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[ox] GNU/Linux ist nichts wert - und das ist gut so!



Hi!

Hier nochmal Stefan Meretz' Text. Er war wohl noch nicht auf der
Liste. Auf der Web-Site ist er jetzt auch direkt eingebunden.


						Mit li(e)bertären Grüßen

						Stefan

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Stefan Meretz (April 2000)

»GNU/Linux ist nichts wert - und das ist gut so!«

[Image] Zusammenfassung    [Image] Download

Version 1.02, Letzte Änderung: 02.05.2000

Vortrag am 14.05.2000 bei den Braunschweiger Linux-Tagen und am 30.07.2000
beim Linuxtag 2000 in Stuttgart.

Ein Offline-Text basierend auf der Version 1.01 erscheint auf den CDs der
o.g. Veranstaltungen

Originalquelle: http://www.kritische-informatik.de/lxwertl.htm

Ein open-theory-Projekt: http://www.opentheory.org/proj/linux-wertlos

Teil des Oekonux-Projektes.

Lizenz: GNU Free Documentation License Version 1.1,
http://www.gnu.org/copyleft/fdl.html

Inhalt:

1. Eine kurze Geschichte Freier Software

1.1. Der erste Geniestreich
1.2. Der zweite Geniestreich
1.3. Zusammenfassung zwischendurch

2. Kapitalismus und Freie Software

2.1. Der Produktionskreislauf
2.2. Der Konsumkreislauf
2.3. Knappheit und Wert
2.4. Freie Software befreit
2.5. Aber was ist mit den Geldmachern?

3. OSI und GNU - zwei verkrachte Geschwister

3.1. Der Wirtschaftsliberalismus von ESR
3.2. Der Bürgerrechtsliberalismus von RMS

4. Freie Software für freie Menschen

5. Meta-Text

5.1. Versionen-Geschichte
5.2. Literatur
5.3. Anmerkungen
  ------------------------------------------------------------------------

»GNU/Linux ist nichts wert - und das ist gut so!«

Man versteht wie etwas ist, wenn man versteht wie es geworden ist. Daher
beginne ich mit einem kurzen Rückblick in die (Vor-) Geschichte Freier
Software. Im zweiten Kapitel befasse ich mich mit der Frage, wie Freie
Software ökonomisch in unser Wirtschaftssystem, den Kapitalismus,
einzuordnen ist. Hieraus gewinne ich Kriterien für die Beleuchtung der
scheinbar konträren Positionen von E. S. Raymond und R. M. Stallman, die
stellvertretend für prominente Strömungen Freier Software stehen. Ich
schließe ab mit einer Betrachtung der individuellen Handlungsmöglichkeiten
und der Rolle, die Freie Software dabei spielen kann.

1. Eine kurze Geschichte Freier Software

Es gibt freie Software, weil es unfreie Software gibt. Unfreie Software ist
»proprietäre Software«, also Software, die einem Eigentümer gehört. Das wäre
nicht weiter schlimm, würde die Tatsache des Privateigentums an Software
nicht zum Ausschluß anderer führen. Der Eigentümer schließt andere von der
Nutzung der Software aus, um ein knappes Gut zu erzeugen. Das geht bei
Software relativ einfach durch Zurückhalten des Quellcodes des Programms.
Nur knappe Güter besitzen Tauschwert und lassen sich zu Geld machen. Das ist
das Funktionsprinzip des Kapitalismus [1]. Ich komme darauf zurück.

Unfreie wie freie Software gibt es noch nicht lange, gerade einmal ca. 20
Jahre. Die Entstehung unfreier wie freier Software versteht man, wenn man in
Vorgeschichte schaut. Im Kalten Krieg, wir befinden uns in den 50er Jahren,
wurde zwischen den USA und der Sowjetunion verbissen um die ökonomische
Vorherrschaft gerungen. Vorherrschaft hatte damals eine militärische und
eine symbolische Komponente, beide waren oft miteinander verwoben. So war es
ein ungeheuerlicher Vorgang, als es der Sowjetunion 1957 gelang, den Sputnik
in die Erdumlaufbahn zu schießen. Davon erholten sich die USA mental erst
1969, als sie es waren, die den ersten Menschen zum Mond brachten.

Der Sputnik wurde als technologische Niederlage erlebt. Sofort begannen
hektische Aktivitäten, um den vermeintlichen Rückstand aufzuholen. 1958
wurde die ARPA (Advanced Research Projects Agency) gegründet, die die
Aufgabe hatte, die Forschungsaktivitäten zu koordinieren und zu finanzieren.
In einem Klima der Offenheit und Innovationsfreude wurden in der Folgezeit
zahlreiche seinerzeit revolutionäre Produkte geschaffen, von denen ich zwei
herausheben möchte, weil sie für die Freie Software eine besondere Bedeutung
bekommen sollten: das Internet und das Betriebssystem UNIX (beide 1969). In
diese Phase der staatlich finanzierten und koordinierten Forschung fällt
auch die Festschreibung zahlreicher Standards, die heute noch Bestand haben
[2].

Zum staatlichen Interesse an starken Standards kam das geringe Interesse der
Computerindustrie an der Software. Computerindustrie war Hardwareindustrie,
Software war Beiwerk zum Hardwareabsatz. Das änderte sich erst Ende der
Siebziger Jahre als Computer immer leistungsfähiger wurden und Software auch
eigenständig vermarktbar zu werden begann. In dem Maße, in dem Software zur
profitablen Ware wurde, zog sich der Staat aus den Innovationen zurück. Um
die je eigene Software verwerten zu können, mußte der Quelltext dem
Konkurrenten und damit auch dem User verborgen bleiben. Software war nur als
proprietäre Software profitabel. Mit offenen Quellen hätte sich zum Beispiel
Microsoft nie als monopolartiger Moloch etablieren können. Staatsrückzug und
Privatisierung von Software bedeuteten jedoch auch eine Aufweichung von
Standards. So entstanden in der Folge sehr viele zu einander wenig oder gar
inkompatible Unix-Versionen (AT&T, BSD, Sun, HP, DEC, IBM, Siemens etc.).

