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[ox] Eben Moglen * Der Anarchismus triumphiert



Hi!

Ich bin auf

	http://moglen.law.columbia.edu/my_pubs/anarchism-deutsch.html

aufmerksam gemacht worden. Dreht sich stark um Intellectual-Property
(IP) aber auch um unsere Themenstellungen. Die m.E. interessantesten
Passagen zitiere ich hier mal. Der stellenweise etwas holprige Stil
ist wohl der Übersetzung geschuldet.


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan

--- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< --- 8< ---

[...]

Aber dies ist nicht das Anliegen dieses Artikels. Worum es geht ist,
daß unsere Welt zunehmend aus nichts anderem als großen Zahlen (auch
als Datenströme bezeichnet) besteht und daß unser Rechtssystem derzeit
aus Gründen, die nichts mit dem sich entwickelnden Eigentum an den
Nummern selbst zu tun haben, einander ähnliche große Zahlen vollkommen
unterschiedlich behandelt. Niemand kann nach einem bloßen Blick auf
eine Zahl, die etwa 100 Millionen Ziffern lang ist, sagen, ob diese
Nummer patentiert, urheberrechtlich oder als Handelsgeheimnis
geschützt ist, oder überhaupt irgendjemandem "gehört". Das
Rechtssystem behandelt also - Gott sei es gedankt, wenn wir
Urheberrechtsprofessoren, Abgeordnete, Gucchi-Träger oder Der Große
Rupert höchstselbst sind - nicht unterscheidbare Dinge auf
unterschiedliche Art und Weise.

In meiner Rolle als Rechtshistoriker, der mit der säkularen (d.h. sehr
langfristigen) Entwicklung rechtlichen Denkens befaßt ist, behaupte
ich, daß rechtliche Regime, die auf scharfen, aber unvorhersehbaren
Unterscheidungen wesentlich gleicher Objekte aufbauen, extrem instabil
sind. Sie fallen mit der Zeit auseinander, weil jeder Anwendungsfall
eine Einladung an mindestens eine Partei darstellt, die Zuordnung des
streitigen Objekts nicht in Kategorie A, sondern in die den Interessen
des Beschwerdeführers stärker entgegenkommende Kategorie B zu
verlangen. Diese Spiele - ob eine Schreibmaschine zum Zweck günstiger
Frachttarife als Musikinstrument gilt oder ein Dampf-Bagger als
Motorfahrzeug - sind der Stoff juristischer Geschicklichkeit. Aber
wenn mit einem Mal konventionell angewandte rechtliche Kategorien vom
Richter verlangen, zwischen dem Identischen zu unterscheiden, wird das
Spiel unendlich langwierig, unendlich teuer und für den
unvoreingenommenen Betrachter nahezu unendlich abstoßend [8].

Daher können die Parteien soviel Geld ausgeben wie sie wollen, für so
viele Abgeordnete und Richter wie sie sich leisten können - und das
sind eine ganze Menge für die neuen "Eigentümer" der digitalen Welt -
aber die Regeln, die sie kaufen, werden am Ende nicht funktionieren.
Früher oder später werden ihre Paradigmen zusammenbrechen. Natürlich,
wenn "später" heißt: zwei Generationen von heute an, wird die bis
dahin erfolgte Verteilung von Reichtum und Macht durch kaum eine
mildere Maßnahme rückgängig zu machen sein, als durch einen bellum
servile zwischen Couch-Potatoes und Medienmagnaten. Es ist also nicht
genug zu wissen, daß die Geschichte nicht auf Bill Gates Seite ist.
Wir sagen die Zukunft in sehr beschränktem Umfang voraus: Wir wissen,
daß die existierenden Regeln, die heute noch die ganze Stärke
konventioneller Überzeugung hinter sich wissen können, nicht länger
Bedeutung haben. Betroffene werden sie nach Belieben gebrauchen und
mißbrauchen bis die "respektierte" konservative Meinungsmehrheit ihr
Ende anerkennt - mit ungewissem Ergebnis. Aber die realistisch
denkende Lehre sollte ihre Aufmerksamkeit bereits dem dringenden
Bedürfnis nach neuen Denkmustern zuwenden.

[...]

