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Re: [ox] Hommage von Kurz an Euch



Hi Ulrich!

5 days ago Ulrich Leicht wrote:
noch
einmal in einen Aufsatz von Robert Kurz und Ernst Lohoff aus dem Jahre 1989 -
"Der Klassenkampffetisch, Thesen zur Entmythologisierung des Marxismus"
reingeschaut und dabei folgende Passage gefunden, die analysiert und
theoretisch untermauert, warum die Zukunft und der befreiende
gesellschaftliche Fortschritt letztlich in den Händen von Menschen wie Euch
liegt.

Ich habe da so meine Zweifel, daß er Leute wie uns gemeint hat. Ist ja
auch schon über 10 Jahre alt.

Und deshalb sollten wir auch eine gemeinsame, vernetzte Arbeit und auch
Konferenz hinbekommen, für die nach wie vor unser Angebot aus Dortmund (IG
Medien) steht.

Da dran werde ich am Wochenende auch mal weitermachen.

Meinen bescheidenen Möglichkeiten als Mitglied des
Fördervereins von Krisis und Teilnehmer an der krisis-list versuche ich
unablässig in diese Richtung Geltung zu verschaffen.

Ah, haben wir da jemanden sitzen. Fein :-) .

*******************************  Die Textpassage ****************************
...
Ein neues
revolutionäres Subjekt ist dort zu suchen, wo innerhalb der gesellschaftlichen
Gesamtarbeit schon unter kapitalistischen Bedingungen Elemente einer ideellen
und praktischen Negation der Arbeit selber auftauchen, d.h. des abstrakten
Verausgabungsprozesses menschlicher Arbeitskraft als einer vermeintlich
"natürlichen" und "sinnstiftenden" Angelegenheit.

Dem würde ich zustimmen. Allerdings habe ich das Gefühl, daß RK da
andere Leute im Blick hat als ich - auch wenn ich dir zustimmen würde,
daß er uns meinen müßte ;-) .

Diese Negation der
proletarischen Arbeit geschieht am ehesten nicht in den traditionellen
Industrien, sondern in den fortgeschrittensten Sektoren des
Verwissenschaftlichungsprozesses, wo Lohnabhängige sich heute schon durch die
Negation familiärer Reproduktion ("Familienverweigerung"), Teilzeitarbeit,
bewusstes Ausnützen der sozialstaatlichen Netze usw. von einer totalen
Subsumtion unter die abstrakte Arbeit zu entkoppeln und die Höhe des
Vergesellschaftungsprozesses der Reproduktion für sich selber zu mobilisieren
suchen,

Fortgeschrittenste Sektoren des Verwissenschaftlichungsprozesses okay,
aber was er da ansonsten schreibt, paßt dazu m.E. überhaupt nicht
sondern beschreibt die Autonomenideologie des Jobbens /
Sozialhilfelebens. RK selbst:

vom Arbeitslosengeldbezieher zum
Jobber, vom Kleinunternehmer zum Bafög-Empfänger

Genau: Menschen, die sich für die fortgeschrittensten Sektoren des
Verwissenschaftlichungsprozesses sind heute kaum in diesem Wechsel zu
finden: WelcheR moderne InformatikerIn hat denn das Glück, längere
Zeit als ArbeitslosengeldbezieherIn leben zu dürfen? Wenn ich heute
meinen Job kündigen würde, hätte ich morgen einen neuen - auch ohne es
zu wollen.

Die zentrale Voraussetzung
für die Genesis eines transzendierenden Bewusstseins ist die Entstehung einer
inneren Distanz zu allen Emanationen der Wertbeziehung in Menschengestalt, also
auch zur eigenen Sozialfunktion. Diese radikal neue Grundhaltung ist keine
fiktive Zukunftsmusik, sie zeichnet sich längst massenhaft empirisch ab. Von
den marxistischen Nostalgikern unbemerkt hat sich eine breite soziale Schicht
herauskristallisiert, für deren Angehörige die Nichtidentifikation mit der
eigenen Sozialkategorie längst zum essentiellen Bestandteil ihres eigenen
Selbstverständnisses und zur alltäglichen Lebenspraxis geworden ist.

Was er da analysiert würde ich auch so sehen - allerdings zumindest
empirisch gerade *nicht* als Voraussetzung eines transzendierenden
Bewußtseins sondern als Abfinden mit der Prekarisierung, die in diesem
Fall ein weiteres Einschmelzen jeglichen Standesdenkens mit sich
bringt.

Vielleicht so: So wie der klassischen ArbeiterIn der Inhalt ihrer
Arbeit egal geworden ist, so ist der modernen Geldmonade auch noch
egal, wie sie ihr Geld konkret ranschafft. In anderen Teilen der Welt
geht das ja übrigens durchaus noch weiter: In die kleine und große
Kriminalität.

Revolutionäre Subjektivität wird sich also gerade dort herausbilden, wo die
Charaktermasken nicht mehr als zweite Haut organisch mit ihren Trägern
verwachsen, und die eigene Sozialkategorie den Individuen selber ein
äußerliches und eher befremdliches Merkmal wird.

Wäre richtig, wenn es ihnen denn ein "äußerliches und eher
befremdliches Merkmal" würde. Das sehe ich aber nicht.

Bei uns und in der Freien Software dagegen sehe ich schon eher die
positive Variante dieser Entwicklungen. Leute, die Freie Software
entwickeln, müssen sich wohl eher selten Gedanken um den Gelderwerb
machen. Sie können einen gewissen Lebensstandard wohl ohne allzu große
Mühe halten.

Und die auch gedanklichen Entwicklungen in der Freien Software, die
Selbstenfaltung in der Freien Software bewirkt, was RK beschreibt: Daß
der Gelderwerb den EntwicklerInnen zunehmend als "äußerliches und eher
befremdliches Merkmal" erscheint - weil sie durch die Freie Software
den Vorschein von etwas Neuem sehen/ahnen können.


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan


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http://www.oekonux.de/



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