Die Konsequenzen für den universitären Forschungsrahmen waren verheerend. Wo
früher freier Austausch von Ideen herrschte, wurden jetzt Forschende und
Lehrende gezwungen, Kooperationen zu beschränken oder ganz zu unterlassen.
Software als Ergebnis von Forschungsaktivitäten durfte nicht mehr
dokumentiert werden, sobald es über proprietäre Software an Firmen oder
Patente gekoppelt bzw. selbst für die Patentierung vorgesehen war. Richard
Stallman beschreibt diese Situation so:

     »1983 gab es auf einmal keine Möglichkeit mehr, ohne proprietäre
     Software einen sich auf dem aktuellen Stand der Technik
     befindenden Computer zu bekommen, ihn zum Laufen zu bringen und zu
     nutzen. Es gab zwar unterschiedliche Betriebssysteme, aber sie
     waren alle proprietär, was bedeutet, daß man eine Lizenz
     unterschreiben muß, keine Kopien mit anderen Nutzern austauschen
     darf und nicht erfahren kann, wie das System arbeitet. Das ist
     eine Gräben öffnende, schreckliche Situation, in der Individuen
     hilflos von einem ?Meister? abhängen, der alles kontrolliert, was
     mit der Software gemacht wird.« (Stallman 1999).

1.1. Der erste Geniestreich

Als Reaktion darauf gründete Stallman das GNU-Projekt [3]. Ziel des
GNU-Projekts und der 1985 gegründeten Free Software Foundation (FSF) war die
Entwicklung eines freien Betriebssystems. Hunderte Komponenten für ein
freies Betriebssystem wurden entwickelt. Doch die wirklich geniale Leistung
des GNU-Projekts bestand in der Schaffung einer besonderen Lizenz, der GNU
General Public License (GPL) - auch »Copyleft« genannt. Die Lizenz
beinhaltet auf folgende vier Prinzipien:

   * das Recht zur freien Benutzung des Programms,
   * das Recht, Kopien des Programms zu erstellen und zu verbreiten,
   * das Recht, das Programm zu modifizieren,
   * das Recht, modifizierte Versionen zu verteilen.

Diese Rechte werden gewährleistet, in dem die GNU GPL vorschreibt, daß

   * der Quelltext frei jederzeit verfügbar sein und bleiben muß,
   * die Lizenz eines GPL-Programms nicht geändert werden darf,
   * ein GPL-Programm nicht Teil nicht-freier Software werden darf [4].

Die besondere Stärke der GNU GPL besteht in dem Verbot, GPL-Programme in
proprietäre Software zu überführen. Auf diese Weise kann sich niemand offene
Quelltexte aneignen und modifiziert in binärer Form in eigenen Produkte
verwenden. Damit kann Freie Software nicht reprivatisiert werden, die
Freiheit bleibt gewährleistet. Die besondere Stärke der GPL, die
Reprivatisierung zu unterdrücken, ist in der Augen der Privatisierer ihr
größter Nachteil. In der Folge entstanden daher zahlreiche Lizenzen (vgl.
Tab. 1), die die strikten Regelungen der GPL aufweichten, um auch Freie
Software kommerzialisierbar zu machen. Ich komme darauf zurück.

    Lizenz-Eigen-Null-Preis   Freie     Unbe-  Quellcode Quellcode Alle Ab- Keine Ver-
         schaften           Verteilunggrenzter    vor-    modifi- leitungen  mischung
                                      Gebrauch   handen   zierbar   müssen   mit pro-
 Soft-                                                            frei sein prietärer
 Ware-Art                                                                    Software
 Kommerziell
 (»Microsoft«)
 Probe-Software,
 Shareware           (X)        X
 Freeware
 (»Pegasus-Mail«)     X         X         X
 Lizenzfreie
 Libraries            X         X         X        X
 Freie Software
 (BSD, NPL, ...)      X         X         X        X         X
 Freie Software
 (LGPL)               X         X         X        X         X        X
 Freie Software
 (GPL)                X         X         X        X         X        X         X

Tab. 1: Vergleich der Lizenzarten

1.2. Der zweite Geniestreich

Das GNU-Projekt entwickelte ein nahezu komplettes Betriebssystem - bis auf
einen kleinen, aber nicht unwichtigen Rest: den Kernel. Obwohl seit Beginn
des GNU-Projekts geplant, gelang es nicht, einen GNU-Kernel zu entwickeln.
Die mißliche Situation änderte sich 1991 schlagartig als Linus Torvalds die
Version 0.01 eines freien Unix-Kernels vorstellte - fortan »Linux« genannt.
Die Entwicklungsdynamik war rasant, der Erfolg war überwältigend - so
überwältigend, daß heute oft vergessen und sprachlich verdrängt wird,
welchen Anteil das GNU-Projekt am Zustandekommen des freien Betriebssystems
hatte und hat.

Warum gelang aber einem finnischen Student, was einem ausgewachsenen Projekt
wie GNU nicht glückte? Die Antwort ist nicht so naheliegend und einfach: Es
lag am unterschiedlichen Entwicklungsmodell. Stallman und die GNU-Leute
hatten die klassische Vorstellung, daß ein komplexes Programm wie ein Kernel
nur von einem kleinen eingeschworenen Team entwickelt werden könne, da sonst
der Überblick und die Kontrolle verloren gehen würde. Das hat Torvalds
intuitiv auf den Kopf gestellt. Ein Ausschnitt aus der inzwischen in die
Geschichte eingegangenen Tanenbaum-Torvalds-Debatte [5] verdeutlicht das.
Tanenbaum schreibt:

     »Ich denke, daß die Koordination von 1000 Primadonnas, die überall
     auf der ganzen Erde leben, genauso einfach ist wie Katzen zu hüten
     ...
     Wenn Linus die Kontrolle über die offizielle Version behalten will
     und eine Gruppe fleißiger Biber in verschiedene Richtungen strebt,
     tritt das gleiche Problem auf.
     Wer sagt, daß eine Menge weit verstreuter Leute an einem
     komplizierten Stück Programmcode hacken können und dabei die
     totale Anarchie vermeiden, hat noch nie ein Softwareprojekt
     gemanagt.«

Torvalds antwortet:

     »Nur damit niemand seine Vermutung für die volle Wahrheit nimmt,
     hier meine Stellungnahme zu 'Kontrolle behalten' in 2 Worten
     (drei?):
     Habe ich nicht vor. [I won't]«

Torvalds veröffentlichte frühzeitig und in kurzen Zeitabständen neue
Versionen. Es bildeten sich mehr und mehr freie Softwareprojekte, die
ähnlich strukturiert waren und sind. Ältere Projekte strukturierten sich
nach dem Vorbild von Linux um. Maintainer, einzelne Personen oder Gruppen,
übernehmen die Verantwortung für die Koordination eines Projektes.
Projektmitglieder steigen ein und wieder aus, entwickeln und debuggen Code
und diskutieren die Entwicklungsrichtung. Es gibt keine Vorgaben wie etwas
zu laufen hat, und folglich gibt es auch verschiedene Regeln und
Vorgehensweisen in den freien Softwareprojekten. Dennoch finden alle
selbstorganisiert ihre Form, die Form, die ihren selbst gesetzten Zielen
angemessen ist. Das einfache Prinzip, das reguliert ist: Was funktioniert,
das funktioniert! Ausgangspunkt sind die eigenen Bedürfnisse, Wünsche und
Vorstellungen - das ist bedeutsam, wenn man freie und kommerzielle
Softwareprojekte vergleicht.

