fuer deine Kritik. Angebrachter finde ich es aber wie gesagt, nicht alles, was nicht der eigenen Meinung entspricht und trotzdem links ist, als »Unfug« abzutun, sondern die Existenz verschiedener linker Ansaetze zu respektieren. Ich respektiere die Existenz deines, auch wenn ich ihn nicht teile, kritisiere du meinen, aber mit Respekt. »Schief und theoretisch fehlerhaft« koennte etwas nur dann sein, wenn es eine wahre Theorie oder Interpretation gibt. Die gibt es aber nicht. Oder dann, wenn die theoretischen Annahmen des/r Autors/Autorin nicht konsistent sind. Aber um das beurteilen zu koennen, darf man halt nicht einen kleinen Teil aus einem umfassenden Ganzen herausreissen.
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