Bevor wir eine kurze Pause in der realen Welt eingelegt haben, wurde
wie folgt argumentiert: Software - egal ob ausführbare Programme,
Musik, visuelle Kunst, Liturgie, Waffen oder was auch immer - besteht
aus Datenströmen, die - obwohl im wesentlichen nicht unterscheidbar -
einer verwirrenden Vielzahl rechtlicher Kategorien unterworfen werden.
Diese Vielzahl wird mit der Zeit instabil, was mit Gründen der
Rechtsentwicklung als solcher zu tun hat. Die instabile
Verschiedenheit der Regeln wird durch den Bedarf nach der
Unterscheidung von Eigentumsinteressen an diesen Datenströmen
verursacht. Diesen Bedarf haben vor allem die, die von den sozial
akzeptierten Monopolen profitieren, welche sich dadurch gebildet
haben, daß Ideen als Eigentum angesehen werden. Wer sich bei uns um
die soziale Ungleichheit und kulturelle Hegemonie Sorgen macht, die
von diesem intellektuell unbefriedigenden und moralisch verwerflichen
Regime hervorgerufen werden, sieht sich gnadenlos ausgepfiffen. Die,
die pfeifen, die Zwerge und Druiden, glauben, daß diese Regeln des
geistigen Eigentums nötig sind - aber nicht, weil jemand in
Murdochland um Hilfe ruft - obwohl man jede Unterstützung gern
entgegennimmt -, sondern weil die Metapher der "Anreize", die sie für
ein wirkliches Argument halten, diese Regeln zur Produktion guter
Software einfach erforderte, egal welche bedauernswerten Konsequenzen
dies auch nach sich ziehe. Der einzige Weg, an diesem Glauben
festzuhalten ist, die Fakten zu ignorieren. Inmitten der digitalen
Revolution mit all ihren ausführbaren Datenströmen, die alles möglich
machen, verbessern proprietäre Regime nicht nur nichts, sie können
eine ganze Menge verschlimmern. Was immer auch sonst an
Eigentumsregimen faul ist, in diesem Zusammenhang haben sie den
Fortschritt nicht gefördert, sondern behindert.

[...]

Die falsche Antwort ist eingebettet in verschiedene Bezugnahmen auf
die "Hackerkultur des Gebens und Nehmens". Diese Benutzung
ethnografischen Jargons hat vor einigen Jahren Einzug in die
Auseinandersetzung gehalten und setzte sich schnell, wenngleich
irreführend, durch. Sie zeigt nur, daß die Wirtschaftsfetischisten
unseren Denkprozess so sehr korrumpiert haben, daß wir bereit sind,
jede Form nicht marktgemäßten Verhaltens mit jeder anderen
gleichzusetzen. Dabei ist Geben und Nehmen, wie der marktmäßige
Tauschprozess, eine Institution der proprietären Welt. Reziprozität
spielt eine zentrale Rolle bei diesen symbolischen Aufführungen
natürlicher Abhängigkeit, und wenn der Fisch zu wenig wiegt, gibt es
Ärger. Freie Software steht, wie schon wiederholt gesagt wurde, jedem
zur Verfügung. Hier spielt sich kein Ritual der Reziprozität ab.
Einige Menschen geben Programmtext frei, den andere verkaufen,
benutzen, verändern oder im Ganzen ausleihen, um Stücke daraus für
andere Zwecke zu verwenden. Ohne die sehr große Zahl von Leuten
(mehrere zehntausend höchstens) geringzuschätzen, die zu GNU/Linux
beigetragen haben, ist diese doch um einige Potenzen geringer als die
derjenigen Nutzer, die keinerlei Beitrag geleistet haben [27].

[...]

Oscar Wilde sagte irgendwo, daß das Problem des Sozialismus ist, daß
er zuviele Abende in Anspruch nimmt. Die Probleme mit dem Anarchismus
als sozialem System liegen ebenfalls in den Transaktionskosten. Aber
die digitale Revolution verändert zwei Aspekte politischer Ökonomie,
die bis dahin über die gesamte menschliche Geschichte unverändert
geblieben sind. Jede Software hat in der Welt des Netzes keinerlei
Grenzkosten, während die Kosten sozialer Koordination sich soweit
reduziert haben, daß die rasche Formierung und Auflösung großer und
hochdiversifizierter sozialer Gruppierungen ohne geographische
Einschränkung möglich ist [32]. Solche umwälzenden Veränderungen in
den materiellen Lebenumständen haben notwendig auch ebensolche
Veränderungen in der Kultur zur Folge. Zweifel ? Fragen Sie die
Hirokesen ! Und natürlich bedrohen solche kulturellen Veränderungen
die existierenden Machtbeziehungen. Zweifel ? Fragen Sie die
Chinesische Kommunistische Partei. Oder warten Sie noch 25 Jahre und
schauen Sie, ob Sie sie noch finden können, um die Untersuchung
durchzuführen.

[...]


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http://www.oekonux.de/



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