1.3. Zusammenfassung zwischendurch

Überraschender weise besteht die historische Leistung von Richard Stallman
und Linus Torvalds nicht in Softwarebausteinen, die sie entwickelt haben.
Das haben sie auch getan, doch die eigentliche historisch-geniale Tat haben
beide sozusagen »nebenbei« vollbracht. Stallman schuf die GNU GPL, die
Lizenz, ohne die Freie Software undenkbar wäre. Es ist die Lizenz von
Torvalds' Linux [6] und es ist die Lizenz, die dem Kapitalismus schwer im
Magen liegt wie wir gleich sehen werden.

Torvalds hat intuitiv mit der alten hierarchischen Entwicklungsweise
kommerzieller Software gebrochen. Ihm war die alte, geldgetriebene Haltung
des »ich muß die Kontrolle behalten« einfach zu blöd. Als pragmatischer
Chaot hat er die Energien freigesetzt, von denen Freie Software lebt: die
Selbstentfaltung des Einzelnen und die Selbstorganisation der Projekte.

2. Kapitalismus und Freie Software

Es gibt eine bekannte Comic-Vorstellung vom Kapitalismus. Oben gibt es die
mit den schwarzen Zylindern, die über das Kapital und die Mittel zur
Produktion verfügen. Unten gibt es die mit den blauen Overalls, die unter
der Knute der Schwarzzylindrigen schwitzen, weil sie keine Produktionsmittel
haben und deswegen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Je nach persönlicher
Vorliebe beklagt man, daß es ungerecht sei, daß die oben die unten
ausbeuten, oder daß die Ausbeutung eben in der Natur des Unternehmertums
liege.

Dieses Comic taugt nichts, schon gar nicht, wenn man »Freie Software«
verstehen will. Ein anderes Bild muß her. Aus meiner Sicht kann man den
Kapitalismus als kybernetische Maschine verstehen, also einer Maschine, die
»sich selbst« steuert. Das schließt ein, daß es keine Subjekte gibt, die
»draußen« an den berühmten Hebeln der Macht sitzen, sondern daß die Maschine
sich subjektlos selbst reguliert. Zentraler Regulator ist der (Tausch-)Wert
[7], und zwar in zweifacher Weise: für die Seite der Produktion und die des
Konsums.

2.1. Der Produktionskreislauf

In der Produktion wird Arbeit verrichtet. Sie heißt konkret insofern das
Ergebnis ein Produkt ist, das auf ein Konsumbedürfnis trifft. Sie heißt
abstrakt, weil es unerheblich ist, was produziert wird, Hauptsache es wird
Wert geschaffen. Der Wert ist die Menge an Arbeitszeit, die in ein Produkt
gesteckt wird. Werden auf dem Markt Produkte getauscht, dann werden diese
Werte, also Arbeitszeiten miteinander verglichen. Zwischen den direkten
Produktentausch tritt in aller Regel das Geld, das keinen anderen Sinn
besitzt, außer Wert darzustellen.

Was ist, wenn beim Tausch im einen Produkt weniger Arbeitszeit als im
anderen steckt? Dann geht der Hersteller des »höherwertigen« Produkts auf
Dauer Pleite, denn er erhält für sein Produkt nicht den »vollen Wert«,
sondern weniger. Wer fünf Stunden gegen drei Stunden tauscht, verschenkt
zwei. Das geht auf Dauer nicht gut, denn die Konstrukteure der Produkte, die
Arbeiter und Angestellten, wollen für die volle Arbeitszeit bezahlt werden.
Also muß der Tauschorganisator, der Kapitalist, zusehen, daß die für die
Herstellung des Produkts notwendige Arbeitszeit sinkt. Das wird in aller
Regel auf dem Wege der Rationalisierung vollzogen, dem Ersatz von lebendiger
durch tote Arbeit (=Maschinen).

Was der eine kann, kann der Konkurrent auch. Wichtig und entscheidend ist
dabei: Es hängt nicht vom Wollen der Konkurrenten ab, ob sie Produktwerte
permanent senken, sondern es ist das Wertgesetz der kybernetischen Maschine,
das sie exekutieren. Das Wertgesetz der Produktion besteht im Kern darin,
aus Geld mehr Geld zu machen. Die Personen sind so unwichtig wie die
Produkte, das Wertgesetz gibt den Takt an. Oder wie es der oberste Exekutor
des Wertgesetzes, Hans-Olaf Henkel (BDI-Präsident), formuliert:

     »Herrscher über die neue Welt ist nicht ein Mensch, sondern der
     Markt. (...) Wer seine Gesetze nicht befolgt, wird vernichtet.«
     (Süddeutsche Zeitung, 30.05.1996)

2.2. Der Konsumkreislauf

Das Markt- oder Wertgesetz bestimmt auch die, nur ihre Arbeitskraft
verkaufen können, um an das notwendige Geld zu kommen. Ohne Moos nix los.
Auch die Arbeitskraft besitzt Wert, nämlich soviel wie für ihre
Wiederherstellung erforderlich ist. Diese Wiederherstellung erfolgt zu
großen Teilen über den Konsum, wofür Geld erforderlich ist, was wiederum den
Verkauf der Arbeitskraft voraussetzt. Auch dieser Regelkreis hat sich
verselbständigt, denn in unserer Gesellschaft gibt es kaum die Möglichkeit,
außerhalb des Lohnarbeit-Konsum-Regelkreises zu existieren.

Beide Regelkreise, der Produktionskreis und Konsumkreis, greifen ineinander,
sie bedingen einander. Es ist auch nicht mehr so selten, daß sie in einer
Person vereint auftreten. Das universelle Schmiermittel und Ziel jeglichen
Tuns ist das Geld. Noch einmal sei betont: Die Notwendigkeit, Geld zu
erwerben zum Zwecke des Konsums oder aus Geld mehr Geld zu machen in der
Konkurrenz, ist kein persönlicher Defekt oder eine Großtat, sondern nichts
weiter als das individuelle Befolgen eines sachlichen Gesetzes, des
Wertgesetzes. Eine wichtige Konsequenz dieser Entdeckung ist die Tatsache,
daß unser gesellschaftliches Leben nicht von den Individuen nach sozialen
Kriterien organisiert wird, sondern durch einen sachlichen, kybernetischen
Regelkreis strukturiert ist. Das bedeutet nicht, daß die Menschen nicht nach
individuellem Wollen handeln, aber sie tun dies objektiv nach den Vorgaben
des kybernetischen Zusammenhangs. Wie Rädchen im Getriebe.

2.3. Knappheit und Wert

Damit die Wert-Maschine läuft, müssen die Güter knapp sein. Was alle haben
oder bekommen können, kann man nicht zu Geld machen. Noch ist die Luft kein
knappes Gut, aber schon wird über den Handel mit Emissionen nachgedacht,
denn saubere Luft wird knapp. Viele selbstverständliche Dinge werden
künstlich verknappt, um sie verwertbar zu machen. Das prominente Beispiel,
das uns hier interessiert, ist die Software. Software als Produkt enthält
Arbeit wie andere Produkte auch [8]. Wie wir im historischen Exkurs gesehen
haben, war Software solange frei verfügbar wie sie nicht verwertbar
erschien. Software wurde als Zugabe zur wesentlich wertvolleren Hardware
verschenkt. Im Zuge gestiegener Leistungsfähigkeit und gesunkener
Werthaltigkeit der Hardware (ablesbar an gesunkenen Preisen) stieg auch die
Bedeutung von Software - sie wurde auch für die Verwertung interessant.

Um Software verwertbar zu machen, muß Knappheit hergestellt werden. Dies
geschieht im wesentlichen durch:

   * Zurückhalten des Quellcodes
   * Einschränkende Lizensierung und Patentierung

Wie bei jedem Produkt interessiert bei kommerzieller Software der
Gebrauchswert den Hersteller überhaupt nicht. Ist ein aufgemotztes
»Quick-And-Dirty-Operating-System« (QDOS) [9] verkaufbar, wird es verkauft.
Ist das Produkt des Konkurrenten erfolgreicher, dann wird das eigene Produkt
verbessert. Die Nützlichkeit und Brauchbarkeit ist damit nur ein
Abfallprodukt - wie wir es zur Genüge von den kommerziellen
Softwareprodukten kennen.

Entsprechend sieht es auf der Seite der Entwickler/innen aus. Auch
Softwareentwickler/innen liefern nur ihre abstrakte Arbeit ab. In kaum einer
anderen Branche gibt es so viele gescheiterte kommerzielle Projekte wie im
Softwarebereich [10]. Mit 40 gehören Entwickler/innen schon zum alten Eisen.
Der fröhliche Optimismus der Newbies im Business verfliegt schnell. Wer
erlebt hat, wie gute Vorschläge mit dem Hinweis auf die Deadline des
Projektes abgeschmettert wurden, weiß, was ich meine. Ein Berufstraum wird
zum traumatischen Erlebnis.

2.4. Freie Software befreit

Das ist mit Freier Software anders. Der erste Antrieb Freier Software ist
die Nützlichkeit. Der erste Konsument ist der Produzent. Es tritt kein
Tausch und kein Geld dazwischen, es zählt nur eine Frage: Macht die Software
das, was ich will. Da die Bedürfnisse der Menschen keine zufälligen sind,
entstehen freie Softwareprojekte. Auch hier geht es nicht um Geld, sondern
um das Produkt. Es gibt keine größere Antriebskraft als die individuelle
Interessiertheit an meinem guten nützlichen Produkt und der individuellen
Selbstentfaltung. Das weiß auch der Exekutor des Wertgesetzes in der
Produktion. Deswegen spielt der Spaß, das Interesse am Produkt, auch in der
geldgetriebenen Produktion eine wichtige Rolle. Es ist nur so, daß die
abstrakte Arbeit immer vorgeht. Letztlich zählt eben nur, was hinten
rauskommt - und zwar an Geld.

Abstrakte Arbeit ist nervtötend. Wer sagt, ihm mache seine abstrakte Arbeit
Spaß, der lügt - oder macht sich was vor, um die abstrakte Arbeit aushalten
zu können. Abstrakte Arbeit ist unproduktiver als freiwilliges Tun - wozu
soll ich mich für etwas engagieren, was mich eigentlich nicht interessiert?
Also muß man mich ködern mit Geld. Da sieht es für Informatiker/innen zur
Zeit gut aus. Aber die Green Card bringt das auch wieder ins Lot. Dann ist
da noch die latente Drohung: »Wenn du nicht gut arbeitest, setze ich dich
woanders hin oder gleich ganz raus«. Wer sich bedroht fühlt, arbeitet nicht
gern und schlecht. Zuckerbrot und Peitsche, die Methoden des alten Rom. Und
Rom ist untergegangen.

Freiwilligkeit und nützliches Tun kann man nicht kaufen, jedenfalls nicht
auf Dauer. Selbstentfaltung funktioniert nur außerhalb der rückgekoppelten
Wert-Maschine. GNU/Linux konnte nur außerhalb der Verwertungszusammenhänge
entstehen. Nur außerhalb des aus-Geld-mehr-Geld-machen-egal-wie konnte sich
die Kraft der individuellen Selbstentfaltung zeigen.

2.5. Aber was ist mit den Geldmachern?

Machen wir uns keine Illusionen. Dort, wo man Geld machen kann, wird das
Geld auch gemacht, und wenn es nicht anders geht, dann eben mit dem
Drumherum von Freier Software. Das sind Absahner, nicht ohne Grund kommen
sie alle zum Linuxtag. Das verurteile ich nicht, ich stelle es nüchtern
fest. Maschinen haben den Vorteil, daß man ihre Wirkungsweise ziemlich
nüchtern untersuchen kann. So sehe ich mir den Kapitalismus an.

Wenn ich die kapitalistische Wert-Maschine verstehe, habe ich nützliche
Kriterien an der Hand - für das eigene Handeln und für die Einschätzung so
mancher Erscheinungen Freier Software. Auf beides will ich im folgenden
eingehen.

3. OSI und GNU - zwei verkrachte Geschwister

Anfang 1998 gründeten Eric. S. Raymond und Bruce Perens die Open Source
Initiative (OSI). Erklärtes Ziel ist die Vermarktung von Freier Software,
die Einbindung Freier Software in die normalen Verwertungszyklen von
Software. Zu diesem Zweck wurde der Marketingbegriff »Open Source«
ausgewählt. Nur mit einem neuen Begriff sei die Wirtschaft für die Freie
Software gewinnbar. Der Begriff der »Freiheit« sei für die Wirtschaft
problematisch, er klinge so nach »umsonst« und »kein Profit« [11]. Im
übrigen wolle man das Gleiche wie die Anhänger der Freien Software, nur gehe
man pragmatischer vor und lasse den ideologischen Ballast weg.

Richard Stallman, Gründer des GNU-Projekts, wirft den Open-Source-Promotern
vor, in ihrem Pragmatismus würde die Grenzen zur proprietären Software
verschwimmen. Der Begriff »Open Source« sei ein Türöffner zum Mißbrauch der
Idee Freier Software durch Softwarefirmen, die eigentlich proprietäre
Software herstellen und vertreiben. Im übrigen sei man überhaupt nicht gegen
Kommerz und Profit, nur die »Freiheit« müsse gewahrt bleiben.

3.1. Der Wirtschaftsliberalismus von ESR

Nachdem sich OSI-Mitgründer Bruce Perens wegen der zu großen Anbiederung an
den Kommerz wieder von der OSI abgewendet hat, ist es kein Fehler, sich
alleine mit den Auffassungen von Eric. S. Raymond (ESR) zu beschäftigen. In
den drei Aufsätzen »The Cathedral and the Bazaar«, »Homesteading the
Noosphere« und »The Magic Cauldron« entwickelt er ein Kompatibilitätskonzept
für die Verbindung von Freier Software und Kapitalismus [12].

Mit Freier Software ist der kommerzielle Software-Verwerter in eine Klemme
gekommen. Freie Software ist öffentlich und nicht knapp. Die in der Freien
Software steckende Arbeit wird einfach verschenkt. Damit ist sie nicht mehr
verwertbar, sie ist wertlos. ESRs Bemühen dreht sich nun emsig darum, die
aus den Verwertungskreisläufen herausgeschnittene Freie Software durch
Kombination mit »unfreien Produkten« wieder in die Mühlen der kybernetischen
Wert-Maschine zurückzuholen. Seine Vorschläge, die er in »The Magic
Cauldron« entwirft - er nennt sie »Modelle für indirekten Warenwert« -,
seien im folgenden kurz untersucht.

»Lockangebot«: Freie Software wird verschenkt, um mit ihr unfreie Software
am Markt zu positionieren. Als Beispiel nennt ESR Netscape mit dem
Mozilla-Projekt - ein Beispiel, das ziemlich offensichtlich kurz vor dem
Scheitern steht [13]. Was passiert hier? Eine Firma schmeißt ihren
gescheiterten Browser den freien Entwickler/innen vor die Füße und ruft:
»Rettet unsere Profite im Servermarkt!«. Dabei behält sie sich auch noch das
»Recht« vor, die Ergebnisse wieder zu unfreier Software zu machen.

»Glasurmethode«: Unfreie Hardware (Peripherie, Erweiterungskarten,
Komplettsysteme) wird mit einem Guß Freier Software überzogen, um die
Hardware besser verkaufen zu können. Mußten vorher Hardwaretreiber,
Konfigurationssoftware oder Betriebssysteme von der Hardwarefirma entwickelt
werden, überläßt man das einfach der freien Softwaregemeinde. Wie praktisch,
die kostet ja nichts! Unvergütete Aneignung von Arbeitsresultaten anderer -
nennt man das nicht Diebstahl? Nein, werden die Diebe antworten, das
Resultat ist doch frei!

»Restaurantmethode«: In Analogie zum Restaurant, das nur freie Rezepte
verwendet, aber Speisen und Service verkauft, wird hier Freie Software von
Distributoren zusammengestellt und zusammen mit Service verkauft. Die eigene
Leistung besteht in der Zusammenstellung der Programme, der Schaffung von
Installationsprogrammen und der Bereitstellung von Service. Unbezahlte
Downloads oder gar Cloning der Eigenleistungen durch fremde Distributoren
wird als Vergrößerung des gemeinsamen Marktes hingenommen. Oft werden gute
Hacker von Distributoren angestellt, die Grenzen zwischen bezahlter und
unbezahlter Arbeit sind fließend. Das Geschäftsgebaren der verschiedenen
Distributionen ist durchaus unterschiedlich. Während sich das
nichtkommerzielle Debian-Projekt mit ihrem Gesellschaftsvertrag [14] zur
Einhaltung bestimmter Standards und zur Unterstützung Freier Software
verpflichtet hat, steht für andere der reine Selbstzweck der Markteroberung
im Vordergrund (etwa SuSE oder diverse Cloner).

»Zubehörmodell«: Hierzu gehören Herausgeber von Dokumentationen oder anderen
Werken über Freier Software sowie andere Zubehörproduzenten, die nur auf der
Welle mitschwimmen (etwa die Hersteller der Plüsch-Pinguine). Problematisch
sind die exklusiven Lizenzen (Copyright), die eine Verbreitung schriftlicher
Werke verhindern. Der Linuxtag ist selbst Opfer dieser Exklusion der
Öffentlichkeit geworden. Verlage, die Texte vom letzten Linuxtag
herausgebracht haben, sorgten dafür, das genau diese Texte von der
Linuxtag-Website genommen werden mußten. Nur knappe Produkte eignen sich als
Ware!

»Marketingmodelle«: Unter Ausnutzung der Popularität Freier Software werden
verschiedene Marketingtricks aufgelegt, um proprietärer Software ein
besseres Image zu verleihen und für Verkaufbarkeit zu sorgen. Damit sind
noch nicht einmal die Betrüger gemeint, die sich einfach selbst das Label
»Open Source« oder »Freie Software« auf ihre proprietären Produkte kleben,
sondern Formen wie

   * das Versprechen, proprietäre Software in Zukunft freizugeben;
   * der Verkauf von Gütesiegeln, die erworben werden müssen um »Freie
     Software« verkaufen zu dürfen;
   * der Verkauf von Inhalten, die eng mit dem sehr speziellen freien
     Softwareprodukt verbunden sind (etwa Börsenticker-Software)

Es sollte deutlich geworden sein, daß alle diese »Modelle für indirekten
Warenwert« dazu dienen, die aus der Marktwirtschaft herausgefallene Sphäre
Freier Software wieder zurück in den Kreislauf der selbstgenügsamen
Wert-Maschine zu holen. Da kapitalistische Verwertung auf Knappheit und
Ausschluß von Öffentlichkeit beruht, Freie Software aber genau das Gegenteil
darstellt, müssen hier Feuer und Wasser in eine »friedliche Koexistenz«
gezwungen werden. Doch wie es sich mit Feuer und Wasser verhält, so auch mit
Freier Software und Verwertung: Nur eine kann sich durchsetzen.

Im neoliberalen Modell Freier Software von ESR gibt es folgerichtig keine
wesentlichen Unterschiede zwischen »freier« Softwarelizenzen. Vermutlich hat
er nur mit Magengrimmen die GPL trotz des enthaltenen Privatisierungsverbots
auf die Liste von »OSI-zertifizierten« Lizenzen gesetzt, da man an der GPL
nicht gut vorbeikommt. Bis auf die »Restaurantmethode«, dem Vertrieb Freier
Software durch Distributionen, ist keines der oben genannten mit Buchstaben
und Geist der GPL vereinbar [15]. Die GPL schließt künstliche Verknappung
und Privatisierung von Code aus, und das behindert die Verwertung von
Software weitgehend.

3.2. Der Bürgerrechtsliberalismus von RMS

Dem ökonomischen Liberalismus von ESR steht der Bürgerrechtsliberalismus von
RMS entgegen. RMS argumentiert (1994), daß Software in privatem Besitz zu
Entwicklungen führen würde, die dem gesellschaftlichen Bedarf entgegen
läuft. Die Gesellschaft brauche

   * Information, z.B. im Quellcode einseh- und änderbare Programme statt
     Blackbox-Software;
   * Freiheit statt Abhängigkeit vom Softwarebesitzer;
   * Kooperation zwischen den Bürgern, was die Denunziation von
     Nachbarschaftshilfe als »Softwarepiraterie« durch die Softwarebesitzer
     unterminieren würde.

Das seien die Gründe, warum Freie Software eine Frage der »Freiheit« und
nicht des »Preises« sei. Bekannt geworden ist der Satz »Think of 'free
speech', not of 'free beer'«.

An diesen Kriterien orientiert sich auch die GNU GPL. Sie stellt sicher, daß
Software dauerhaft frei bleibt oder ökonomisch formuliert: Sie entzieht
Software dauerhaft der Verwertung. RMS ist dennoch keinesfalls gegen den
Verkauf Freier Software (1996). Auch die GPL selbst ermöglicht ausdrücklich
das Erheben einer Gebühr für den Vertrieb Freier Software.

RMS formuliert seine Vision gesellschaftlichen Zusammenlebens im
GNU-Manifest von 1984 so:

     »Auf lange Sicht ist das Freigeben von Programmen ein Schritt in
     Richtung einer Welt ohne Mangel, in der niemand hart arbeiten muß,
     um sein Leben zu bestreiten. Die Menschen werden frei sein, sich
     Aktivitäten zu widmen, die Freude machen, zum Beispiel
     Programmieren, nachdem sie zehn Stunden pro Woche mit notwendigen
     Aufgaben wie Verwaltung, Familienberatung, Reparatur von Robotern
     und der Beobachtung von Asteroiden verbracht haben. Es wird keine
     Notwendigkeit geben, von Programmierung zu leben.« (Stallman
     1984).

Eine schöne Vision, die ich ohne zu zögern teilen kann. Nur: Wer glaubt,
diese Vision unter den Bedingungen der kybernetischen Verwertungsmaschine
mit Namen Kapitalismus erreichen zu können, rennt einer Illusion hinterher.
Der einzige Zweck der Wert-Maschine ist, aus Geld mehr Geld zu machen - egal
wie, egal womit. Freiheit von Mangel, Muße, Freude, Hacking-for-Fun ist
darin nicht vorgesehen.

Die von ESR mit angestoßene Open-Source-Welle führt das lehrbuchartig vor.
Es geht überhaupt nicht mehr um gesellschaftliche Freiheit, die nur die
Freiheit aller sein kann, sondern es geht um die Frage, wie ich aus etwas
»Wertlosem« trotzdem Geld machen kann, wie ich die Freude der Hacker zu Geld
machen kann, wie ich die Selbstentfaltung der Menschen in abstrakte, tote
Arbeit verwandeln kann. Dieser mächtigen Welle vermag RMS mit dem Ruf nach
»Freiheit geht vor« kaum etwas entgegenzusetzen. Vermutlich würde ESR
antworten: Natürlich geht Freiheit vor, die ökonomische Freiheit!

Hieran wird deutlich, daß der Liberalismus eben zwei Seiten hat:
Wirtschaftsliberalismus und Bürgerrechtsliberalismus. Robert Kurz arbeitet
in seinem eindrucksvollen Werk »Schwarzbuch des Kapitalismus« (1999) die
gemeinsame Verwurzelung im historischen Liberalismus heraus [16]. Er zeigt,
daß auch der Bürgerrechtsliberalismus nur dazu da ist, Menschenfutter für
die kybernetische Verwertungsmaschine zu liefern. Wer vom Kapitalismus nicht
reden will, soll über die Freiheit schweigen.

4. Freie Software für freie Menschen

Wir sollten in die Offensive gehen! Wir sollten uns zum antikapitalistischen
Gehalt der GPL bekennen! Wir können sagen »GNU/Linux ist nicht wert - und
das ist gut so!«. Freiheit gibt es nur außerhalb der Verwertungs-Maschine.
Die Freie Software da herausgeholt zu haben, war eine historische Tat. Jetzt
geht es darum, sie draußen zu behalten, und nach und nach weitere Bereiche
der kybernetischen Maschine abzutrotzen. Dafür gibt es zahlreiche Ansätze,
die Stefan Merten im Beitrag »Gnu/Linux - Meilenstein auf dem Weg in die
GPL-Gesellschaft« skizziert.

Wie kann das gehen, wird sich sicher so mancher fragen. Man kann doch nicht
einfach rausgehen aus den Verwertungszusammenhängen - wovon soll ich leben?
Das sind berechtigte, zwingende Fragen. Ich denke, daß es nicht darum geht,
sofort und zu 100% aus jeglicher Verwertung auszusteigen. Es geht darum,
einen klaren Blick für die Zwangsmechanismen der kybernetischen
Verwertungsmaschinerie zu bekommen, und danach das individuelle Handeln zu
bemessen. Ich will einige Bespiele nennen.

Konkrete und abstrakte Arbeit: Wenn ich für meine Reproduktion meine
Arbeitskraft verkaufen muß, dann sollte ich nicht versuchen, darin Erfüllung
zu finden. Natürlich ist es schön, wenn die Arbeit mal Spaß macht. Doch
Lohnarbeit bedeutet abstrakte Arbeit, und dabei kommt es eben nicht auf
meine Bedürfnisse, sondern die externen Zielvorgaben an. Selbstentfaltung
gibt es nur außerhalb, z.B. in Freien Softwareprojekten. Wenn ich die
Erwartungshaltung an die Lohnarbeit nicht habe, kann ich sie auch leichter
begrenzen. Und das ist aufgrund des endlosen Drucks in Softwareprojekten
eine dringende Notwendigkeit.

Eine Firma gründen: Manche denken, sie könnten der abhängigen entfremdeten
Arbeit dadurch entkommen, indem sie eine eigene Firma gründen. Das ist so
ziemlich die größte Illusion, die man sich machen kann. Als Firmeninhaber
bin ich direkt mit den Wertgesetzen der kybernetischen Maschine
konfrontiert. Die eigene Entscheidung besteht nur darin, in welcher Weise
ich diese Gesetze exekutiere, welches Marktsegment ich besetze, welchen
Konkurrenten ich aus dem Feld steche usw. Ich bin mit Haut und Haaren drin,
muß permanent mein Handeln als das Richtige gegenüber allen rechtfertigen.
Eine Distanzierung ist hier noch schwerer als bei der entfremdeten
Lohnarbeit.

Verwertete Entfaltung: Die eigene Selbstentfaltung ist die letzte
unausgeschöpfte Ressource der Produktivkraftentwicklung (Meretz 1999c). Das
wissen auch die Exekutoren des Wertgesetzes, die die Selbstentfaltung der
Verwertung unterordnen wollen. Sie bauen die Hierarchien ab, geben uns mehr
Entscheidungsbefugnisse und Flexibilität bei der Arbeitszeit. Die Stechuhren
werden abgeschafft, weil man sie nicht mehr braucht - alle arbeiten
freiwillig länger nach dem Motto: »Tut was ihr wollt, Hauptsache ihr seid
profitabel«. Die Zusammenführung der beiden Rollen des
Arbeitskraftverkäufers und des Wert-Gesetz-Exekutors in einer Person ist der
(nicht mehr so) neue Trick. Fallt darauf nicht rein! Die »Neue
Selbständigkeit« kann zur Hölle werden [17], denn Verwertung und
Selbstentfaltung sind unvereinbar.

Selbstentfaltung: Die unbeschränkte Entfaltung der eigenen Individualität,
genau das zu tun, was ich wirklich tun will, ist nur außerhalb der
Verwertungs-Maschine möglich. Nicht zufällig war es der informatische
Bereich, in dem wertfreie Güter geschaffen wurden. Uns fällt es noch relativ
leicht, das eigene Leben abzusichern. Wir werden gut bezahlt, finden schnell
einen Job. Freie Software zu entwickeln, ist kein Muß, es ist ein Bedürfnis.
Wir sind an Kooperation interessiert, und nicht an Verdrängung. Die
Entwicklung Freier Software ist ein Beispiel für einen selbstorganisierten
Raum jenseits der Verwertungsmaßstäbe. Nur dort ist Selbstentfaltung
möglich.

Mit diesen Beispielen möchte ich für Nüchternheit, Klarheit und Offenheit
plädieren - im Umgang mit anderen und sich selbst. Dazu gehört für mich
auch, wieder über das gesellschaftliche Ganze zu sprechen, denn das sollten
wir nicht den wirtschafts- oder bürgerrechtsliberalen Interpreten
überlassen. Der Kapitalismus ist nichts dämonisches, man kann ihn verstehen
und sein Handeln daran ausrichten. Dann hat Freie Software als wertfreie
Software auch ein Chance.

5. Meta-Text

5.1. Versionen-Geschichte

   * Version 1.00, 4.4.00: Erste Vorab-Version in der Oekonux-Mailingliste
   * Version 1.01, 9.4.00: Version für die Linuxtage-CDs
   * Version 1.02, 2.5.00: Aufgrund der open-theory-Diskussion überarbeitete
     Version

5.2. Literatur:

DiBona, C., Ockman, S., Stone, M. (1999), Open Sources: Voices from the Open
Source Revolution, Sebastopol/CA: O?Reilly; online verfügbar unter
http://www.oreilly.com/catalog/opensources/book/toc.html.

Fischbach, R. (1999), Frei und/oder offen? From Pentagon Source to Open
Source and beyond, in: FIFF-Kommunikation 3/99, S. 21-26.

Glißmann, W. (1999), Die neue Selbständigkeit in der Arbeit und Mechanismen
sozialer Ausgrenzung, in: Herkommer, S. (Hrsg., 1999), Soziale
Ausgrenzungen. Gesichter des neuen Kapitalismus, Hamburg: VSA

Kurz, R. (1999), Schwarzbuch Kapitalismus: Ein Abgesang auf die
Marktwirtschaft, Frankfurt/Main: Eichborn.

Lohoff, E. (1998), Zur Dialektik von Mangel und Überfluß, in: Krisis,
Beiträge zur Kritik der Warengesellschaft 21/22, Bad Honnef: Horlemann.

Meretz, S. (1999a), Die doppelte algorithmische Revolution des Kapitalismus
- oder: Von der Anarchie des Marktes zur selbstgeplanten Wirtschaft.
Internet: http://www.kritische-informatik.de/algorev.htm.

Meretz, S. (1999b), Linux - Software-Guerilla oder mehr? Die Linux-Story als
Beispiel für eine gesellschaftliche Alternative. In: FIFF-Kommunikation
3/99, S. 12-21. Internet: http://www.kritische-informatik.de/linuxsw.htm.

Meretz, S. (1999c), Produktivkraftentwicklung und Subjektivität. Vom
eindimensionalen Menschen und unbeschränkt entfalteten Individualität,
Internet: http://www.kritische-informatik.de/pksubj.htm.

O'Reilly & Associates Inc. (1999), Open Source, kurz und gut, Köln:
O'Reilly.

Raymond, E. S. (1997), The Cathedral and the Bazaar,
http://www.tuxedo.org/~esr/writings/cathedral-bazaar/, deutsche Übersetzung:
Die Kathedrale und der Basar,
http://www.linux-magazin.de/ausgabe/1997/08/Basar/basar.html.

Raymond, E. S. (1998), Homesteading the Nooshpere,
http://www.tuxedo.org/~esr/writings/homesteading/, deutsche Übersetzung:
http://www.phone-soft.com/raymondhomesteading/htn_g.0.html.

Raymond, E. S. (1999), The Magic Cauldron,
http://www.tuxedo.org/~esr/writings/magic-cauldron/, deutsche Übersetzung:
Der verzauberte Kessel,
http://www.phone-soft.com/raymondcauldron/cauldron.g.01.html.

Stallman, R.M. (1984), The GNU Manifesto,
http://www.gnu.org/gnu/manifesto.html, deutsche Übersetzung: Das
GNU-Manifest, http://www.gnu.de/mani-ger.html.

Stallman, R.M. (1994), Why Software Should Not Have Owners,
http://www.gnu.org/philosophy/why-free.html.

Stallman, R.M. (1996), Selling Free Software,
http://www.gnu.org/philosophy/selling.html.

Stallman, R. (1999), »Software muß frei sein!« Interview des Online-Magazins
Telepolis, http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/te/2860/1.html

5.3. Anmerkungen

[1] So werden auch die »Perversionen« des Kapitalismus erklärlich: Obwohl in
vielen Bereichen genug Güter zur ausreichenden Versorgung der Menschheit da
wäre, gibt es Armut. Nur wo Knappheit herrscht, ist Tauschwert realisierbar.
Der Regulator ist das Geld - wo keines ist, herrscht Armut.

[2] Solche Standards werden in informellen Dokumenten mit dem Titel Request
for Comments (RFC) aufgeschrieben. Ihre hohe Verbindlichkeit resultiert aus
ihrem offenen Charakter (etwa im Gegensatz zu einem Patent) und der breiten
Konsensbildung.

[3] GNU ist ein rekursives Akronym und heißt GNU Is Not UNIX. Es drückt aus,
daß das freie GNU-System funktional den proprietären Unix-Betriebssystemen
entspricht, jedoch nicht wie diese proprietär, sondern frei ist.

[4] Um freie Software-Bibliotheken auch in nicht-freier Software benutzen zu
können, wurde die GNU Library GPL geschaffen, die diese Vermischung erlaubt
(z.B. die GNU C-Library). Mit Version 2.1 wurde sie umbenannt in GNU Lesser
GPL, vgl. http://www.gnu.org/copyleft/lesser.html

[5] Tanenbaum, ein Professor aus Amsterdam, veröffentlichte bereits 1986
sein »Mini-UNIX«, genannt Minix, für Lehrverstaltungszwecke. Es konnte sich
nie über den Hörsaal hinaus durchsetzen, da es einer restriktiven Lizenz
unterlag und die Entwicklung nur von Tanenbaum selbst betrieben wurde.
Dokumentiert z.B. in DiBona, C., Ockman, S., Stone, M. (1999) im Anhang A
oder im Internet unter http://www.lh.umu.se/~bjorn/mhonarc-files/obsolete/

[6] Linus Torvalds in einem Interview mit der Tokyo Linux Users Group:
»Linux unter die GPL zu nehmen, war das beste, was ich je getan habe.«
(O'Reilly & Associates Inc. 1999, 35).

[7] Ich verzichte auf eine differenzierte Darstellung der Einzelaspekte
einer »korrekten« Wertformanalyse.

[8] Jegliche Produktherstellung umfaßt einen algorithmisch-konstruktiven und
einen operativ-materialisierenden Aspekt. Bei Software geht der Anteil des
zweiten Aspekts gegen Null. Mehr zum Thema Algorithmus in Meretz (1999a).

[9] Bill Gates hat QDOS für 50.000 Dollar gekauft unter dem Namen MS-DOS
vermarktet, wodurch der Aufstieg von Microsoft begann.

[10] Nach dem 'Chaos Report' der Standish-Group
(http://www.standishgroup.com/chaos.html) werden nur ein Viertel aller
Projekte erfolgreich abgeschlossen. Der Rest scheitert komplett oder wird
mit Zeit- und Budgetüberziehungen von 200% zu Ende gebracht.

[11] Es ist schon lustig, wenn »Freiheit« als ehemaliger Kampfbegriff des
Kapitalismus gegen den »unfreien« Sozialismus nun zur Bedrohung im eigenen
Hause wird. Anscheinend handelte es sich hierbei auch um zwei »verkrachte
Geschwister« - mit letalem Ausgang für den einen.

[12] Eine Diskussion der von ESR verwendeten ökonomischen Kategorien sowie
seiner Spekulationen über die Motivation der Hacker (»Geschenkökonomie«)
kann ich hier nicht vornehmen. Insbesondere die von ESR dargelegten
ökonomischen Kategorien sind haarsträubend. So vertauscht er Gebrauchswert
und (Tausch-)Wert sowie Wert und Preis nach Belieben. Das tut der Eloquenz
seines Plädoyers für die Re-Integration Freier Software in die kybernetische
Wert-Verwertungsmaschine keinen Abbruch. Zum Thema »Geschenkökonomie« vgl.
Fischbach 1999.

[13] Vgl. Jamie Zawinski, resignation and postmortem,
http://www.jwz.org/gruntle/nomo.html.

[14] Debian Social Contract: http://www.debian.org/social_contract.

[15] Natürlich wären auch Lockangebote auf Basis der GPL denkbar, doch die
Öffentlichkeit würde solche Tricks schnell durchschauen, was dem Image des
»Lockers« schaden würde. Da ist die Netscape-Lizenz NPL »ehrlicher«, die
besagt, daß man den öffentlichen Code jederzeit wieder privatisieren könne.

[16] Vgl. die Besprechungen in der ZEIT
http://www.archiv.zeit.de/daten/pages/199951.p-kurz_.html (PRO) bzw.
http://www.archiv.zeit.de/daten/pages//199951.p-kurz-contra_.html (CONTRA)
oder bei Telepolis: http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/co/5659/1.html.

[17] Wer das schlicht »nicht glaubt«, dem empfehle ich direkt den
Erfahrungsbericht der Betriebsräte von IBM-Düsseldorf als Lektüre (Glißmann
1999).


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